Warnstreiks bei der Deutschen Post: Auftakt eines harten Arbeitskampfs

Nach zwei ergebnislosen Tarifverhandlungsrunden erhöht Verdi den Druck auf den Postkonzern. Die Gewerkschaft fordert viel – und kann viel verlieren.

Zwei Streikende stehen vor stillstehenden Postautos

Verdi-Warnstreik: Alle Räder stehen still – nicht nur am Zustellstützpunkt der Deutschen Post DHL in Rostock Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Bislang folgt der Tarifkonflikt bei der Deutschen Post den gewohnten Ritualen. Nach zwei ergebnislosen Verhandlungsrunden, die sich darauf beschränkten, dass die Gewerkschaft etwas fordert, was die Arbeitgeberseite brüsk ablehnt, gibt es erstmal einen kräftigen Warnstreik. Und in der dritten Runde wird dann endlich ernsthaft verhandelt. So war es bisher stets. Es ist eine seit langem eingeübte enervierende Praxis.

Warum geht es nicht anders? Verdi hat schließlich bereits Mitte November vergangenen Jahres die Tarifforderung für die rund 160.000 Postbeschäftigten gestellt. Die Konzernführung hätte also genug Zeit gehabt, um vor dem jetzigen temporären Ausstand ein eigenes verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen. Stattdessen spielt sie lieber die üblichen Spielchen.

Wenn der Postvorstand nun Krokodilstränen vergießt, die Verdi-Warnstreiks seien doch „unnötig, da sie letztlich nur zu Lasten unserer Kundinnen und Kunden gehen“ würden, ist das wohlfeil und unredlich. Er trägt die Verantwortung dafür, dass unzählige Briefe und Pakete erst mit tagelanger Verzögerung ihr Ziel erreichen werden. Es ist ganz einfach: Wenn sich die Arbeitgeberseite nicht bewegt, zwingt das die Arbeitnehmerseite, ihre Muskeln spielen zu lassen.

Die wirklich spannende Frage ist allerdings, was daraus folgt. Denn einiges spricht dafür, dass es diesmal nicht bei den üblichen Ritualen bleiben wird: Es fehlt die Vorstellungskraft, wie in der dritten Verhandlungsrunde am 8. und 9. Februar eine Einigung erreicht werden könnte. Das Arbeitgeberangebot dürfte vielmehr so deutlich unter der Verdi-Forderung bleiben, dass eine Annäherung nur sehr schwer denkbar erscheint.

Verdi in Bringschuld

Mit ihrer auf den ersten Blick aberwitzig klingenden Forderung nach einer Lohnsteigerung für die Postbeschäftigten von 15 Prozent liegt Verdi deutlich über dem Anspruch eines Inflationsausgleiches, der ansonsten für die Gewerkschaften im Zentrum der Tarifauseinandersetzungen in diesem Jahr steht. Gleichwohl macht das die Forderung nicht falsch, sie ist vielmehr durchaus gut begründet.

Immerhin ist die Deutsche Post eine klassische Krisengewinnerin, die während der Coronapandemie massiv ihren Umsatz und ihre Gewinnmargen steigern konnte. Das sieht in etlichen anderen Branchen anders aus. Zudem wurden die Milliardengewinne des DAX-Konzerns in den vergangenen beiden Jahren auch dadurch befördert, dass der letzte Tarifabschluss im Herbst 2020 ein äußerst bescheidener war.

Verdi steht bei den Beschäftigten in einer Bringschuld, es diesmal besser zu machen. Schließlich handelt es sich hier nicht um Gutverdiener:innen, wie den Vorstandsvorsitzenden Frank Appel, der bei einem Jahressalär von rund 10 Millionen Euro eher weniger Probleme mit steigenden Lebenshaltungskosten hat: 140.000 der 160.000 Post-Mitarbeiter:innen erhalten ein Monatsgrundentgelt zwischen 2.108 und 3.090 Euro brutto. Die Verdi-Forderung ist daher nicht verkehrt, aber sie ist riskant.

Die Erwartungshaltung der Beschäftigten ist hoch. Sie zu erfüllen, wird jedoch schwer werden. Obwohl das vergangene Jahr das erfolgreichste in der Unternehmensgeschichte war, ist bislang nicht zu erkennen, dass der Postvorstand bereit ist, die eigenen hohen Renditeziele signifikant zugunsten der Beschäftigten zurückzuschrauben.

In der Vergangenheit hat die Konzernführung um den Vorstandsvorsitzenden Appel jedenfalls kaum Zweifel daran gelassen, dass für sie Aktionärsinteressen und eigene Boni Vorrang haben. So dürften die derzeitigen Warnstreiks nur ein kleiner Auftakt für einen weitaus härteren Arbeitskampf sein. Noch ist jedoch nicht absehbar, wie kampffähig und -willig Verdi tatsächlich ist. Wie weit reicht der Atem? Die Gefahr für Verdi, ihre Mitglieder zu enttäuschen, ist groß.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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