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Lebensmittelkrise in ÄthiopienWo grüne Weiden verdorren

Das Land prosperiert, dennoch sind Millionen Menschen vom Hunger bedroht. Das liegt nicht nur am Klima, sondern auch an politischen Fehlern.

In der Amhara-Region werden Lebensmittelhilfslieferungen verteilt. Foto: reuters

Addis Abeba/Lalibela taz | Acht Jahre ist es her, da standen in der Kleinstadt Lalibela im äthiopischen Hochland die Menschen Schlange, um Nahrungsmittelhilfe der Gemeindeverwaltung und der US-Hilfsbehörde USAID zu empfangen. Das war zum Höhepunkt der Regenzeit. Jetzt stehen die Einwohner von Lalibela, das für seine jahrtausendealten Felsenkirchen berühmt ist, wieder nach Lebensmitteln an – Folge der schweren Dürre in vergangenen Monaten.

Für Äthiopiens Regierung ist die neue Lebensmittelkrise peinlich. Besucher werden von den Behörden daher auch höflich davon abgehalten, die Hilfsbedürftigen zu fotografieren. Das ostafrikanische Land weist seit einem Jahrzehnt Wachstumsraten von über 10 Prozent im Jahr auf. Es sieht sich als den kommenden ökonomischen „Tiger“ Afrikas, der das Elend vergangener Zeiten hinter sich lässt.

Aber die Ernährungssicherheit der rasch wachsenden Bevölkerung hält nicht Schritt. Im letzten großen Hungerkrisenjahr 2003 waren 16 Millionen der 72 Millionen Äthiopier auf Lebensmittelhilfe angewiesen – über ein Fünftel. Im Jahr 2016, in dem Äthiopiens Bevölkerung auf über 100 Millionen anwächst, sind es etwa 10 Millionen – jeder Zehnte. Das ist ein großer Fortschritt, aber noch nicht genug.

Das eigentlich regenreiche und fruchtbare zentraläthiopische Hochland der Regionen Tigray und Amhara leidet derzeit besonders darunter, dass der Regen ausbleibt. Die Behörden machen das globale Klimaphänomen El Niño verantwortlich. Lokale Gesprächspartner verweisen darauf, dass diese Trockenheit schon zwei Jahre hintereinander zuschlägt.

Äthiopien weist seit einem Jahrzehnt Wachstumsraten von über 10 Prozent auf

In den vielen Stauseen Äthiopiens, aus denen die Wasserkraftwerke das Land mit 90 Prozent seines Stroms versorgen, steht der Pegel so niedrig, dass fast jeden Tag der Strom ausfällt. Ohne Strom gibt es auch kein fließendes Wasser, und die Produktivität der vielen neuen Kleinindustriebetriebe in und um die Hauptstadt Addis Abeba stürzt ab. Auf dem Land verwandeln sich Tausende Quadratkilometer grünes Weideland in braune Wüste, mit Konsequenzen für die Oryx-Antilopenbebestände und auch die Gelada-Paviane in den Bergen.

Die „grüne Hungerregion“

Noch spricht niemand von Hungersnot. Aber die Vorbereitungen auf den Ernstfall sind ins Stocken geraten. Rund 300 Kilometer südlich der Hauptstadt Addis Abeba liegt die Region Wolayta. Sie wird als „grüne Hungerregion“ beschrieben, weil es dort zwar grün und fruchtbar ist, aber viel zu wenig in eine produktive Landwirtschaft investiert wird.

Dort sollen Lebensmittelvorräte angelegt werden, hergebracht per Lastwagen aus anderen Landesteilen. Der Leiter einer Fernfahrerfirma beschwert sich: 100 seiner Lkws säßen leer in den Verteilungszentren Wolayta und Wereta fest. Es gebe keinerlei Koordination zwischen den Behörden, den Transportfirmen und dem UN-Welternährungsprogramm WFP, von dem die Lebensmittel kommen.

Die lokale Wochenzeitung Fortune berichtet, die Unstimmigkeiten begännen im Nachbarland Dschibuti, dessen Hafen der wichtigste Umschlagplatz für die Importe des Binnenlandes Äthiopien ist: Der Hafen dort sei heillos überfüllt, die Schiffe dümpelten vor dem Kai, während in Äthiopien die Transporteure auf Waren warten.

Das alles hat wenig mit El Niño zu tun. Es gibt strukturelle Probleme. Jedes Jahr benötigen mehrere Millionen Äthiopier Lebensmittelhilfe, weil die Ernten nicht reichen, selbst wenn es gut geregnet hat. Ein Drittel der äthiopischen Bevölkerung gilt als unterernährt, Die Gründe sind bekannt, sagen Experten: Die herrschende Elite investiert nicht in die Modernisierung der Landwirtschaft, sondern subventioniert Weizen- und Zuckerimporte. Das hält die Hauptstadt ruhig, nützt aber dem Land insgesamt wenig.

Dürre in Teilen Afrikas

Vielerorts in Afrika kam der Regen 2015 zu spät oder blieb ganz aus. In Teilen des östlichen und südlichen Afrika bleibt die Lage kritisch.

