Leistungen für Geflüchtete: Länder einigen sich auf Bezahlkarte
Geflüchtete sollen künftig einen Teil ihrer Leistungen auf Karten ausgezahlt bekommen. Aktivist*innen fürchten, es gehe vor allem um Abschreckung.
Mit der Einigung wollen die Länder einen Beschluss vom November umsetzen, als sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Länderchef*innen auf die Grundzüge des Bezahlkartenmodells verständigt hatte. Das Papier vom Mittwoch sieht vor, dass Geflüchtete künftig mindestens einen Teil ihrer Leistungen auf eine Karte ausgezahlt bekommen, die staatlicher Kontrolle unterliegt. Die Leistungen werden damit nicht auf ein normales Konto überwiesen oder in bar ausgezahlt.
Laut Hessischer Staatskanzlei soll es sich um eine „guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion ohne Kontobindung“ handeln. Welcher Anteil der Leistungen auf der Karte landet und wie viel Geld die Geflüchteten bar oder auf ihr reguläres Konto überwiesen bekommen, sollen die Länder individuell entscheiden können. Mit der Karte soll es prinzipiell nicht möglich sein, Geld zu überweisen oder im Ausland zu bezahlen.
Rein technisch soll die geplante Karte in allen Branchen und überall innerhalb Deutschlands genutzt werden können, allerdings soll die Nutzung von den Ländern „regional eingeschränkt“ werden können. Außerdem sollen bestimmte Branchen ausgeschlossen werden können. In Geschäften ohne Kartenlesegeräte kann sowieso nicht bezahlt werden, dies schließt Geflüchtete etwa von zahlreichen Second-Hand-Läden aus. Ebenfalls unmöglich dürfte es mit der neuen Karte sein, online zu bestellen.
Weniger Verwaltungsaufwand für die Kommunen
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein sagte am Mittwoch in einer Mitteilung: „Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen, und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität.“
Andrea Kothen von Pro Asyl nannte das Bezahlkarten-Modell am Mittwoch ein „Diskriminierungsprogramm ohne Sinn und Verstand“. Sie sagte der taz: „Es ist ja offenkundig, dass Geflüchtete mit schlechteren Lebensbedingungen abgeschreckt werden sollen. Sie gehe davon aus, dass sich die tatsächliche Ausgestaltung des Bezahlkarten-Systems von Land zu Land unterscheiden dürfte: „Alle Diskriminierungsformen sind möglich.“ Nach wie vor liege es in der Verantwortung der einzelnen Länder, auf die Bezahlkarte zu verzichten oder für eine diskriminierungsfreie Anwendung zu sorgen.
Insbesondere in Berlin gab es ebenfalls scharfe Kritik an der Einigung und der Zustimmung des Berliner Senats. Diakonie-Vorständin Andrea Asch, erklärte am Mittwoch, eine eigenständige Lebensgestaltung für Asylbewerber werde dadurch erschwert. Es sei nicht nachvollziehbar, wie Verwaltungskosten eingespart werden könnten, wenn jährlich zehn Millionen Euro für das Kartensystem ausgegeben werden. „Die Menschenwürde darf nicht wieder auf der Welle populistischer Ideen den Kürzeren ziehen.“
Bislang gibt es Bezahlkarten nur an einzelnen Orten in Deutschland, so etwa in Hannover. Dort ist das Modell allerdings so gestaltet, dass es das Leben von Geflüchteten deutlich vereinfacht. Die dortige „socialCard“ unterscheidet sich in ihren Funktionen nicht von einer normalen Girokarte, funktioniert aber ohne Konto bei einer Bank. Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay sagte der taz am Mittwoch dazu: „Hannover verfolgt mit der SocialCard das Ziel, geflüchteten Menschen einen diskriminierungsfreien Zugang zu bargeldloser Bezahlung zu ermöglichen.“ Ob die Stadt Hannover ihr liberales Modell trotz der Einigung vom Mittwoch weiterführen kann, ist unklar.
Kai Weber, Geschäftsführer des Flüchtlingsrat Niedersachsen sagte dazu nun: „Von der rot-grünen Landesregierung erwarten wir, dass sie sich ein Beispiel an der Stadt Hannover nimmt und die Bezahlkarte in Niedersachsen diskriminierungsfrei gestaltet.“ Die Idee Geflüchtete abschrecken zu wollen, indem man sie schlechter behandele sei „menschlich schäbig und verfassungswidrig“.
Diesen Weg könnte auch Mecklenburg-Vorpommern gehen, das ein separates Kartenprogramm plant, welches explizit „diskriminierungsfrei“ sein soll. Ebenfalls einen eigenen Weg hat Bayern im Blick. Die dortige Landesregierung plant allerdings ein Bezahlkartensystem, das noch einmal deutlich restriktiver ist als das, worauf sich die restlichen Bundesländer am Mittwoch geeinigt haben.
Aktualisiert am 31.01.2024 um 14:20 Uhr. d. R.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken