Leben auf einer Dauerbaustelle: Mieter*innen nicht erwünscht
Schon früher war in der Ebersstraße 3 nicht alles zum Besten bestellt. Aber seit dem Eigentümerwechsel werden die Zustände immer unerträglicher.
Ein paar Wochen ist dieser Besuch jetzt her. Mieter*innen des Hauses hatten sich bei der taz gemeldet, weil der Fahrstuhl nur eine von vielen Baustellen in einem verwahrlosenden Haus war, die ihnen seit Jahren das Leben erschwert. „Wir haben schon lange das Gefühl, dass wir mit unseren günstigen alten Mietverträgen nicht mehr erwünscht sind – als ob es nur darum geht, verdrängt zu werden und für die Eigentümer*innen der Wohnungen Platz zu machen“, sagen sie bei dem Treffen.
Im Wohnzimmer der Familie haben sich weitere Mieter*innen versammelt, nur einige von ihnen, darunter Ehlermann und Chambers, kennen ihre Vermieter*innen persönlich. Doch weiß man in der Nachbarschaft, was ein Blick ins der taz vorliegenden Grundbuch bestätigt: dass es sich um international anerkannte Architekt*innen, Künstler*innen und Kurator*innen handelt, die sich auch durch linke, gesellschaftskritische Positionen und Projekte zu Themen wie nachhaltige Stadtentwicklung, Flüchtlingspolitik und der Aufdeckung von Menschenrechtsverletzungen einen Namen gemacht haben.
Einige wenige von ihnen leben laut Mieter*innen bereits in ihren Wohnungen, nutzen diese aber oft nur als Zweit- oder Drittwohnungen – andere Eigentümer*innen vermieten ihre Wohnungen noch, wieder andere haben gleich zwei Wohnungen gekauft mit dem Plan, sie zusammenzulegen.
Das war ein Schock
Als John Chambers und Sandra Ehlermann 2005 mit dem ersten Kind in die 152 Quadratmeter große Wohnung im damals noch sehr viel gemischteren Kiez eingezogen sind, waren sie glücklich. Sie haben in der Wohnung zwei weitere Kinder bekommen und aufgezogen, fühlen sich verwurzelt in der Nachbarschaft, kennen viele – von der Kassierer*in bis zur Ladenbesitzer*in –, pflegen Freundschaften in allen sozialen Schichten, wie sie sagen. Als 2016 das Haus verkauft wurde, war das ein Schock.
Damals lebten noch 40 Menschen von der Arzthelfer*in bis zum Telekommunikationsinstallateur*in, von der Buchhändler*in bis zur Justizwachtmeister*in im Haus, berichten sie. Inzwischen sind es laut Mieter*innen nur noch etwa halb so viele, nach einer Leerstandsmeldung von ihrer Seite sei wieder aufgestockt worden.
Chambers und Ehlermann erfuhren im Januar 2016 von einer neuen Hausverwaltung, der Concentra Immobilien Management GmbH, dass ihr Haus als ganzes an eine „BGB-Gesellschaft Ebersstraße 3“ verkauft worden sei. Im Februar machten sie schriftlich ihr Vorkaufsrecht geltend. Im Dezember 2016 wurde ihnen mitgeteilt, wer die neuen Eigentümer*innen ihrer Wohnung seien.
Ehlermann und Chambers erzählen, dass sie damals einen Anwalt konsultiert haben. Der habe mitgeteilt, das Vorkaufsrecht könne nicht geltend gemacht werden, weil auf ganze Häuser kein Vorkaufsrecht besteht. „Die Eigentümer haben eine Gesetzeslücke ausgenutzt, nach der eine Eigentümergemeinschaft ein Haus als Ganzes kaufen kann und erst nach dem Kauf eine Teilungserklärung macht, die dann einzelne Wohnungen einzelnen Mitgliedern der Eigentümergemeinschaft zuordnet“, so Ehlermann.
In Berlin gängige Praxis
Sebastian Bartels, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, bestätigt gegenüber der taz, dass dies in Berlin leider gängige Praxis sei und eine große Lücke für die Mieter*innen darstelle – und das war vor dem Inkrafttreten des Umwandlungsverbots in Berlin 2021 der Fall und ist es auch danach geblieben.
Für Ehlermann und Chambers scheint die verpasste Chance Schnee von gestern im Vergleich dazu, wie die Eigentümergemeinschaft in der Ebersstraße das ohnehin marode Haus seit 2016 immer weiter herunterwirtschaftet. Die Liste der schlampigen und oft schlecht angekündigten Baumaßnahmen und der oft nur notdürftigen Reparaturen, die erst nach vielen Ermahnungen erfolgten, ist endlos und reicht von nicht verschließbarer Haus- und Kellertür, defektem Licht im Flur und im Hof inklusive Rattenbefall und verstopftem Abfluss, einer mangelhaften Baustellenabsicherung bis hin zu einem bodentiefen Loch im Hausflur zwischen der 4. und 5. Etage, das zunächst nicht abgesichert wurde. Erst nach mehrfachen Aufforderungen und Androhungen von Konsequenzen durch die Mieter*innen habe sich jemand gekümmert.
