Letzter NS-Scherge in den USA: Ermittlungen gegen KZ-Wachmann
Ein 94-jähriger Deutscher soll aus den USA abgeschoben werden, weil er im KZ-Außenlager Meppen-Dalum Aufseher war.
B. war von Januar bis März 1945 Aufseher im Außenlager des KZ Neuengamme. Dort mussten die Gefangenen Strafarbeiten verrichten. Auch bewachte er die Häftlinge im März 1945 nach der Auflösung des Außenlagers während des Marsches nach Neuengamme. Während dieses Marsches sollen rund 70 Häftlinge gestorben sein.
„Der Vorwurf, Beihilfe zur Tötung von Gefangenen geleistet zu haben, bezieht sich insbesondere auf die Bewachung des Marsches zur Evakuierung der Nebenlager“, sagt der Sprecher der Celler Generalstaatsanwaltschaft, Colin Arnold. Für seine Arbeit im KZ erhält B. bis heute eine Rente. Seinen Kriegsdienst verrichtete er ursprünglich bei der Marine.
Derzeit lebt B. noch im US-Bundesstaat Tennessee. Nach dem Krieg war er mit seiner Frau und seiner Tochter zunächst nach Kanada ausgewandert, 1959 dann weiter in die USA. Diesen März ordnete ein Gericht in Memphis seine Abschiebung an.
Beweise auf gesunkenem Schiff
B. war erst in die USA ausgewandert, als eine Vergangenheit als NS-Verbrecher nicht mehr von den amerikanischen Behörden verfolgt wurden. Allerdings können mit einem 1978 eingeführten Bundesgesetz NS-Verbrecher neuerlich abgeschoben werden. Laut dem US-Justizministerium geschah dies seither mit 67 Personen.
Zunächst als Außenlager des KZ Sachsenhausen errichtet, wurde Neuengamme bei Hamburg zum größten KZ im Nordwesten.
In ganz Norddeutschland mussten durch den Aufbau dutzender Außenlager die Häftlinge Zwangsarbeit leisten.
Die Häftlinge der Außenlager im Westen, unter anderem in Dalum, wurden zum Bau des „Friesenwalls“ gezwungen.
Mehr als 50.000 Inhaftierte starben in den Lagern oder auf den Todesmärschen zu Kriegsende.
Das US-amerikanische Justizministerium konnte B.s Dienst im KZ durch die Auswertung von Karteikarten nachweisen, auf denen seine Diensttätigkeiten notiert waren. Diese befanden sich 1945 auf den Schiffen Cap Arcona und Thielbek, auf die die KZ-Häftlinge des Neuengammer Außenlagers gebracht wurden, nachdem sie vor den vorrückenden Alliierten evakuiert worden waren. Aufgrund einer versehentlichen Bombardierung durch die Alliierten sanken sie in der Ostsee. Tausende Häftlinge starben.
Einige Jahre später wurden die Schiffe geborgen, die Karteikarte mit den Informationen über B. blieb erhalten. Durch zusätzliche Nachforschungen des U.S. Holocaust Memorial Museum konnten die Vorwürfe erhärtet werden.
Laut der Washington Post hat B. vor dem Gericht die Arbeit als Aufseher zugegeben. Entgegen der Ansicht des Justizministeriums will er dort aber nicht freiwillig Dienst getan haben. Auch habe er dabei keine Waffe getragen und sei ohnehin nur kurz im Lager gewesen. Das Gericht folgte jedoch der Ansicht der Anklagebehörde, wonach er sich freiwillig zu dem Dienst gemeldet haben soll. Der Washington Post sagte B. im Frühjahr, die Vorwürfe seien „lächerlich“. B. hatte nach dem Urteil Berufung eingelegt.
Letzter in den USA lebender NS-Verbrecher
Laut der Celler Generalstaatsanwaltschaft ist unklar, wann es zu einer Abschiebung kommen wird. Ohnehin ist laut US-Medien über die Berufung noch nicht entschieden worden.
Ob es in Niedersachsen zu einem Verfahren kommt, ist auch angesichts des Alters von B. fraglich. In Braunschweig platzte vor zwei Jahren ein Prozess gegen einen 96-jährigen mutmaßlichen NS-Verbrecher aufgrund dessen Gesundheitszustandes. Er war für verhandlungsunfähig erklärt worden.
Dabei dürfte es noch Monate dauern, ehe die Generalstaatsanwaltschaft im Fall B. Anklage erhebt. „Wir sichten derzeit noch die vorliegenden Unterlagen“, sagt Arnold.
Die Vorermittlungen wurden von der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg geführt, die bundesweit für die Aufklärung von NS-Verbrechen zuständig ist. Da die vorgeworfenen Taten im heutigen Niedersachsen stattfanden, übernimmt die Celler Generalstaatsanwaltschaft.
Soweit bekannt, ist B. der letzte in den USA lebende NS-Verbrecher. 2018 wurde der ehemalige KZ-Wächter Jakiv Palij von den USA nach Deutschland abgeschoben. Er starb kurze Zeit darauf mit 95 Jahren – ohne, dass Anklage erhoben wurde.
Zuletzt hatte die Hamburger Jugendstrafkammer einen 93 Jahre alten Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu einem versuchten Mord zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja