Leistungen für Asylbewerber:innen: Juristisch fragwürdig
Die Vorschläge der Bundesregierung zur Asylrechtsverschärfung sind inhuman. Sie dürften zudem einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten.
N ach dem Anschlag in Solingen ist eine besorgniserregende Dynamik entstanden, in der sich Politiker*innen verschiedener Parteien schier darin überbieten, Maßnahmen zur Aushöhlung des Asylrechts in den öffentlichen Diskurs zu werfen. Als norwegischer Ministerpräsident sagte Jens Stoltenberg 2011 auf das Utøya-Attentat: „Unsere Antwort muss mehr Demokratie und Offenheit sein, aber nicht mehr Naivität.“ Von solch besonnenem Verhalten ist man in Deutschland weit entfernt. Vielmehr scheint es, dass Stück für Stück die Forderungen von rechts außen übernommen werden und von einem Kernstück des Grundgesetzes, dem Grundrecht auf Asyl, wenig bleibt.
Nun hat die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket als Reaktion auf den Anschlag vorgestellt. Danach sollen sogenannte Dublin-Flüchtlinge keine Sozialleistungen mehr bekommen. Dies ist ein Vorschlag, der verfassungsrechtlich nicht zu halten sein dürfte und dem Gebot der Menschlichkeit widerspricht. Betroffen von dem Vorschlag sind Menschen, die in einem EU-Staat die Europäische Union erstmals betreten haben und nach der Dublin-III-Verordnung der EU einen Anspruch auf ein Asylverfahren in diesem EU-Staat haben.
Sind Geflüchtete weitergereist und befinden sich in einem anderen EU-Staat, müssen sie in den EU-Staat, in dem sie erstmals EU-Boden betreten haben, für ein Asylverfahren dorthin zurückkehren. Nach den Plänen der Bundesregierung sollen Geflüchtete, die in einem anderen EU-Staat erstmals EU-Boden betreten haben und bei denen der jeweilige Staat einer Rücküberstellung zugestimmt hat, keinen Anspruch auf Sozialleistungen mehr haben.
Dabei kann man sich zunächst fragen, welche Sozialleistungen Geflüchtete überhaupt bekommen. Dies richtet sich nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Leistungen bewegen sich in einem erheblichen Umfang unterhalb der Leistungen, die Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit zustehen.
Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten Menschen einen notwendigen Bedarf für Ernährung, Kleidung, Gesundheitspflege sowie für einen notwendigen persönlichen Bedarf des täglichen Lebens. Im Falle, dass Menschen in Aufnahmeeinrichtungen wohnen, erhalten sie das als Sachleistungen. Wenn es zu wenig Kleidung gibt, erhalten sie Bezahlkarten, Wertgutscheine oder andere „unbare Abrechnungen“.
108 Euro für ein 12-jähriges Kind
Der notwendige persönliche Bedarf beträgt für ein 12-jähriges Kind monatlich 108 Euro und der notwendige Bedarf mit Ausnahme der Kosten für die Unterkunft 162 Euro. Das sind insgesamt 270 Euro. In einem Monat mit 30 Tagen stehen dem Kind also täglich 9 Euro zur Verfügung.
Selbst wenn man davon ausgeht, dass das Kind weder Kleidung noch Duschgel noch Zahnpasta, keine Haarbürste und keine Schuhe braucht, erscheint es schwierig, ein Kind gesund mit diesem Geldbetrag zu ernähren. Für ein Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit liegt der Regelbedarf aktuell bei 390 Euro monatlich. Geflüchtete Menschen haben außerdem Anspruch auf ärztliche und zahnärztliche Behandlung, jedoch nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzen.
Es war auch davon die Rede, dass Dublin-Flüchtlinge zukünftig nur noch „Bett, Brot und Seife“ erhalten sollen. Dies ist nach der geltenden Rechtslage jetzt schon möglich. Nach § 1a Absatz 1 Asylbewerberleistungsgesetzes haben Geflüchtete, die einen Ausreisetermin und eine Ausreisemöglichkeit haben und ihre nicht erfolgte Ausreise „zu vertreten haben“, ab dem auf den Ausreisetermin folgenden Tag keinen Anspruch auf Leistungen für Kleidung oder Haushaltsgüter.
Bis zu ihrer Abschiebung erhalten sie lediglich Leistungen für Essen, Unterkunft, Heizung, Körper- und Gesundheitspflege. Nur in besonderen Einzelfällen können ihnen darüber hinausgehende Leistungen als Sachleistungen erbracht werden.
Existenzminimum nicht berücksichtigt
Es lässt sich bereits gegenwärtig sagen, dass die grundsätzlich geringere Existenzsicherung für geflüchtete Menschen und die vorgesehenen Kürzungen eine erhebliche Diskriminierung darstellen. Die Bundesregierung scheint Geflüchtete vollständig von Sozialleistungen ausschließen zu wollen. Doch wie das genau aussehen und zudem verfassungsrechtlich zulässig sein soll, bleibt ihr Geheimnis.
Das Bundesverfassungsgericht hat für den Fall festgehalten, dass der Gesetzgeber bei der Festlegung des menschenwürdigen Existenzminimums die Besonderheiten bestimmter Personengruppen berücksichtigen will, er nicht pauschal nach dem Aufenthaltsstatus differenzieren darf (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 18. 7. 2012 – 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).
Vielmehr muss dargelegt werden, dass der Bedarf an existenznotwendigen Leistungen signifikant von dem anderer bedürftiger Personen abweicht. Es ist schon fragwürdig, wie zu begründen sein soll, dass der Bedarf geflüchteter Menschen grundsätzlich niedriger ist als der von Menschen, die nicht geflüchtet sind.
Migrantinnen und Migranten kommen meist ohne Habseligkeiten in Deutschland an und müssen sich hier vieles erst beschaffen. Dies spräche eher für einen höheren als für einen niedrigeren Bedarf. Wie nun der Gesetzgeber begründen möchte, dass der Bedarf Geflüchteter so niedrig ist, dass dieser vollständig entfallen kann, ist nicht ersichtlich. Sodass davon von auszugehen sein dürfte, dass dieses Vorhaben einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält.
Dass eine solche Regelung Menschen in einer ausweglosen Situation zurücklässt, ist offensichtlich. Sie dürfen nicht arbeiten, und es steht zu befürchten, dass Menschen darauf mit Betteln und kriminellem Verhalten regieren und versuchen werden, sich dem Zugriff durch Behörden zu entziehen.
Dies kann vom Gesetzgeber nicht intendiert sein und widerspricht dem Gebot der Menschlichkeit. Auch wenn es gerade kaum wahrscheinlich erscheint, bleibt zu hoffen, dass sich die Regierung an der Besonnenheit Stoltenbergs orientiert und von ihren Vorschlägen ablässt.
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