Leistungsverweigerung als Pose: Yalla, bye!
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der alle funktionieren müssen. Unser Autor setzt dagegen ein Zeichen – verweigert seine Kolumne.
W ir sollen in dieser Gesellschaft alle funktionieren. Einige sollen Bitteschön mindestens doppelt so gut funktionieren. Und in diesem Hyperfunktionieren bin ich ein Champion.
Deswegen habe ich mich gefragt: Was würde wohl passieren, wenn ich mal nicht auf die entsprechenden Tasten drücke? Was würde passieren, wenn ich für diese Kolumne einen einzigen Satz abgebe? So vielleicht: Heute will ich nicht funktionieren.
Ich könnte wie Taylor Swift mit ihren „Ich bin das Problem“-Songs erfolgreich (ironisches Wort in diesem Kontext) werden, ich könnte aber auch stolpern und fallen. Weil vermeintliche Dysfunktionalität in dieser von Rassismus, Heteronormativität, Sexismus und Ableismus geprägten und durchkapitalisierten Leistungsgesellschaft sanktioniert wird.
Nachdem mir vor mehreren Wochen schon das Konzept (haha!) für die Ein-Satz-Kolumnen-Performance in den Kopf gekommen ist, folgten noch mehr Fragen: Bleibt auf Papier der Kolumnenplatz blank? Und Online!? Warum denkt niemand an Online? Was passiert da? Nichts? Bekomme ich das volle, bescheidene taz-Zeilen-Geld für freie Autor*innen überwiesen?
Macht das überhaupt einen Unterschied? Und die Chefredaktion!? Werde ich alle Menschen, die mir seit Jahren die progressive Floskel „Danke für deine ARBEIT“ zurufen, endlos enttäuschen?
Jetzt stehe ich hier schon seit einer halben Kolumne, eigentlich seit Wochen, oben auf dem Sprungbrett und springe nicht ins kalte, angsteinflößende, ungewisse Wasser. Wisst ihr was? Ich mache das jetzt einfach.
Yalla, bye!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag