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Leverkusen im Europa-League-FinaleAus der Zauber!

Leverkusen verliert das Endspiel von Dublin gegen aggressive Italiener. Jetzt gilt es, aus der Niederlage zu lernen – eine völlig neue Aufgabe.

Bergamos dritter Streich: Der Ball zum 3:0 im Finale der Europa League Foto: reuters

Dublin taz | Irgendwann spät in dieser kühlen irischen Frühlingsnacht, der Bus mit den Kollegen wartete bereits auf die Abfahrt, da fasste Granit Xhaka in Worte, was bislang niemand vermisste, was dem für seine beinahe perfekte Spielweise gefeierte Deutschen Meister aus Leverkusen aber noch fehlt auf dem Weg zur Vollendung. „Wir hatten nie dieses Gefühl in diesem Jahr“, sagte der Leverkusener Mittelfeldspieler über die erste Niederlage im vorletzten Spiel dieser Saison.

Nun sei es „Zeit zu sehen, welcher Spieler hat einen Charakter, welcher Spieler ist in der Lage schnell aufzustehen.“ Die Werkself, die – abgesehen von zwei, drei einzelnen Halbzeiten – ein Jahr lang jeden Gegner dominiert hatte, war plötzlich in völlig unbekanntes Terrain geraten in diesem Finale um den Titel der Europa League, das Atalanta Bergamo schließlich ähnlich souverän mit 3:0 gewonnen hatte, wie Bayer Leverkusen durch die Bundesligasaison marschiert war.

„Wir konnten nicht unser Spiel machen, sie waren in allem besser“, musste Trainer Xabi Alonso feststellen, und Jonas Hofman ergänzte: „Das war nicht Bayer-like“. Mit einem fast immer fairen und doch ultraaggressiven Verteidigungsverhalten erstickten die vom schlauen Gian Piero Gasperini trainierten Italiener alle Leverkusener Spielfreude. Bayer 04 litt unter der starken Körperlichkeit dieses Gegners aus dem Piemont, und „die Räume, die sie uns gelassen haben, haben wir nicht gut bespielt“, sagte Jonathan Tah.

Dass Bayer anders als in allen anderen Partien nicht in der Lage war, sich zu steigern, sich aufzubäumen, hatte gewiss auch damit zu tun, dass sie sich einfach nicht auskannten mit so einer extremen Drucksituation, in der alles auf dem Spiel stand. Alonso ahnte bereits, dass genau das zu einem Problem werden könnte.

Als Verlierer unerfahren

Noch in der vergangenen Woche hatte der Spanier auf die Frage, was er selber dazugelernt habe in dieser Saison, erwidert: „Eigentlich lernt man am meisten aus Niederlagen.“ Solche Lektionen fehlten nicht nur ihm, sondern der gesamten Mannschaft. Klar, das Team hat etliche Punkte durch sehr späte Tore in der Nachspielzeit gewonnen, aber nie waren die herausfordernden Momente so existenziell wie die Lage in diesem Finale. Der ehemalige Leipziger Ademola Lookman, der alle drei Tore für Atalanta schoss, hatte früh einen schlimmen Fehler von Ezeqiuel Palacios zum 1:0 genutzt (12.) und in der 26. Minute einen zweiten Treffer folgen lassen, nach einer halben Stunde waren die Leverkusener Versagensängste allgegenwärtig.

Wie ein Seefahrer, der sich durch ein fremdes Gewässer voller Felsen und gefährlicher Strömungen navigieren muss, wirkte die Mannschaft, während der Favoritenschreck aus Italien bestens vertraut war mit exakt dieser Umgebung. Seit Jahren gelingt es Atalanta Bergamo regelmäßig, große Gegner auf diese Art und Weise zu schlagen, zuletzt beim Duell in Liverpool im Viertelfinale, das die Mannschaft ebenfalls mit 3:0 gewann.

Bayer hingegen verfügt nicht über bewährte Mechanismen für derart ernsthafte Krisenmomente. Auch ein Plan B lag nicht bereit, vielleicht hätte er die Anweisung geben sollen, weniger kurze Pässe zu spielen, überlegte Alonso, der sich aber anders entschied: „Wir wollten nicht unseren Stil wechseln.“

Vorbild Atalanta

Immer wieder wird im Fußball der Begriff „Entzauberung“ verwendet, aber selten traf er so zu wie an diesem Abend, was am Ende sogar als Trost taugte für Bayer 04. „Wenn man klar verliert, muss man das als Sportler akzeptieren und sagen, dass sie es verdient haben und wir nicht“, sagte Geschäftsführer Fernando Carro. Nun gelte es, das am Samstag bevorstehende Finale im DFB-Pokal gegen den 1. FC Kaiserslautern zu gewinnen, um die großartige Saison würdig zu Ende zu bringen.

