Leiter der UN-Klimakonferenz al-Jaber: Der Mann der fantastischen Chancen
Sultan al-Jaber leitet den Ölkonzern der Emirate – und die Weltklimakonferenz. Schon vor deren Start kam raus: Die Gastgeber missbrauchten ihre Rolle.
Um die Konferenz vorzubereiten, organisierte das COP-Team Ministertreffen mit Regierungen aus der ganzen Welt. Gastgeber dieser Treffen war COP-Präsident Sultan Ahmed al-Jaber – der gleichzeitig den Staatsölkonzern Adnoc aus Abu Dhabi leitet.
Für al-Jaber wurden danach Vorschläge für „Gesprächspunkte“ vorbereitet: Gegenüber China sollte er ansprechen, dass Adnoc gemeinsame Flüssigas-Projekte in Mosambik, Kanada und Australien „evaluieren“ wolle. Einem kolumbianischen Minister sollte er mitteilen, dass Adnoc „bereit“ sei, Kolumbien bei der Erschließung seiner fossilen Ressourcen zu unterstützen.
Für 13 weitere Länder, darunter Deutschland und Ägypten, gab es offenbar ähnliche Angebote. Auf die Leaks angesprochen, bestritten Vertreter der VAE gegenüber der BBC nicht, die COP-Vorbereitungstreffen fürs Business genutzt zu haben. Der Inhalt aber sei „privat“.
Noch nie leitete ein Fossil-Manager die COP
Genau so eine Interessenskollision befürchteten viele, als die Emirati al-Jaber Anfang des Jahres zum Präsidenten der COP ernannten. Über 130 EU- und US-Abgeordnete forderten in einem offenen Brief dessen Absetzung. Es sei „eine andere Führung notwendig, um sicherzustellen, dass die COP ein ernsthafter und produktiver Klimagipfel wird,“ schrieben sie.
Al-Jaber verteidigte seine Ernennung: Auch die Öl- und Gasindustrie müsse mit am Verhandlungstisch sitzen. „Man muss alle einbeziehen“, sagte er dem Guardian. Eine Interviewanfrage der taz lehnte Adnoc ab.
Max Holmes, Präsident des US-Klimaforschungsinstituts Woodwell Climate Research Center, sieht Positives an der Ernennung von al-Jaber. Mit ihm sei die Aufmerksamkeit für die COP größer. Und: „Sie können sich keine Fehler erlauben, weil alles genau beobachtet wird,“ sagt Holmes der taz.
Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Öl- und Gaslobbyisten bei den Klimakonferenzen dabei sind. Genau 636 waren es bei der Klimakonferenz in Ägypten im vergangenen Jahr, so die NGO Global Witness. Doch noch nie leitete ein Fossil-Manager die COP.
„Seine Achillesferse“
Martin Kaiser von Greenpeace hat al-Jaber bei einem Treffen in Berlin im Frühjahr auf den Interessenskonflikt angesprochen. Der habe nicht mehr aufgehört zu reden: „Wie großartig die VAE seien, wegen der erneuerbaren Energien und grünem Wasserstoff, dass es die beste COP aller Zeiten werde“, sagt Kaiser. Nur zum Interessenskonflikt habe er nichts gesagt. „Es ist klar, dass ihn das ziemlich anfasst. Es ist seine Achillesferse.“
Dabei tritt al-Jaber in der Öffentlichkeit sonst sehr selbstbewusst auf. Bei Veranstaltungen in den USA oder Europa trägt der 50-Jährige fast immer Anzug und Krawatte, in den VAE präsentiert er sich in der weißen langärmligen Kandura. Seine Reden sind auf den Punkt, fehlerfrei und mit Pausen zur Betonung des Gesagten.
„Jemand so Selbstbewusstem bin ich bisher selten begegnet“, sagt Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Er lernte al-Jaber bei einem Treffen mit Umweltverbänden kennen. Dort habe er mit perfektem Benehmen geglänzt. Ein „blitzgescheiter, hochgebildeter und sehr ehrgeiziger Mann.“
Nur so ist wohl zu erklären, dass al-Jaber einen so hohen Posten in den VAE innehat, der sonst Angehörigen der Königsfamilie vorbehalten wäre. Al-Jaber habe sich bei dem Treffen alles höflich angehört, erzählt Müller-Kraenner. Dann aber habe er angefangen zu dozieren: „‚Ich erkläre Euch mal, wie das funktioniert‘, mit einem an Arroganz grenzendem Selbstbewusstsein“, meint Müller-Kraenner.
Fossile Industrie will Produktion nicht senken
Die Emirate seien sehr bemüht, die COP zum Erfolg zu machen. Schon bei der Akkreditierung sei die Organisation spürbar. „Das hilft ja schon mal“, so Müller-Kraenner. Alles sei perfekt vorbereitet, al-Jaber reise dafür seit Monaten um die Welt. Er sei „ein Profi, die haben ihren besten Mann auf den Posten gesetzt“, sagt Müller-Kraenner. „Man muss nur aufpassen wie ein Luchs, dass es kein falsches Ergebnis gibt, zugunsten der Öl- und Gasindustrie.“
Für die VAE sind diese Branchen immens wichtig: 2021 machten die Fossilen mehr als die Hälfte der Exporte der Emirate aus. Die von 50 NGOs zusammengestellte Global Oil Gas Exit List zeigt, ob die Pläne der gelisteten Unternehmen mit dem Fahrplan der Internationalen Energieagentur hin zu Netto-Null-Emissionen bis 2050 vereinbar sind. Adnoc plant danach aktuell die höchste absolute Überschreitung in der gesamten Branche.
