piwik no script img

Lecornu verschiebt Rentenreform auf 2028Warum nicht gleich so?

Rudolf Balmer

Kommentar von

Rudolf Balmer

Dass Macron die Verschiebung seiner Rentenpläne zulässt, kommt politischer Selbstverleugnung gleich. Und zeigt: Das Chaos wäre vermeidbar gewesen.

Hat nicht viel Spielraum: Sébastien Lecornu, französischer Premierminister Foto: Raphael Lafargue/Bestimage/imago

M it seiner politischen Kapitulation hat der französische Premierminister Sébastien Lecornu seiner Regierung im Minimum eine Verschnaufpause, vielleicht aber sogar ein paar Wochen Handlungsspielraum verschafft. Die Konzession, die er dafür machen musste, ist enorm. Er ist bereit, bis 2028 die weitere Umsetzung der umstrittenen Rentenreform von 2023 auszusetzen. Diese soll das Rentenalter schrittweise von 62 auf 64 Jahre anheben und die erforderliche Beitragsdauer von heute 170 Quartalen weiter verlängern.

Um den Preis dieses Rückzugs sollen im Gegenzug die 60 Abgeordneten des Parti Socialiste nicht zusammen mit den anderen linken Fraktionen und den Rechtspopulisten mit einem Misstrauensantrag die Regierung stürzen. Ohne die Stimmen der Sozialisten kommt die oppositionelle Mehrheit von mindestens 289 Abgeordneten nicht zustande. Lecornu, und mit ihm Präsident Emmanuel Macron, könnten also erstmals aufatmen.

Dass Macron seinem Premier mit einer „Carte blanche“ freie Hand ließ, um die Sozialisten für ein Stillhalten zu gewinnen, beweist, wie sehr er mit dem Rücken zur Wand steht. Einen Verzicht auf diese Reform hatte er immer ausgeschlossen. Er hatte diese gegen einen massiven Widerstand eines mehrmonatigen Konflikts durchgeboxt. Dass er jetzt zulässt, dass Lecornu, sie in Klammern setzt, kommt einer politischen Selbstverleugnung des Präsidenten. Natürlich muss man jetzt fragen: warum nicht gleich?

Handgemachtes Chaos

Die heutige Krise und eine ganze Reihe von Streikbewegungen wären ihm – und vor allem Frankreich! – erspart geblieben, wenn er auf die Opposition gehört hätte. Dass es andere Mittel gäbe, den Fortbestand des Systems der französischen Sozialversicherungen langfristig zu garantieren, wusste er auch. Mit seiner selbstsicheren Unnachgiebigkeit hat er einfach die Kosten für den Rückzug massiv erhöht und das Land in eine chaotische Situation gebracht.

Umgekehrt hat die Linke, die aus dem Verzicht auf diese Rentenreform eine Existenzfrage gemacht hatte, mit dieser bloß versprochenen „Suspendierung“ außer etwas Prestige noch gar nichts gewonnen. Die Sozialisten werden aber aufatmen, wenn es mit einem Scheitern der beiden Misstrauensanträge von linke und rechts nicht zu vorzeitigen Wahlen kommt, bei denen gerade sie mit schweren Verlusten rechnen mussten. Zudem würde ein Wahlsieg der extremen Rechten drohen.

Das Logo der taz: Weißer Schriftzung t a z und weiße Tatze auf rotem Grund.
taz debatte

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Gibt es einen überzeugenden Grund, Lecornu mit seinen wohlklingenden Versprechungen regieren zu lassen, außer der Angst vor Neuwahlen? Nichts garantiert, dass die Regierung Lecornu sich den finanziellen Mehraufwand für einen Zwischenhalt bei der Erhöhung des Rentenalters nicht mit anderen unsozialen Einsparungen im Staatshaushalt kompensieren lässt. Dann wäre Lecornus Einlenken bloß ein Pyrrhussieg für seine toleranten Gegner.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Irrige Prämissen



    Ein plausibler Kommentar, dem natürlich prompt das Gegenargument der Rentenkrise infolge wachsender Lebenserwartung entgegenschlägt.

