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Letzter NSU-Prozess in Dresden„Dann sag die Wahrheit!“

Beate Zschäpe zeigt vor Gericht Erinnerungslücken zum NSU-Terror und beteuert Mitleid mit den Mordopfern. Die Angehörigen reagieren emotional.

Damals Angeklagte, jetzt Zeugin: Beate Zschäpe, hier im Juli 2018 am letzten Verhandlungstag des Münchener NSU-Prozesses Foto: Eibner-Pressefoto / Koehler/picture alliance
Konrad Litschko

Aus Dresden

Konrad Litschko

Irgendwann hält es Gamze Kubaşık nicht mehr aus. Als Beate Zschäpe minutenlang erzählt, dass es „keine im Ansatz vernünftige Erklärung“ für die NSU-Morde an den neun Migranten gegeben habe. Die Ausländerfeindlichkeit habe man schon früher gehabt, vor dem Abtauchen, in Thüringen. Aber Morde? „Ich kann es selber nicht erklären. Es ist ganz schlimm.“ Vielleicht eigene Frustration, um sich über andere zu stellen. „Wir waren kleine Würstchen.“

Völlig willkürlich seien die Opfer ausgewählt worden, fährt Zschäpe fort, nur wegen ihrer Herkunft. „Eigentlich ist diese Willkür sogar das Schlimmste.“ Die Opfer hätten ja nichts gemacht. „Es gibt für die Morde keine Entschuldigung. Ich werde es nicht gutmachen können.“ Wenn jemand so etwas ihrer Oma angetan hätte, würde sie es „niemandem verzeihen“.

Dann springt Gamze Kubaşık, die schon ganzen Vormittag und auch am Vortag die Aussage von Zschäpe im Oberlandesgericht Dresden verfolgt hatte, im Publikum auf. „Dann sag die Wahrheit! Du bist verantwortlich, dass mein Vater gestorben ist. Du hast mein Leben zerstört“, ruft sie, die Worte hallen über die Glasfront, hinter der Zschäpe sitzt. „Wer hat euch unterstützt?“

Zschäpe dreht sich zu Kubaşık um, antwortet nicht. Schnell aber legen ihr Justizwachtmeisterinnen Handschellen an – während Kubaşık von Wachtmeistern aus dem Saal gedrängt wird, unter Protestrufen von Zuhörenden. Noch auf dem Hof des Gerichts ruft Kubaşık: „Sie lügt.“ Auch ihre ebenfalls anwesende Mutter Elif Kubaşık ist aufgebracht. Beide Frauen weinen, werden von Bekannten getröstet.

Zschäpe gibt Lüge zu

Es war am 4. April 2006, als in Dortmund Mehmet Kubaşık erschossen wurde, mit zwei Kopfschüssen aus einer Ceska-Pistole, in seinem Kiosk. Es war der achte der zehn Morde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU), neun davon an Migranten. Für die Terrorserie wurde Beate Zschäpe 2018 vor dem Oberlandesgericht München zu lebenslanger Haft verurteilt, mit besonderer Schwere der Schuld. Ihre beiden Mittäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich 2011 bereits getötet, als sich der NSU selbst enttarnte.

In Dresden nun sagt Zschäpe im Prozess gegen ihre zu Untergrundzeiten beste Freundin Susann Eminger aus, der als Letzter noch eine Unterstützung des NSU vorgeworfen wird. Und Zschäpe räumt am Donnerstag erstmals ein, dass sie im Münchner NSU-Prozess, als sie am Ende schriftliche Angaben machte, gelogen hat. Dort hatte sie noch behauptet, von den Morden immer erst im Nachgang von Mundlos und Böhnhardt erfahren zu haben. In Dresden nun sagt Zschäpe, das sei „nicht richtig“ gewesen. Denn anhand von Vorbereitungen von Mundlos und Böhnhardt im Vorfeld habe sie durchaus gewusst, dass es wieder Morde geben werde, weil die Muster sich geglichen hätten. „Das hätte ich ergänzen müssen.“

