Lebensläufe, SEK und die Fußball-EM: Nichts draus gelernt

Deutschland diskutiert über Lebensläufe. Hessen kämpft mit seinem Polizeiproblem. Und: Ein EM-Spiel wird trotz eines Schocks nicht abgebrochen.

Jens Spahn

Nicht wegen der Person Spahn, wegen der Sache wäre ein Untersuchungsausschuss nötig Foto: Michael Kappeler/dpa

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Es wimpelt wieder an den Auto­fenstern.

Und was wird in dieser besser?

Kneipe um die Ecke flaggt deutsches Tuch mit Halbmond und Stern im Rot.

Erst Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock, dann der Unions-Kandidat Armin Laschet: Die Lebensläufe der beiden Po­li­ti­ke­r:in­nen enthalten Unstimmigkeiten. Jetzt mal unter uns: Haben Sie Ihren Lebenslauf auch schon mal etwas frisiert?

Als Geschäftsführer befördere ich mich selbst und finde mein Curriculum Vitae sehr überzeugend. Lese jedoch viele Bewerbungen und habe gelernt, nur ein paar Big Points zu beachten. Alles andere kann man meist eh nicht prüfen, und will es auch nicht. Also: Wurde eine Ausbildung abgeschlossen, auch wenn es angewandte Erdbeerkunde war? Heißt: Bringt derdiedas Bewerb irgendwann auch einen fertigen Film zuwege? Ergeben die Stationen eine schlüssige Erzählung, warum der Mensch zu uns will? Oder kann ich dem mit einer Absage aus dem Tunnel helfen? Und schließlich: Finden Sie Ihren Lebenslauf gut? Und wer dann losprahlt, redet sich gerade aus dem Mannschaftsgeist einer Firma raus. So gesehen mussten beide nicht schönen, um verdächtig zu werden.

Nachdem zufällig eine rechtsextreme Chatgruppe bei der Polizei von Frankfurt am Main aufgeflogen ist, lässt der hessische Innenminister Beuth das Frankfurter SEK auflösen. Nun erweist sich der Kreis von Beamten, die davon gewusst haben, als größer als bisher von Beuth und dem Frankfurter Polizeipräsidenten Gerhard Bereswill bekanntgegeben. Ist das nun der Beginn des deutschen „Abolish the police“ oder das Ende von Beuth als Minister?

Der verdächtige „Obersturmbannführer“, der „NSU 2.0“-Drohmails gesandt haben soll, fischte die Adressen seiner Opfer durch blinde Anrufe bei „Polizeirevieren in Frankfurt und Wiesbaden“ ab. In der Mordnacht von Hanau übernahm das Frankfurter Polizeipräsidium den Einsatz. Samt Frankfurter SEK. Hier wurde ein Nazimörder gejagt von Beamten, die sich privat Hitlerbilder und Nazisprüche geschickt hatten. Innenminister Beuth hat eine bunte Auswahl an LKA-Chefin, Polizeipräsident und Führungskräften in Mitverantwortung gezogen und Sonderermittler eingesetzt. Man forderte seinen Rücktritt leichter, wenn das Problem nicht deutlich größer wäre als er.

Nach dem Missbrauchsskandal wollte Kardinal Marx zurücktreten, aber der Papst sagt: Nö, Bruder, du bleibst. Stattdessen soll Marx nun Reformen einleiten. Kann das gelingen?

Ein Gutachten einer Anwaltskanzlei über „sexuellen Missbrauch“ in der Diözese München liegt seit 2010 unter Verschluss, ein neues ist für den Sommer angekündigt. Marx amtiert seit 2008, beide Berichte betreffen auch ihn. Der Papst lässt die Kirche im Dorf und den Pfarrer darin. Bis zur Veröffentlichung gilt es, im Zeichen christlicher Nächstenliebe Marx mit der Unschuldsvermutung zu begegnen. Dazu gehört Gottvertrauen.

Erst der schleppende Impfstart, dann der Vorwurf mangelhafter Masken und jetzt der Bericht des Bundesrechnungshofs, der Bundesgesundheitsminister habe Geld verschwendet. Muss auch Jens Spahn für seinen weiteren Berufsweg seinen Lebenslauf anpassen?

Vorweg: „Wir“, die öffentliche Meinung, haben bei jedem Thema jederzeit nörgelbereit auf der Lauer gelegen. Zu wenig Tests, wo sind die Masken, wann wird endlich geimpft?! Spahn erzählt treuherzig von persönlichen Telefonaten mit Anbietern, als würde der Kapitän in der Unterdeckkabine die Betten machen. Er hat sich hetzen lassen, was dienstältere Minister meiden mögen; und er hat gewusst, dass er dabei Fehler macht. Nicht wegen der Person Spahn, doch sehr wegen der Sache wäre ein Untersuchungsausschuss nötig.

Apropos kürzen und bearbeiten: Ein Nachbar darf die Äste eines Baumes abschneiden, die in seinen Garten ragen – auch wenn der Baum deswegen absterben könnte. Das hat am Freitag der Bundesgerichtshof, das oberste deutsche Zivilgericht, in einem Nachbarschaftsstreit entschieden. Geht es uns vielleicht zu gut?

Interessante Frage. Ich melde mich dazu, wenn ich die Monsterapfelschleuder nebenan kastriert habe.

Und was machen die Borussen?

2017 verübte ein Bombenleger einen Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB. Ein Polizist, ein Spieler verletzt, alle geschockt. Tags drauf spielten sie trotzdem. Im Prozess, anderthalb Jahre drauf, durchlebten Spieler als Zeugen sichtlich angefasst das Trauma erneut. Trainer Tuchel schimpfte, die Uefa habe Druck gemacht, unter Schock zu spielen. Seit dem Dänemark-Finnland-Spiel lässt sich hinzufügen: Und nichts draus gelernt.

Fragen: cas, waam

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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