    Aber nicht auf das Verhältnis von Einzahlern und Beziehern kommt es an, sondern auf die Beitragshöhe, also die Lohnmasse im Verhältnis zum BIP. Die aber sinkt auch an der Seine seit Jahrzehnten willentlich zugunsten der für die Rentenkassen irrelevanten Kapitalerträge, statt proportional zur allgemeinen Produktivitätsentwicklung zu steigen. So wie seit 120 Jahren die Zahl der in der Landwirtschaft Tätigen im Verhältnis zur ernährenden Bevölkerung produktivitätsbedingt ständig sinkt, ohne daß wir alle verhungern, sinkt produktivitätsbedingt auch die Zahl der in der übrigen Wirtschaft Tätigen, ohne die



    Versorgung der nichtaktiven Bevölkerung zu beeinträchtigen. Nicht die Zahl der Beitragszahler sondern das Gesamtprodukt ist also die Bezugsgröße. Das ist dortzulande sechs Mal so hoch wie 1984, hat also mehr zugenommen als für den Unterhalt der inaktiven Bevölkerung proportional erforderlich. Die Umverteilungsquote zwischen aktiver und inaktiver Bevölkerung ist entscheidend, und die sinkt in den OECD-Ländern seit Jahrzehnten. (Statista)

  • Die Parti Socialiste hilft also, die Staatskrise zu verlängern, statt endlich zu einem Ende zu kommen.

  • Die Aussetzung einer - wirtschaftlich richtigen und notwendigen - Reform soll jetzt also ein Erfolg sein? Dabei ist doch nichts gewonnen.

    Wenn ich statistisch länger Rente bekomme, dann muss ich entweder länger arbeiten, Beiträge erhöhen oder Renten senken. Alles andere sind Taschenspielertricks.

    • @DiMa:

      Hier finden sich Genügende, die - ohne mal über den Tellerrand zu blicken - jede Maßnahme toll finden, die es erlaubt von vermeintlicher "Staatsknete" zu leben.

  • Macron ist wirklich sonderbar, aber darin dann unschlagbar. Die Rentenreform war absolut unglaublich, sie hat die Franzosen wirklich auf die Palme gebracht, insofern ist dies mal ein Schritt. Aber mehr wohl auch nicht.



    Die anderen Forderungen sind alle wichtig, vor allem das sinnlose Verschenken von Subventionen und Geldern, die dann an anderer Stelle eingespart werden müssen. Das sollen laut Oppositionen Mrd-Beträge sein.



    Das größte Problem steht momentan aber nicht im Vordergrund: Bei den nächsten Präsidentschaftswahlen könnte die RN (früher Front National) gewinnen. Obwohl Marine Le Pen rumeiert, mal ist sie dagegen, mal dafür, mal kritisiert sie Macron, mal stützt sie ihn, nimmt der Wähler ihr das nicht krum. Sollte sie wirklich mit Bardella an die Macht kommen, dürfte es wirtschaftlich schnell eng werden, die Partei verspricht Unternehmen niedrige Steuern und tolle Bedindungen, andererseits verspricht sie Sozialleistungen für Franzosen. Außen- und EU-politisch ist es auch reichlich unklar.

    • @Andreas_2020:

      "Die Rentenreform war absolut unglaublich...", Ja unglaublich, bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 83,1 Jahren statt mit 62 erst mit 64 ohne Abschlag in Rente gehen zu dürfen... Ironie bitte kennzeichnen.

      • @PeterArt:

        Auch in Frankreich ist die Zahl der Einzahlungsjahre entscheidend. Nicht das Mindestalter.



        Damit wird nur gern von interessierter Seite Propaganda gemacht.

  • Der Büttel des Präsidenten macht seinen Job doch ganz gut – bis jetzt hat er es doch schon geschafft der kürzeste Premier der 5. Republik zu sein. Muss er ja nun nicht noch toppen.

    Grrr

  • In Frankreich wehren sich die Bürger noch gegen den Staat. Sollten die in Deutschland auch mal tun. ALLE müssen in die Rentenkasse einzahlen, Politiker und Beamte auch. Das jetzige System ist unsolidarisch und ungerecht. Arbeiter bekommen 48 % Rentenniveau, Pensionäre um die 71 %. Völlig aus der Zeit gefallen.

    • @KLaus Hartmann:

      In Deutschland wissen immer noch einige, dass "der Staat" wir alle sind. Wir alle sind es, die die Zeche zahlen, nicht "der Staat".

      • @PeterArt:

        Aber genau da liegt das Problem. Es zahlen eben nicht alle die Zeche...

  • Macron hat für seine zweite Amtszeit nichts vorzuweisen außer der Rentenanpassung, in die er sein politisches Kapital gesteckt hat. Jetzt wird am Ende nur noch bleiben, dass er fünf Jahre an seinem Stuhl geklebt hat.