Leichtere Anwerbung von Fachkräften: Erfahrung statt Zertifikate
Das Kabinett will Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung beschließen. Die Diskussion vermischt sich mit der Debatte über Einbürgerungen.
![Eine Person an einer Werkbank Eine Person an einer Werkbank](https://taz.de/picture/5944671/14/werkbank-arbeit-integration-1.jpeg)
Bislang beharrt Deutschland darauf, dass Arbeitsmigrant*innen aus Drittstaaten nur herkommen dürfen, wenn sie eine Berufsqualifikation nachweisen, die „gleichwertig“ zu einem hiesig erworbenen Abschluss ist – und dann auch nur diesen Beruf ausüben. Das soll sich ändern: Wer eine anerkannte Qualifikation hat, soll künftig auch anderen qualifizierten Beschäftigungen nachgehen dürfen, solange es sich nicht um einen reglementierten Beruf wie etwa Arzt handelt. Auch soll es leichter werden, nur mit teilweiser Anerkennung einzureisen und den Rest der Prozedur dann von Deutschland aus nachzuholen.
Und die Ampel geht noch weiter: Künftig soll es sogar Möglichkeiten geben, ganz ohne einen hier anerkannten Abschluss nach Deutschland einzureisen. Voraussetzung dafür ist eine mindestens zweijährige und nachweisbare Erfahrung in jenem Beruf, der in Deutschland ausgeübt werden soll. Zwar müssen die Betreffenden einen staatlich anerkannten Berufs- oder Hochschulabschluss aus ihrem Heimatland vorlegen – die Gleichwertigkeitsprüfung aber entfällt.
Deutlich leichter werden soll es auch, einzureisen und dann erst auf Jobsuche zu gehen. Dafür will die Ampel eine sogenannte Chancenkarte mit einem „transparenten unbürokratischen Punktesystem“ einführen. Wie genau diese aussehen soll, und wie viele Punkte man für diese „Chance“ braucht, dazu steht in den Eckpunkten noch nichts. Aber zu den Kriterien sollen „Qualifikation, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug und Alter“ gehören. Wer einen anerkannten Abschluss hat, soll die Chancenkarte in jedem Fall bekommen.
Bedarf von 400.000 Arbeitskräften pro Jahr
Anders als bei der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts hat die FDP diesmal keine Einwände. Deren Innenexperte Konstantin Kuhle nannte am Dienstag das Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen Schritt nach vorn. Deutschland brauche mehr reguläre und weniger irreguläre Einwanderung. Deshalb solle man zunächst über Einwanderung und erst danach über Einbürgerung reden.
Der Berichterstatter der SPD-Fraktion für Fachkräfteeinwanderung und Staatsangehörigkeit, Hakan Demir, rechnet auch von Seiten der Union kaum mit Widerstand: „Wenn es um ökonomische Interessen und Arbeitskräfte geht, sind Union und FDP in der Regel sehr zugeneigt.“
Expert*innen zufolge braucht Deutschland jährlich rund 400.000 Arbeits- und Fachkräfte aus dem Ausland, um den demografischen Wandel auszugleichen. Demir betonte, es gehe nicht allein um gut qualifizierte IT-Spezialisten. „Händeringend gesucht werden auch Lkw-Fahrer:innen, Köch:innen, aber auch Hilfskräfte.“
Gülistan Yüksel, SPD-Berichterstatterin für Integration, warnt davor, die Themen Einbürgerung und Fachkräfteeinwanderung miteinander zu vermengen. „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun“, so Yüksel zur taz. Beim Thema Einbürgerung gehe es insbesondere um Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben. Die Erleichterung von Einbürgerungen sei „dringend geboten“. „Integration bedeutet für mich Teilhabe mit gleichen Rechten und Pflichten. Dazu gehört auch politische Teilhabe“, so Yüksel.
Yüksel selbst kam im Alter von acht Jahren nach Deutschland, durfte aber erst mit 35 Jahren zum ersten Mal wählen. Sie erwarte von der FDP konstruktive Gespräche zur Umsetzung des Koalitionsvorhabens, sagte sie.
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