Also ließ Zschäpe die Morde zumindest geschehen. Die Frage in Dresden ist nun: Weihte das Trio auch Susann Eminger ein? Dass Eminger ihr Papiere und Personalien lieh, räumt Zschäpe ein. Schon am Mittwoch hatte sie dazu ausgesagt, aber auch am Donnerstag bleibt sie bei ihrer Linie: Von den Terrortaten habe Susann Eminger nicht gewusst. Nur von den Raubüberfällen habe das Trio Susann Eminger und ihrem Mann André Eminger, der bereits in München verurteilt wurde, 2007 erzählt.

Zschäpe bestätigt auch, dass Susann Eminger mit ihrem kleinen Sohn Ende Oktober 2011 auch bei der Anmietung des Wohnmobils für den letzten NSU-Überfall in Eisenach dabei war. Dass dies für einen Überfall geschah, müsse ihr klar gewesen sein, schließlich seien die Emingers eingeweiht worden, sagt sie erst – später relativiert sie das. Andere Helfer, wie Matthias D. oder Max-Florian B., die Wohnungen beschafften, habe man dagegen nicht eingeweiht, beteuert Zschäpe. Diese hätten aber auch keine Fragen gestellt. Die Existenz weiterer Mittäter oder Helfer bei den Morden streitet Zschäpe ganz ab. „Das würde ich ausschließen.“

Viele offene Fragen

Ansonsten bleibt Zschäpe stets im Vagen, hat immer wieder Erinnerungslücken, die sie tags zuvor auch als „Haftschaden“ zu entschuldigen versuchte. Bei Antworten bleibt sie oberflächlich, vermag sich an Details nicht zu erinnern. Dass das Trio einen Schlüssel zur Wohnung der Emingers hatte, der im Brandschutt des letzten Verstecks in Zwickau lag? Keine Erinnerung. Wie Susann Eminger auf eine 900 Euro teure Reise ins Disneyland Paris reagierte, die das Trio ihr schenkte? Sie gehe davon aus, dass sich darüber gefreut wurde. Woher die Waffen des Trios kamen? Zschäpe bleibt vage: über „persönliche Beziehungen“. Und nennt nur Bekanntes: über den Szenefreund Thomas S., über einen Spieleladen in Zwickau – und der Weg der Ceska sei „ja bekannt“. Die weiteren Waffen? „Da kann ich nichts groß dazu sagen.“ Die Richterin fragt nicht weiter nach.

Es ist dieses Ausweichen, das die eigens angereisten Hinterbliebenen wie Gamze Kubaşık die Köpfe schütteln lässt – und nach Zschäpes Mitleidsbeteuerungen aufspringen lässt. Aber auch für das Gericht und die Bundesanwaltschaft sind noch Fragen offen. Zschäpe wird zu einem weiteren Befragungstermin im Januar vorgeladen.

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11 Kommentare

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  • Hinweis: Im Altonaer Museum in Hamburg ist noch bis Anfang Juli, kurz nach dem 25. Jahrestag des Mordes an Süleyman Taşköprü, die Ausstellung „Blutiger Boden –Die Tatorte des NSU“ zu sehen. Neben den Schwarzweißfotos der Orte, die Regine Schmeken fotografiert hat, ist vor allem der Erinnerung an Süleyman und die anderen neun Menschen, die ermordet wurden, Raum gewidmet.

  • Wenn Zschäpe Eminger belasten belasten würde, würde diese auspacken und dann wäre nichts mit Zschäpes Entnazifierungskurs an der Volkshochschule.

    Deshalb wird sie weiterhin die Geschichte von den 3 Täter:innen verbreiten.

