Letzte Generation wird überwacht: „Ich habe Zweifel“
Über Monate wurde das Pressetelefon der Letzten Generation abgehört – und damit auch Journalist*innen. Medienanwältin Renate Schmid sieht das kritisch.
taz: Frau Schmid, nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung wurde das Pressetelefon der Letzten Generation mindestens von Oktober 2022 bis Ende April dieses Jahres abgehört. Davon waren auch Journalist*innen betroffen. Warum ist das ein Problem für die Pressefreiheit?
Renate Schmid: Journalisten steht gesetzlich verankert ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das gilt generell für die Gruppe der Berufsgeheimnisträger. Dazu gehören Journalisten, aber zum Beispiel auch Juristen. Jetzt stellt sich die Frage: Wo spielt das in der Abhörmaßnahme eine Rolle? Für solch einen Beschluss braucht es grundsätzlich eine Interessensabwägung. Einerseits besteht der Wunsch, Aufklärung über eine mögliche Straftat zu erhalten. Andererseits das Interesse der betroffenen Person, nicht abgehört zu werden. Paragraf 160a in der Strafprozessordnung erklärt, dass zum Abhören der Gruppe der Berufsgeheimnisträger erhöhte Anforderungen vorliegen. Ihr Interesse ist im Rahmen der Abwägung besonders zu berücksichtigen, weil sie auf besondere Art und Weise geschützt sind.
Um kurz einen Schritt zurückzugehen: Was ist ein Zeugnisverweigerungsrecht?
Wenn ein Journalist über Sachverhalte berichtet, nehmen wir als Beispiel Recherchen der Süddeutschen Zeitung zu den Panama Papers, hat die Staatsanwaltschaft vielleicht Interesse daran, diesen Sachverhalt zu verfolgen. Sie möchte deswegen von Journalisten Quellen erfahren. Der betroffene Journalist muss aber nichts sagen und kann sich aufs Zeugnisverweigerungsrecht, den Quellenschutz und das Redaktionsgeheimnis berufen.
Was macht die Arbeit der Berufsgeheimnisträger*innen so besonders, dass sie diese Rechte haben?
Betrachten wir die Gruppe der Journalisten. Die Freiheit der Presse ist verfassungsrechtlich im Artikel 5 garantiert. Darunter fällt nicht nur die Veröffentlichung als solche, sondern auch die Recherchearbeit. Hätte ein Journalist kein Zeugnisverweigerungsrecht, könnte er nicht frei recherchieren. Er müsste immer damit rechnen, dass die Staatsanwaltschaft von ihm Informationen einfordert. Dasselbe gilt für Anwälte. Es ist wichtig, dass sich Personen, die mit Berufsgeheimnisträgern sprechen, sicher fühlen können.
Sie ist Rechtsanwältin bei WBS LEGAL mit Schwerpunkt Medien- und Presserecht. Sie berät Medienschaffende in allen rechtlichen Angelegenheiten.
Dennoch dürfen Gespräche von Journalist*innen in bestimmten Fällen abgehört werden.
Im Paragraf 160a der Strafprozessordnung steht grob übersetzt: Wenn man denkt, man könne aus einer Abhörmaßnahme Erkenntnisse erlangen, bei denen ein Journalist sonst Zeugnis verweigern könnte, dann muss der Umstand der Maßnahme, von der Journalisten betroffen sind, in einer Interessenabwägung besonders berücksichtigt werden.
Es heißt auch, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung nötig ist, um eine solche Maßnahme gegenüber Journalisten zu begründen.
Ja, und wenn ich mir die Abhöraktionen anschaue, dann habe ich erhebliche Zweifel daran, dass eine Abwägung stattgefunden hat. Entweder haben die Richter sich darüber gar keine Gedanken gemacht. Oder sie haben die Maßnahmen wegen eines starken Verfolgungsinteresses einfach angeordnet und zulasten der Journalisten entschieden. Auch das wäre in meinen Augen ein Fehler.
Vor dem Hintergrund des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung seien Abhörmaßnahmen verhältnismäßig gewesen, hieß es am Sonntag vom Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Der Rang der Pressefreiheit sei entsprechend gewichtet worden. Wie ordnen Sie diese Begründung ein?
Die Antwort wundert mich nicht. Irgendwie muss die Staatsanwaltschaft sich dazu verhalten. Ob die Faktenlage tatsächlich eine solche Anordnung gerechtfertigt hat, muss in der Überprüfung des Beschlusses festgestellt werden.
Wann wäre denn eine solche Anordnung gerechtfertigt?
Grundsätzlich darf die Telekommunikation ohne Wissen der Betroffenen dann überwacht und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Tatverdacht von schweren Straftaten begründen. Das ergibt sich aus Paragraf 100a der Strafprozessordnung. Was unter schwere Straftaten fällt, ist dort explizit aufgeführt. Der Letzten Generation steht zwar im Gegensatz zu den Berufsgeheimnisträgern kein Zeugnisverweigerungsrecht zu, aber auch bei ihr muss eine Interessenabwägung stattfinden. Die Forderungen der Letzten Generation sind wirklich moderat.
Dass sie sich auf die Straße kleben, ist, blickt man ins Strafgesetz, eine Nötigung. Es ist aber keine schwere Straftat, die grundsätzlich Abhörmaßnahmen erfordern würde. Wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen Vereinigung gab es die Razzien bei der Letzten Generation. Aber renommierte Juristen sind sich auch in diesem Punkt einig darüber, dass das unverhältnismäßig war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels