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„Lecken 3000“ am Wiener BurgtheaterKein Gossip der Community

In schnellen Szenen und mit hohem Sprechtempo verhandelt „Lecken 3000“ von Au­to­r*in lynn t musiol im Wiener Burgtheater Gewalt in queeren Beziehungen.

Aufarbeitung einer alten Beziehung: Ari (Azaria Dowuona-Hammond) und ihre Ex-Lehrerin Ute (Alexandra Henkel) Foto: Tommy Hetzel

Auf der Ausstellungseröffnung einer Freundin bekommt Protagonistin Ari (Azaria Dowuona-Hammond) plötzlich eine Panikattacke. Ihre ehemalige Lehrerin hatte ihr zum ersten Mal nach zehn Jahren eine SMS geschickt. Die außergewöhnlich enge und sexuell geladene Beziehung der jugendlichen Ari zu ihrer Lehrerin Ute (Alexandra Henkel) ist Aris Freundeskreis bekannt und der teilt ihr in einer fast schon vorwurfsvollen Härte auch mit, für was er das Verhältnis hält: Missbrauch.

Ari aber hadert zunächst mit der Aneignung dieses Worts – zu sehr bindet sie noch die Bewunderung, die Jugendliebe und die Förderung, die sie durch Ute erfahren hat, an ihre ehemalige Lehrerin. Ari geht dann den Schritt, den wohl eher die wenigsten Betroffenen gehen, und konfrontiert Ute in ihrem Heimatort.

Auf der kleinen Bühne des Vestibüls im Burgtheater Wien geht es in einem schnellen Erzähl- und Sprechtempo durch den Text von Thea­ter­au­to­r*in lynn t musiol – und durch Aris Gefühle und Erinnerungen. Während Ari beginnt, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen, kommen auch ihre Freundinnen vor, die mitfühlend, aber zunächst oft ungeduldig sind, sie erst nicht hören wollen oder ihre eigenen Geschichten erzählen, statt Ari Raum zu geben.

Dadurch öffnet sich ein breites, wenn auch teils nur episodenhaft angedeutetes Spektrum an verschiedenen Erfahrungen von Queerfeindlichkeit, von positiver Diskriminierung und von Machtmissbrauch. Diese Fülle an Facetten, Abschweifungen und Andeutungen macht die Inszenierung von „Lecken 3000“ sehr eindrücklich, obgleich nicht alles an diesem Abend im Burgtheater einfach zu verdauen ist.

Springen zwischen Tragik und Realismus

„Lecken 3000“, inszeniert vom jungen Regisseur Claus Nicolai Six, lebt dabei vom Text. Der springt zwischen Tragik, Realismus und Komik hin und her. Seinen Witz erhält der Text vor allem durch teils ausufernde Einschübe voller Jugendsprache, selbstironischer queerer Klischees (Crush auf Gillian Anderson) sowie distanzierter und ebenso selbstironischer narrativer Kommentare.

In einem schnellen Erzähl- und Sprechtempo geht es durch den Text von lynn t musiol – und durch Aris Gefühle

Auch das Kostüm (Marie Therese Fritz) und das Bühnenbild (Julia Rosenberger) geben dem Publikum etwas Abstand zu der Schwere und der Gewalt, die das Stück verhandelt. Die großen aufblasbaren, glänzend-bunten Objekte auf der Bühne, mal als sexy Auto-Kunst-Objekte inszeniert, mal als gigantische Tasche, sowie die dazu passenden Kunstlederkostüme, erzählen visuell eine etwas andere Geschichte als der Text. Diese Geschichte ist eher eine über „Queer Joy“, über die Freude an der eigenen queeren Identität, wie sie sich frei von und trotz Trauma, Gewalt und Diskriminierung entfalten kann.

Derart wird auch der titelgebende fiktive Club „Lecken 3000“ beschrieben: Die „große Schwester des Ficken 3000“ (des bekannten Gay Clubs in Berlin), wo man sich so gut vergessen kann, „dass sich alle wünschen, queer zu sein“. Innerhalb des freudigen Lebens, Liebens und Begehrens brechen die Erlebnisse von Gewalt immer wieder in die Gespräche ein, während sie im Club tanzen, beim Sex und bei der Ausstellungseröffnung.

Im Club wird dann auch eine der Kernfragen des Abends diskutiert: die des öffentlichen Sprechens über Gewalterfahrungen, ohne dass sich dadurch homophobe Klischees bestätigen und ohne dass sie zum „Gossip der Community“ oder aber auf Kosten von anderen Betroffenen zu profitablen Geschichten werden, beispielsweise als Buch – oder eben als Theaterstück.

Verdrehter Vorwurf der Ex-Lehrerin

Dass Gewalterfahrungen in der Queer-Szene auch eine perverse Faszination hervorrufen können oder sensationalisiert werden, scheint immer wieder anklagend durch die Szenen hindurch. Am Ende spricht dies gar die Ex-Lehrerin und mittlerweile offen lesbische Ute als verdrehten Vorwurf direkt aus. Die subtilen Mechanismen verbaler Gewalt auszuerzählen, gelingt dem Stück besonders in den Gesprächen zwischen Ute und Ari. Solche Szenen sind vergleichsweise ruhig und ihre Dialoge feinsinnig gebaut, es entsteht genügend Raum für Nuancen.

„Lecken 3000“, das in diesem Jahr den Retzhofer Dramapreis gewann, ist ein mutiges Stück mit viel Anspruch. Wohl nur durch die Schnelle des Texts vermag es, auch alles auszudrücken, was Au­to­r*in lynn t musiol inhaltlich auseinandernimmt. Und es ist ein sehr queeres Stück: sexy und witzig und traurig und albern und sehr ernst. Und am Ende auch optimistisch: dass sich das Erzählen lohnt und dass „Queer Joy“, auch trotz aller Gewalt, möglich ist.

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