    Unabhängig davon sehen wir, dass der Neofaschismus (nicht nur) in Deutschland wieder Morgenluft wittert. Grundlage ist eine Politik, die Spaltung und Sündenbocksuche als eines ihrer inhärenten Merkmale mit sich führt anstatt sozialen und zivilen Fortschritt nicht nur in Worten, sondern in Taten zu organisieren.

  • Man kann leicht nachvollziehen, wie unerträglich es für die Hinterbliebenen der Opfer des NSU sein muss, wie billig die Helfer und Helfershelfer der braunen Terrorbande wohl davonkommen werden.

    • @Tancrede:

      Ja, für die Familien ist das unerträglich.

      Aber jetzt mal ganz ehrlich, würden Sie sich bei begangenen Straftaten freiwilig verurteilen lassen, auch wenn es keine Beweise gibt.

      Und wenn es wirklich Mittäter gibt, was ja nicht bewiesen ist, wenn Frau Zschäpe diese verrät und mal wieder rauskommt, würde das für sie gefährlich werden.

      Frau Zschäpe muss wohl mindesten 17 Jahre Haft oder mehr absitzen und mehr geht nicht.

  • Von den Raubüberfällen hat das Ehepaar Eminger also gewusst. Meines Wissens ist das "Nichtanzeigen" einer solchen Tat strafbar.

    • @Il_Leopardo:

      Das gilt nur bei bestimmten Delikten und dann auch nur wenn die Tat zu dem Zeitpunkt noch verhindert werden kann. Die Emingers müssen also von der konkreten Planung oder Ausführung einer konkreten Tat vorher erfahren haben, als die konkrete Tat noch abwendbar war. Das sollte besonders nach so vielen Jahren unmöglich zu beweisen sein leider. Ein Problem dieses Prozesses ist leider, dass den Angehörigen immer vermittelt wurde, hier würden sie jetzt ihr Recht bekommen und Gerechtigkeit erfahren am besten noch mit einer gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung aller Misstände diese Landes. So laufen solche Verfahren aber nicht vor den Gerichten. So ist dann eine Enttäuschung vorprogrammiert wie in diesem Fall.

      • @Šarru-kīnu:

        Das gilt auch für Raub. Aber in einem Punkt stimme ich Ihnen zu. Man wird ihnen schwer beweisen können, dass sie Kenntnis von einem noch zu verhindernden Raub hatten - auch wenn es eine ganze Serie von diesen Delikten gab. Also ein Wissen, dass es nicht bei einem Raub bleiben wird, hatten die schon.

    • @Il_Leopardo:

      Wenn sie im nachhinein davon erfahren ist Nichtanzeigen nicht strafbar. Wenn vorher dann schon.

    • @Il_Leopardo:

      Nein, nur wenn man von geplanten schweren Straftaten weiß ist man zur Anzeige verpflichtet. Bei bereits begangenen Straftaten zählt keine Anzeigenpflicht.

      Grundsätzlich besteht keine Pflicht zur Anzeige von geplanten Straftaten. Wer zum Beispiel von einem geplanten Diebstahl erfährt, muss dies nicht anzeigen.

      www.kanzlei.law/st...aten%20k%C3%B6nnen.



      Grundsätzlich besteht keine Pflicht zur Anzeige von geplanten Straftaten.



      Etwas anderes gilt, wenn man von der Planung bestimmter, besonders schwerwiegender Straftaten erfährt. Erfährt man zum Beispiel von einem geplanten Mord, einem Raub oder einer Brandstiftung, muss man dies dem von der Straftat Bedrohten oder einer Behörde mitteilen.

      • @Martin Sauer:

        Bankraub zählt zu den schweren Delikten. Ansonsten siehe meine Antwort zu Šarru-kīnu weiter oben.

    • @Il_Leopardo:

      Das mag sein, nur ist diesbezüglich bereits Verjährung eingetreten. Alles unterhalb einer Beihilfe zum Mord ist inzwischen strafrechtlich ohne jede Relevanz.