Von der stümperhaften Baustellenabdeckung beim Dachausbau berichtet auch Andreas Pokora, der vor etwa 20 Jahren zu seiner Partnerin zog, die seit 1987 in dem Haus wohnt. Er hatte einen erheblichen Wasserschaden in der Wohnung, der nie fachgemäß getrocknet worden, sondern überstrichen und anderswo abgehängt worden sei, berichtet er.
Deshalb sei er sogar schon vor Gericht gezogen. Wegen derselben Abdeckung floss das Wasser auch schon in Kaskaden das Treppenhaus herab, wegen fehlender Regenrinnen und falsch angebrachter Rüstung im Hof kam der Regen in Sturzbächen die Fassade herunter und drang teilweise durch die ohnehin verrottenden Fenster in Wohnungen, wegen des verstopften Abflusses im Hof kam es auch im Keller zu Überschwemmungen. Videos und Fotos der Mieter*innen, die der taz vorliegen und dies belegen, würden einen ganzen Bildband füllen.
Die Mieter*innen der Ebersstraße empfinden ihre Wohnungen immer weniger als Schutzraum, in dem man mal abschalten könne, sagen sie. Während Corona hatten viele von ihnen die Kinder zu Hause und arbeiteten im Homeoffice, während das Haus von allen Seiten eingerüstet und Fenster verklebt wurden, was allerdings weder den Lärm noch den Dreck abhielt. Bei Chambers und Ehlermann dauerte einmal die Reparatur der Heizung trotz sechswöchiger Fristsetzung vom Schornsteinfeger und 13 E-Mails an die Hausverwaltung drei Monate.
„Andere Prioritäten“
Schlimmer noch traf es eine andere Familie im Haus, die in diesem Text nicht namentlich genannt werden möchte: Zwecks Mietminderung haben sie ihre Briefe an die Hausverwaltung dokumentiert und der taz vorgelegt. In diesen geht es um eine Heizung, die sowohl 2022 als auch 2023 mehrere Monate defekt war, und Schimmelbefall in einem der beiden Bäder. Aus der Korrespondenz, die insgesamt 66 Seiten füllt, geht hervor, dass es 14 Monate dauerte, bis die Reparaturen begannen, sowie weitere 11 Monate, bis Schimmelbeseitigung, Strangsanierung, Austausch von undichten Rohren und Wiederherstellung von allem erledigt war.
„Die Hausverwaltung“, so die Mieter*innen übereinstimmend, „sagt uns immer wieder explizit, dass die Eigentümergemeinschaft „andere Prioritäten“ habe. Und John Chambers fasst nach: „Warum macht sich eine Hausverwaltung die Arbeit, Hunderte von E-Mails und Beschwerden abzuweisen, anstatt einfach ihren Job zu tun? Trifft da eine Eigentümergemeinschaft bewusste Entscheidungen?“
Einige Mails der Hausverwaltung an Chambers und Ehlermann legen nahe, dass sich die Eigentümer*innen, die eigentlich teilweise sogar vom Fach sind, vor dessen Erwerb nur unzureichend über den Zustand des Hauses informiert haben – zumindest ist den anwesenden Mieter*innen kein Fall bekannt, in dem eine Besichtigung der Wohnung vor Erwerb stattfand.
Eine mündlichen Anfrage der Linken an die Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg aus dem Jahr 2021 legt nahe, dass zumindest einer der Eigentümer zwei Wohnungen zusammenlegen wollte, dies aber nicht genehmigt wurde, weil die Ebersstraße seit Februar 2018 zum Milieuschutzgebiet gehört. Auch die Mieter*innen geben an, ihren Eigentümer*innen wiederholt mitgeteilt zu haben, dass Zusammenlegungen in diesem Haus nicht gestattet seien.
Paradigmatisch für eine Entwicklung
Die Eigentümer*innen der Ebersstraße 3 möchten kein Statement zu den Vorwürfen ihrer Mieter*innen abgeben. Verlauten lassen sie dies nicht selbst, sondern durch die Medienrechtskanzlei Schertz Bergmann, die sich unter anderem durch die Vertretung von Rammstein-Sänger Till Lindemann einen Namen gemacht hat.
Das Haus ist nur eins unter vielen ähnlichen – aber es steht paradigmatisch für eine Entwicklung in Berlin, die zunehmend die Stadt zu untergraben droht. „Eigentum“, bringt es John Chambers auf den Punkt, „scheint selbst hier nicht zu verpflichten.“
Chambers, der in Irland aufgewachsen ist, fühlte sich immer sehr wohl in seiner Wahlheimat Berlin – einer Stadt, in der nach wie vor zahlreiche Menschen mit mittleren und kleinen Einkommen überzeugt sind, das Recht zu haben, dort zu leben. „Für mich stellt sich in unserem Haus die große Frage, wie wir eigentlich alle zusammenleben wollen“, sagt er, „was dieses Stadt eigentlich braucht, um weiter lebenswert zu sein.“ Und nach einer Pause: „Hier wird für mich der soziale Vertrag mit Füßen getreten.“
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