Bayer Leverkusen im Europa-League-Finale: Kader als Kunstwerk

Leverkusen spielt schon eine Saison lang in Bestform. Das liegt auch am brillant zusammengestellten Team. Finale Herausforderung ist nun Bergamo.

Simon Rolfes reckt die deutsche Meisterschale in die Höhe

Selten im Vordergrund: Kader-Planer Simon Rolfes (r.) ist ein Meisterstück gelungen Foto: Marius Becker/dpa

Als während der vergangenen Woche in Leverkusen der vom Kontinentalverband Uefa für Europapokalfinalisten vorgeschriebene Open Media Day stattfand, wurde Patrik Schick mit einer Frage konfrontiert, die derzeit gern diskutiert wird im Rheinland. Ob er es für möglich halte, dass Bayer Leverkusen nicht nur die dominante Mannschaft der Bundesliga sei, sondern sogar das stärkste Team in ganz Europa, wollte jemand von dem Stürmer wissen, der nicht lange über seine Antwort nachdenken musste. „Weil wir nicht in der Champions League spielen, ist es schwierig, das so zu beurteilen, aber ich würde sagen: Im Moment sind wir das Team mit der besten Form in Europa.“

Dem dürften auch die Vertreter von Atalanta Bergamo zustimmen, die am Mittwochabend im Finale der Europa League versuchen werden, die Serie von mittlerweile 51 Spielen der Werkself ohne Niederlage zu beenden. Die Sache mit der „Form“ müsste die Italiener allerdings noch etwas eingehender beschäftigen, denn es geht in diesem Fall nicht allein um die klassische Bedeutung dieses Begriffs in Sportzusammenhängen. Jenseits der gegenwärtigen Verfassung dieser Mannschaft ist dieser Kader als Kunstwerk erkennbar geworden, das auch ein großer Bildhauer kaum perfekter hätte geformt haben können. Nicht aus dem hochwertigsten Material, das der Markt zu bieten hat, aber komponiert mit der Brillanz eines begnadeten Virtuosen.

Die Bedeutung des Trainers Xabi Alonso für diese unglaubliche Saison ist oft beschrieben worden, auch die Schlüsselspieler Granit Xhaka, Jonathan Tah und Florian Wirtz wurden ausführlich durchleuchtet. Der Mann dahinter jedoch hält sich eher im Hintergrund. Dabei hat Sport­geschäftsführer Simon Rolfes das faszinierendste Bundesligaensemble zusammengestellt, das es seit vielen Jahren gab. Ein Werk, das man nun ein Jahr lang betrachten konnte und das immer neue Facetten zeigte. Eine schöner als die andere.

Irgendwann in dieser Saison stellte Alonso zufrieden fest, dass er „eine Mannschaft mit Seele“ trainiert, weil die Spieler im vorgegebenen System sich exakt so ergänzen, dass ihre Stärken aufleuchten und ihre Schwächen unsichtbar bleiben. Und zwar dauerhaft durch alle Phasen und Startelfumbauten hindurch.

Ausfälle sind kein Problem

Von großer Bedeutung war dazu die Transferarbeit des vergangenen Sommers, weil mit Victor Boniface, Jonas Hofmann, Granit Xhaka und Alejandro Grimaldo vier Spieler unter Vertrag genommen wurden, die das Team auf ein neues Niveau gehoben haben. Aber die vollständige Qualität dieses feinsinnig gewebten Kaders wurde erst im Laufe der Zeit sichtbar, als Boniface verletzt war, als es keine A-Elf mehr gab, als Alonso rotierte und die Mannschaft trotzdem immer besser wurde. Das sei „in der heutigen Zeit mit den vielen Spielen, die für die großen Vereine im Verlauf einer Saison anstehen, nicht zu unterschätzen“, hat Rudi Völler, Rolfes’ Vorgänger, neulich gesagt. Es sind die vielen kleinen Details, die dieses Team zu den „Invincibles“ machte, zu den Unbesiegbaren.

So ist das Defensivsystem mit der Dreierkette perfekt auf die Stärken der Abwehrspieler zugeschnitten: Jonathan Tah ist der umsichtige Organisator, der keine Fehler mehr macht, Edmond Tapsoba ist schnell und stark im Spielaufbau, während Odilon Kossonou kleine wendige Gegenspieler kontrollieren kann, obwohl er selbst eher groß und robust ist. Die Doppel­sechs mit Xhaka und Ezequiel Palacios harmonierte in der Hinrunde prächtig und wurde gar noch besser, als sich Palacios verletzte und Robert Andrich zum Einsatz kam. Florian Wirtz spielt ohnehin in einer ganz anderen Welt, besonders gut sichtbar wird die Faszinationskraft dieses Kaders jedoch an den Rollen der Flügelspieler Grimaldo und Jeremie Frimpong.

Frimpong kann seinen offensiven Überschwang ausleben, weil dahinter eine halbe Mannschaft bereitsteht, die Löcher zu füllen, die mitunter entstehen. So war es weniger dieser Spieler selbst, der sich zu einer Waffe entwickelte, sondern sein Umfeld. Grimaldo hat unterdessen diesen besonderen linken Fuß, der nicht nur flanken, sondern auch fabelhaft aufs Tor schießen kann. Und wenn einer der Flügelspieler fehlt, tauchen eben Nathan Tella oder mal Josip Stanisic auf, die die Rollen auf eigene Art, aber im Geist des Kollektivs übernehmen.

Es gibt zahlreiche weitere Details, die ähnlich funktionieren, selbst Torwart Lukas Hradecky spielt nicht immer, weil in den Pokalwettbewerben Matej Kovar Spielzeit erhält, womöglich sogar im Finale gegen Bergamo. „Ein Kader wird erfolgreich, wenn es ganz viele individuelle Erfolgsgeschichten gibt“, sagte Rolfes jüngst in einem Interview mit dem Spiegel. „Das Gefühl muss beim Spieler vorherrschen: Ich gebe etwas, aber ich bekomme auch ganz viel zurück.“ Selten hat dieses einfach Prinzip besser funktioniert in diesem Leverkusener Erfolgsumfeld.

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