In Äthiopien sind jetzt 10,2 Millionen Menschen auf Lebens­mittelhilfe angewiesen. Die UNO ruft dazu auf, 1,4 Milliarden Dollar für Äthiopien zu spenden. Das ist der drittgrößte Hilfsprogramm nach Syrien und Jemen. Die UN-Agrarorganisation FAO fordert 13 Millionen Dollar, um 600.000 Bauern sofort zu helfen, die ihr Saatgut essen und ihr Vieh verkaufen mussten. Ohne Ersatz drohen weitere Missernten.

Eine große Krise droht auch im südlichen Afrika, wo in weiten Regionen so wenig Regen gefallen ist wie seit 35 Jahren nicht.

Äthiopien kennt keinen privaten Landbesitz. Bauern haben lediglich Nutzungsrechte auf Staatsland. Die Regierung sagt, das schütze die Kleinbauern vor Verdrängung durch Großgrundbesitzer. Aber der Staat selbst siedelt die Landleute immer wieder um, damit Platz für ausländische Agrarinvestoren und den Anbau von Exportprodukten frei wird. Zugleich können Kleinbauern nicht in Land investieren, weil sie mangels Besitz keine Kredite aufnehmen können. Weil die Menschen unsicher sind, ob der Staat sie vertreibt, und weil der Bevölkerungsdruck so groß ist, befänden sich „die Kleinbauern in einer Abwärtsspirale sinkender Produktivität“, schreibt die Zeitung Addis Standard.

Alles im Griff

Die Regierung sieht das anders. Gegenüber der taz sagt Regierungssprecher Getachew Reda, man habe die Lage im Griff: „Wir haben Frühwarnsysteme, die es uns ermöglichen, Entwicklungen in ländlichen Gebieten schnell zu erkennen“, sagt er. Priorität der vergangenen Jahre sei ein besseres Wassermanagement und die Ausbreitung lokaler Bewässerungssysteme gewesen.

Was die drohende Hungerkrise angeht, verfüge Äthiopien über strategische Reserven, so der Sprecher: „Wenn wir etwas brauchen, verteilen wir aus unseren Reserven und warten nicht auf internationale Partner. Aber das WFP hat sich von unserer strategischen Reserve mehrere Hunderttausend Tonnen ausgeliehen, weil ihr Hilfsappell nicht finanziert ist.“ Laut UN werden für dieses Jahr 1,4 Milliarden Dollar benötigt, um eine Hungersnot zu vermeiden.

Die äthiopische Regierung hat nach eigenen Angaben im Jahr 2015 Lebensmittelhilfen für 381 Millionen US-Dollar eingekauft, und eine weitere Ausschreibung im Umfang von 100,9 Millionen Dollar läuft. Der Regierungssprecher gibt aber zu, dass 54 Prozent des Bedarfs für dieses Jahr noch nicht gesichert ist. „Die internationale Gemeinschaft gibt sich Mühe“, so Reda. „Aber die Geber sind überall müde.“

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5 Kommentare

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  • "Laut UN werden für dieses Jahr 1,4 Milliarden Dollar benötigt, um eine Hungersnot zu vermeiden. "

     

    Und Äthiopien exportiert jedes Jahr Agrarprodukte im Wert von weit über 2 Milliarden Dollar. Wenn Äthiopien also Einnahmen hätte die dem Wert der Exporte entsprächen, gäbe es gar kein Problem.

    http://atlas.media.mit.edu/en/profile/country/eth/

     

    Da der Großteil der Einnahmen für die Exporte aber bei den ausländischen Besitzern der Kaffee-, Sesam- und Orchideen-Plantagen landet, und diese über Lobbyvereinigungen wie dem IWF dafür sorgen das die Regierung in Äthiopien finanziell zerstört wird wenn sie den Freihandel mit der Nahrung nicht nach Kräften unterstützt, hat die "böse Elite" in Addis Adeba auch wenig Alternativen als gute Miene zum kapitalistischen Spiel zu machen.

    • @ShieTar:

      Diese Betriebe müssen Steuern bezahlen, bei Getreideanbau zB nach 1 Jahr. Das nötige Investitionsvolumen ist riesig für die Betriebe, denn die Infrastruktur in diesen Randgebieten, wo verpachtet wird, (Gambella zB) ist nahe Null.

  • Außer Djibouti kann Äthiopien auch über Berbera importieren. Die Landwirtschaft gehört mechanisiert und modernisiert, aber der Staat monopolisiert alles mögliche. Es gibt eine Devisenbewirtschaftung. Das Bevölkerungswachstum ist viel zu hoch, wie in weiten Teilen Afrikas. Wer emigrieren kann, geht in die USA oder nach Europa, oder schlechter, in arabische Erdölländer. Was die Verpachtung von Land an Großbetriebe angeht: Im Prinzip müßte das der Volkswirtschaft helfen, denn diese Betriebe arbeiten mit modernen Verfahren. Das geschieht auch eher in dünn besiedelten Gebiete wie in Gambella (15 Einwohner pro km2, bei guten Regenfaellen), wobei dort vor Ort ursprünglich wenig produziert wurde, traditionelle Rinderhaltung (1 Kalb pro 2 Jahre) zB waehrend moderner Ackerbau ertragreich ist. Allerdings werden die Menschenrechte in Äthiopien nicht immer respektiert. Das ist in den Nachbarlaendern zum Teil noch schlimmer, oder auch besser, je nach Land.