Womöglich wird sich der Finalgegner allerdings einiges abschauen von den Italienern, die traditionell im Schatten der großen Konkurrenten aus der Nachbarstadt Mailand stehen, jetzt aber den größten Erfolg ihrer Klubgeschichte feiern können. In jedem Fall hat Trainer Gasperini viel zur Entschlüsselung von Bayer Leverkusen beigetragen, wobei auch Alonso sagte: „Ich weiß, dass wir vieles lernen werden.“

Sport-Geschäftsführer Simon Rolfes formulierte sogar den Vorsatz, diesen Europapokal ein andermal zu gewinnen, was aber so schnell nicht möglich sein wird. In der kommenden Saison spielt Bayer in der Champions League, wo das Team an ganz anderen Widerständen wachsen kann als in dieser Saison, in der niemand ernsthaft mithalten konnte – bis zu dieser Nacht von Dublin.

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7 Kommentare

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  • Atalanta war besser, hat verdient gewonnen. Das macht die Saison von Leverkusen aber kaum weniger glanzvoll, dass eine Mannschaft ewig unschlagbar durch die Saisons stiefelt gibt es halt nicht auf Dauer. Ein Spitzenteam muss auch gegen ein physisch starkes Team, das dem Gegner das Leben schwer macht bestehen. Das Double (oder auch „nur“ die poplige Meisterschaft) ist nur in München Grund zur Trauer, dafür will da halt auch kein namhafter Trainer hin. Ein bißchen weniger Größenwahn in Medien und Umfeld wäre sicher hilfreich.

  • In Italien heisst es: 'Ein Zahnarztbesuch ist angenehmer, als gegen Atalanta spielen zu müssen'. PS: Bergamo liegt in der Lombardei, nicht im Piemont.

    • @Klaus Waldhans:

      Das hat der Trainer von Manchester City gesagt.

  • Aus Gründen der Wahrscheinlichkeit musste es mal zu einer Niederlage kommen. Alles total normal.

  • Kaum ist das Finale verloren kommt schon der Spott um die Ecke. Was für ein Hohn!

    Gratulation an Alonso und seine Truppe! Es ist ja nicht so das Leverkusen Meister wurde weil die Bayern so "Schwach" waren. Die Werkself hat die Saison beherrscht und dominiert. Nun standen Sie in einem europäischen Finale und wurden Zweiter hinter einer grandios aufgelegten Truppe aus Bergamo.



    Bergamo hat so gespielt wie Leverkusen in der Liga. Sie hatten immer eine Antwort und dominierten auf dem Platz.



    Zudem wurde die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage immer größer. Na gut. Am Wochenende holen sich die Chemical Boys den Pokal und das nennt man wohl Double. Die Truppe bleibt auch nächstes Jahr zusammen und wird die Champions League aufmischen. Ich freu mich drauf.

    Nur gegen St.Pauli wird es eine Niederlage geben.......

    • @Tom Lehner:

      Ja, das ist immer so eine völlig dämliche Sache mit dem Spott und einigen Medien, die es dann „Debakel“ ect. nennen. Das hängt mir zum Hals raus, als ob es nicht der Sinn eines Wettkampfes ist, dass kein Abo abgeschlossen werden kann. (Da sprach mir Alonso aus der Seele). Mal gewinnt man, manchmal ist jemand anderes besser. (Kann man im normalen Leben auch beobachten, mit Ausnahme bei Armuts- Reichtums- sowie Machtverteilung). Und Atalanta ist ja (ähnlich wie Leverkusen) einigen Erfolgen ebenso hinterhergelaufen.



      Bemerkenswert ist bei dem Ganzen, dass sich bei Mannschaft und Fans noch nicht die (bei manch anderen übliche) Anspruchshaltung und Ignoranz durchgesetzt hat. Die Leverkusener Fans wanderten nicht verfrüht (vor der Siegerehrung) ab und skandierten Mutmacher für Berlin.

      • @snowgoose:

        Apropos Anspruchshaltung: „Nie mehr Vizekusen“ …