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Leistungen für Dublin-FlüchtlingeDas eigentliche Problem übersehen

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Ampel will Dublin-Geflüchteten alle Leistungen streichen. Doch das wird nichts bringen, da die eigentlich zuständigen EU-Staaten Abschiebungen verhindern.

Geflüchtete verlassen die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen am Standort Braunschweig, Oktober 2023 Foto: Julian Stratenschulte/dpa

D ie Ampel-Koalition will Leistungen für Dublin-Flüchtlinge in vielen Fällen auf null reduzieren. Das ist einer der wesentlichen Punkte des sogenannten Sicherheitspakets, das die Ampel-Koalition am Donnerstagnachmittag vorstellte.

Von Dublin-Flüchtlingen spricht man, wenn ein Flüchtling nach den Dublin-Regeln der EU Anspruch auf ein Asylverfahren in einem anderen EU-Staat hat, insbesondere weil er dort erstmals EU-Boden betrat. Dann muss er in diesen Staat zurückkehren.

Die Koalition hat nun beschlossen, dass Asylsuchende in Deutschland keinen Anspruch mehr auf Sozialleistungen haben, sobald der eigentlich zuständige Staat der Rücküberstellung zugestimmt hat. Justizminister Marco Buschmann (FDP) hofft, dass Betroffene dann freiwillig in das zuständige Land ausreisen.

Buschmann hatte bereits Ende 2023 gemeinsam mit FDP-Chef Christian Lindner gefordert, dass Dublin-Flüchtlinge nur noch die Fahrkarte in den zuständigen EU-Staat erhalten sollen.

Bett, Brot und Seife ist bereits aktuelle Praktik

Manche Medien berichten nun, dass ausreisepflichtige Dublin-Flüchtlinge nur noch „Bett, Brot und Seife“ bekommen sollen. Das ist wohl ein Missverständnis. Die Reduzierung der Leistungen für ausreisepflichtige Dublin-Flüchtlinge auf Essen, Unterkunft sowie „Körper- und Gesundheitspflege“ ist bereits derzeitige Rechtslage. Nur bei besonderen Umständen können auch weitergehende Leistungen für den persönlichen Bedarf gewährt werden. Diese bereits 2015 eingeführte Kürzungsmöglichkeit wird von den Ausländerbehörden auch genutzt.

Bei der nun geplanten Reform geht es tatsächlich um einen völligen „Ausschluss“ der Leistungen. Wie dies in der Praxis dann aussehen wird, ist allerdings noch offen. Faktisch wird wohl niemand hungern müssen, aber dann vielleicht nur noch Sachleistungen für Obdachlose erhalten. Aber das ist derzeit noch Spekulation.

Wahrscheinlich rechtmäßig

Die Organisation Pro Asyl hat die Pläne der Koalition massiv kritisiert, sie seien „absehbar verfassungswidrig“. Zu Recht weist Pro Asyl darauf hin, dass Sozialleistungen nicht zur bloßen Abschreckung gestrichen oder willkürlich gekürzt werden dürfen.

Allerdings geht es hier nicht um abstrakte Abschreckung, sondern um Durchsetzung der geltenden Dublin-Regeln. Flüchtlinge haben danach in der EU zwar Anspruch auf ein Asylverfahren, können sich aber den Zielstaat nicht aussuchen. Es dürfte daher nicht verfassungswidrig sein, Asylsuchende darauf zu verweisen, dass sie in anderen EU-Staaten Anspruch auf Ernährung und Unterkunft haben.

So hat das Gericht bereits 2022 in einem anderen Fall erklärt, dass der Gesetzgeber von Asylsuchenden durchaus verlangen kann, „an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen“. Dazu passt auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV-Sanktionen von 2019. Danach können die Sozialleistungen ausnahmsweise vollständig versagt werden, wenn die „Aufnahme einer angebotenen zumutbaren Arbeit“ abgelehnt wird. Denn damit habe es der Bedürftige in der Hand, seine menschenwürdige Existenz selbst zu sichern.

Die Reform wird kaum etwas ändern

Das eigentliche Problem ist das Dublin-System selbst, wonach Deutschland fast nie für Asylverfahren zuständig wäre, weil es keinerlei EU-Außengrenzen hat. Das ist offensichtlich ungerecht und es ist deshalb gut nachvollziehbar, dass die EU-Staaten, die an den EU-Außengrenzen liegen, das Dublin-System unterlaufen, wo es geht.

Da die Streichung der Sozialleistungen für Dublin-Flüchtlinge zu Recht an die konkrete Aufnahmebereitschaft des zuständigen EU-Staats geknüpft ist, wird es also wohl auch künftig viele Dublin-Flüchtlinge geben, die in Deutschland bleiben können und auch versorgt werden – weil nicht sie die Überstellung verhindern, sondern der zuständige EU-Staat.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Danke für die gute Sachanalyse. Mit anderen Worten. Wir haben mal wieder einen Sturm im politischen Wasserglas weil die EU-Abkommen einfach nicht gelebt werden. So ganz nebenbei haben dann wohl auch viele gewünschte Fachkräfte bei einer derartigen Wilkommenskultur keine Lust mehr auf Deutschland.

  • wiedermal ein Artikel in dem beschrieben wird was alles nicht geht.



    Wir brauchen Lösungen - nicht Gründe warum man Probleme nicht anpacken kann!

  • Die Dublin Regel ist ja nun wirklich völliger Blödsinn,.



    Asylsuchende sollten in jedem EU-Land oder im die lebensgefährlichen Routen zu vermeiden auch in jedem Konsulat einen Antrag stellen und dann nach einem Schlüssel in allen EU Ländern aufgeteilt werden.