„Die fossile Industrie will die Produktion nicht senken, der Markt läuft fantastisch, sie wollen Geld machen“, sagt dazu Svein Tveitdal. Er war Vize-Direktor des UN-Umweltprogramms UNEP, heute leitet er den norwegischen Thinktank Klima 2020. Jeder Mensch mit Ölinteressen am Tisch sei bei Klimaverhandlungen „einer zu viel. Und dann auch noch in so einer hohen Position.“ Tveitdal fürchtet, dass al-Jaber seine Position ausnutzen wird, damit auf der COP nicht wie geplant der Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle vereinbart wird.
Christoph Bals, Geschäftsführer der NGO Germanwatch, sprach beim Petersberger Klimadialog und verschiedenen Onlineveranstaltungen mit al-Jaber. Wenn es dabei um kritische Themen ging, habe al-Jaber teilweise an Kollegen übergeben, erzählt Bals. „Man konnte aber über alles reden. Al-Jaber ist als zielorientierter Manager aufgetreten, der zu Ergebnissen kommen will“, sagt Bals. Die Frage sei nur, ob al-Jabers Lösungen auch im Sinne der Pariser Klimaziele seien.
Nach außen gibt sich al-Jaber grün
Allerdings sei seine Bereitschaft, über eine Senkung der Öl- und Gasproduktion zu sprechen, gewachsen. Auf dem UN-Klimatreffen in New York im September hatte al-Jaber das Herunterfahren von fossilen Brennstoffen „unumgänglich“ bezeichnet. Für Bals ein Fortschritt, denn noch im Frühjahr habe er darauf beharrt, dass „lediglich die Emissionen eingedämmt“ werden müssen.
Einen Förderstopp bei Adnoc will al-Jaber jedoch nicht. „Warum sollte ich das tun? Wir haben uns transformiert, wir haben dekarbonisiert“, sagte er dem Guardian. Adnoc wolle bis 2045 „Net Zero“ erreicht haben. Immer wieder behauptet der Sultan, dass Öl und Gas aus den VAE „emissionsärmer“ sei als anderes.
Genau wie Saudi-Arabien setzt al-Jaber auf technische Fortschritte wie Kohlenstoff-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Dies sei ein häufig genutztes Argument der Öl- und Gasindustrie, um „weiterhin Profit rauszuschlagen“, so Martin Kaiser von Greenpeace. Er sieht „eine fast noch nie da gewesene Kommunikationsoffensive der fossilen Industrie.“
Nach außen gibt sich al-Jaber schon seit einiger Zeit grün. Auf seiner eigenen Webseite wimmelt es von Windrädern, „Climate Action“, „Renewables“. Hier sind Videos seiner Reden vom Petersberger Klimadialog oder dem Klimagipfel in New York zu sehen. „Uns läuft die Zeit davon, aber es ist noch nicht zu spät, den Kurs zu korrigieren“, erklärt al-Jaber dort. Treibhausgasemissionen müssten dafür „gemeinsam reduziert“ werden.
Als Adnoc-Manager spricht al-Jaber eine andere Sprache
Die Doppelrolle zwischen Klimaschutz und Öl- und Gasbranche spielt er schon länger. Seine Karriere beginnt 1998 mit 25 Jahren als Ingenieur bei Adnocs Gas-Sparte. 2006 wendet er sich den Erneuerbaren zu, gründet auf Anweisung der VAE-Führung Masdar mit – eines der heute weltweit größten Unternehmen für erneuerbare Energien. Während seiner sieben Jahre an der Spitze von Masdar baut er das Vorzeigeprojekt Masdar City mit auf, eine Ökostadt in Abu Dhabi.
Das Unternehmen nennt sie die „weltweit nachhaltigste Stadt“, kohlenstoff- und abfallarm. 2014 wird al-Jaber Vorsitzender von Masdar, 2016 dann CEO von Adnoc. Er baut die Ölproduktion des Landes aus – und ist gleichzeitig „Sondergesandter“ der VAE für den Klimawandel. Den Posten bei Adnoc will er auch während seiner COP-Präsidentschaft nicht niederlegen.
Seine Äußerungen als Manager von Adnoc stehen in starkem Kontrast zu seinen grünen Signalen. Auf der Konzernwebsite schreibt er, er gehe davon aus, dass der Erdölverbrauch bis 2040 trotz „einiger Hype-Meldungen“ um mindestens 10 Millionen Barrel pro Tag steigen werde. Auch die Nachfrage nach Erdgas werde steigen, genau wie die nach Petrochemikalien und Polymeren. „Das Wachstum zeigt uns eines“, so al-Jaber: „Wir stehen an der Spitze eines neuen Zeitalters der Chancen für unsere Industrie“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz