Leichtes Wachstum bei Reallöhnen: Ein Lichtblick bei den Gehältern
Erstmals seit zwei Jahren stiegen von April bis Juni die Reallöhne in Deutschland wieder leicht. Das ist auch gesamtwirtschaftlich gut.
Mit einem Plus von 6,6 Prozent legten die Löhne und Gehälter im zweiten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahresquartal stärker zu als die Preise, die um 6,5 Prozent stiegen. Lange Zeit war es andersherum, weshalb die Löhne real sanken. Im vergangenen Jahr war die Diskrepanz zwischen den extrem hohen Inflationsraten und der Lohnentwicklung sogar so groß, dass die Kaufkraft der Beschäftigten um 4 Prozent zurückging. Das war der höchste Reallohnverlust seit Beginn der Messung im Jahr 2008. Auch 2020 und 2021 mussten die Beschäftigten Reallohnverluste hinnehmen, nur im zweiten Quartal 2021 stiegen die Reallöhne kurzzeitig.
Die Lohnentwicklung ist nicht nur für die Beschäftigten, sondern auch gesamtwirtschaftlich relevant. Denn an ihrer Kaufkraft hängt die private Nachfrage, die wiederum ein wichtiger Faktor für das Wirtschaftswachstum ist. So gilt die im Zuge der Inflation zurückgegangene Nachfrage auch als ein wichtiger Grund für die Rezession im Winterhalbjahr.
Deshalb schätzen Ökonom*innen die jüngste Entwicklung bei den Reallöhnen positiv ein: „Die Konjunkturaussichten für die deutsche Wirtschaft sind besser als die aktuelle Stimmung. Die heute gemeldeten Daten zur Lohnentwicklung bestätigen die Einschätzung, dass der private Konsum eine moderate konjunkturelle Erholung tragen dürfte“, sagte die Chefvolkswirtin der staatlichen Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib. Zum Jahresende sei sogar mit einer deutlicheren Erhöhung der Reallöhne zu rechnen. Getrieben durch die hohen Preissteigerungen und den Fachkräftemangel erhielten Arbeitnehmende in diesem Jahr die höchsten nominalen Lohnsteigerungen seit 30 Jahren.
Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung bewertet den jüngsten Reallohnanstieg ebenfalls als positiv, ist aber verhaltener, was die Entwicklung angeht: „Die Stabilisierung der Reallöhne ist erfreulich – sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie noch weit davon entfernt sind, den herben, inflationsbedingten Einbruch vom Vorjahr wieder aufzuholen“, sagt WSI-Entgeltexperte Malte Lübker. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2019, also der Zeit vor der Coronapandemie, seien die Reallöhne sogar um 5,6 Prozent gefallen.
Als „kleinen Lichtblick“ führt Lübker an, dass die deutlichsten Nominallohnzuwächse bei Beschäftigten mit geringen Verdiensten zu beobachten sind – also genau bei denjenigen, die von der Inflation besonders stark betroffen sind. „Dazu hat auch die Mindestlohnerhöhung im Oktober 2022 beigetragen“ so der Lohnexperte.
Unterdessen stellt der schwache Konsum auch für die Ökonom*innen vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) eine „erhebliche konjunkturelle Belastung“ dar. Sie gehen in ihrer am Dienstag veröffentlichten Konjunkturprognose davon aus, dass die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr um fast 0,5 Prozent schrumpft. Gründe für die Rezession sind danach neben dem mangelnden Konsum auch steigende Zinsen sowie die schwächelnde Weltwirtschaft.
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