    • @Jesus:

      Die Dublin Regel haben die stärksten EU Länder durchgesetzt, weil zum Beispiel in Deutschland niemals ein Flüchtling die Füße auf den Boden setzt, ohne vorher in einem anderen EU-Staat gewesen zu sein.



      Und solange die Profiteure dieser Regel nicht einsehen, dass die Regel weg muss, wird sich nichts ändern. Deutschland bremst hier ganz bewusst.

    • @Jesus:

      Afrika hat also keinerlei Pflichten sich um Bürger der AU zu kümmern?

    • @Jesus:

      Ja. Aber das ist nicht durchsetzbar.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Wieso ist das nicht durchsetzbar, Deutschland hat ja den beschrieben Vorteil gar nicht. Die geflüchteten sind ja trotzdem hier und können aufgrund der Dublin Regel weder abgeschoben noch integriert werden. Also hat niemand was davon.

  • Es geht bei der neuen Regelung doch gar nicht um Abschiebungen, sondern darum, dass die Leute selbst wieder in das Land reisen, das für sie zuständig ist. Das ist auch im Sinne der Idee zumutbar, dass sie "selbst an der Überwindung der Hilfsbedürftigkeit mitwirken".

  • Es wird hierzulande auch weitgehend ignoriert, dass Deutschland sich in der Merkel Ära äußerst unsolidarisch gegenüber den Mittelmeerländern verhalten hat. Schäuble hat damals die Hilfeersuche von Griechenland und Italien lapidar mit "man sei nicht zuständig" abgetan und auf das Dublin-Abkommen verwiesen. Seit 2015 hat sich der Wind gedreht und Deutschland bekommt jetzt die Folgen seines damaligen Verhaltens zu spüren. Nennt sich ausgleichende Gerechtigkeit.

    Davon abgesehen bedarf es einer grundsätzlichen Reform des Dublin-Abkommens. Gerade das Blockadeverhalten mancher Osteuropäer ist nicht länger akzeptabel. Belegt schon ein Blick in die Statistik der Asylanträge für 2023. Ungarn (30), Tschechien (1130), Polen (7720). Zum Vergleich Deutschland (329.000), Spanien (160.000).

    Statista - Anzahl Asylbewerber EU Staaten 2023

    de.statista.com/st...20Asyl%20entfallen.

    • @Sam Spade:

      Na ja, beim Geld hört die Freundschaft und die Solidarität halt auf. Aber wer treibt denn die EU immer weiter in den Osten? Nun sollen die Ukraine, Georgien, Moldawien, Serbien, Kosovo und auch noch (immer) die Türkei dazu kommen. Besser wird's für uns bestimmt nicht, aber deutlich schlechter.



      Wir geben den Ukrainern Bürgergeld und OHNE dass die ihre Vermögensverhältnisse offen legen müssen. Das MUSS sonst jeder Bürger hier machen, auch wenn er oder sie z.B. 45 Jahre hier schon gearbeitet haben ....

  • "Das eigentliche Problem ist das Dublin-System selbst,"



    Das ist ein Satz, den man jedem Artikel über Asyl voranstellen sollte.

    Die Staaten an der Außengrenze der EU, haben kein Problem, weil sie jeden durchlassen, der nicht als illegale billige Arbeitskraft gebraucht wird. Die Staaten im Osten haben kein Interesse, die Folgen kolonialer und imperialer Abenteurer von Frankreich/UK/USA kompensieren zu wollen.

    Was übrig bleibt ist ein Gemenge aus induzierter Schuld, fehlenden Geschichtskenntnissen und dem Wunsch, die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse durch die Hintertür zu verändern.

    Wer das ändern wollte, müsste den Asylprozess auf dem Boden eines nicht EU Staates, jedoch nach EU Regeln, einschließlich gerichtlicher Überprüfung, durchführen. Bei Ablehnung erfolgt die Rückführung zu dem letzten Aufenthaltsort.

    Wenn Staaten durch ihr eigenes Handeln/Versagen, etwa die Umgehung der Drittstaatenregelung, ad absurdum führen, müssen sie sich über die Folgen nicht wundern. Das schließt innenpolitische Reaktionen mit ein.

  • Alle EU-Staaten inklusive Schweiz hintertreiben Dublin und drücken Geflüchtete Richtung Deutschland. Auch in den Niederlanden gibt es dann keine Leistung, keine Krankenversicherung, dann fährt man ein paar Kilometer und kommt woanders unter, in Belgien leben einige Geflüchtete auf der Straße sind obdachlos.



    Und Griechenland und Italien können auch aufnehmen, aber sie wollen nicht, Italien macht einen großen Unterschied zwischen Geflüchteten und illegalen Arbeitskräften, letztere sind erwünscht und erzeugen im Agrar oder Bekleidungsbereich viele Waren, aber als dauerhafte Zuwanderung will man keine Migranten mehr.

    Das Problem ist, dass die EU überall Asylgesetze hat, sie aber sehr unterschiedlich gehandhabt werden. Daran können Merz und Scholz nicht viel ändern. Insofern ist viel heiße Luft im Spiel. Es nützt den Rechtsextremisten.

  • Es wird vielleicht durchdringen, dass nur diejenigen mit Asylanspruch finanzielle Unterstützung erhalten.



    Das wäre positiv.

    Wenn die Länder sie nicht zurücknehmen, wird die Kriminalität massuv steigen.



    Das wäre angesichts der nächsten Wahl mehr als negativ.