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Leaks aus SondierungsgesprächenDer Boulevard ist am Ziel

Viele beklagen sich darüber, dass Details aus den Sondierungsgesprächen durch die Presse geleakt werden. Doch schuld ist die Politik.

Armin Laschet (CDU) als Kanzlerkandidat im Studio von Bild TV Foto: Michael Kappeler/dpa

D ie Sondierungsgespräche sind abgeschlossen, jetzt kann richtig verhandelt werden. Früher war das die Zeit für Abwarten und Tee trinken. Heute gibt es #handyalarm bei Bild live und alle regen sich drüber auf. Alles würde durchgestochen, motzt die Politik. Die Sondierungsgespräche der Union hätten Interessierte „auf Twitter quasi eins zu eins nachlesen“ können, so der Grüne Cem Özdemir.

Darf noch mal an das erste thermische Gesetz des Boulevardjournalismus erinnert werden? Wenn sich alle über Bild aufregen, dann haben Julian Reichelt, Paul Ronzheimer und Co ihr Klassenziel erneut erreicht. In diesem Fall ist es dazu auch noch komplett wohlfeil. Es ist das Problem der Politik bzw. der handelnden Politiker*innen. Da wird ja alles rausgeblasen. Dass sie danach den Medien vorwerfen, dass sie ihnen zugespielte Info-Schnipsel verwenden und weitermelden, zäumt das Pferd von hinten auf. Das passt zur aktuellen politischen Lage. Da sieht sich Armin Laschet absurderweise immer noch als ernst zu nehmenden Bewerber ums Kanzleramt.

Schon beim Jahrestreffen von Netzwerk Recherche 2007 greinte Christian Wulff, das Vertrauensverhältnis zwischen Po­li­ti­ke­r*in­nen und Jour­­na­lis­t*in­nen sei gestört. Wulff war damals niedersächsischer Ministerpräsident und der Rubikon noch nicht überschritten. Dass aus Prä­sidiumssitzungen der CDU schon damals alles nach draußen drang, daran seien die Jour­na­lis­t*in­nen schuld, so Wulff.

Und weil in den ­Medien auch viel zu viele Details aus den Hinterzimmern der ­Politik preisgegeben werden, brä­chten ja auch Hintergrundgespräche nix. Damit hatte der spätere Bundespräsident seinen zukünftigen medialen Schiffbruch schon recht präzise skizziert. Und logischerweise gleichzeitig ziemlich genau die Aufgabe der ­Medien umrissen.

Dauer-Leaking hat Haken

Trotzdem hat das ganze Dauer-Leaking von heute einen Haken. Denn die heißdüsige und dabei oft blutarme Fast-Echtzeit-Berichterstattung kommt natürlich genauso schnell wieder bei den nicht mehr so trauten Verhandlungsrunden an. Unser Ex-taz-Kollege und heutige Mann von Welt Robin Alexander nennt das „eine Art Heisenberg’sche Unschärferelation, weil das Berichtete das weitere Geschehen unmittelbar beeinflusst“. „Alle behaupten von sich, sie sind die Chefköch*innen, spucken sich gegenseitig in die Suppe und verderben sich den Magen“, meint die Mitbewohnerin. „Gesund ist das nicht!“

Mit dem guten, alten Durchstechen hat das übrigens nur noch wenig zu tun. Denn da ging es um Wichtiges, das von den Medien auch noch eingeordnet werden musste. Heute gibt’s oft nur schlichte Sätze, die Julian, Paul und Co vom Handy ablesen und mit viel heißem Dampf als Weltnachrichten verkaufen.

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Steffen Grimberg
Medienjournalist
2000-2012 Medienredakteur der taz, dann Redakteur bei "ZAPP" (NDR), Leiter des Grimme-Preises, 2016/17 Sprecher der ARD-Vorsitzenden Karola Wille, ab 2018 freier Autor, u.a. beim MDR Medienportal MEDIEN360G. Seit Juni 2023 Leitung des KNA-Mediendienst. Schreibt jede Woche die Medienkolumne "Flimmern und rauschen"
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16 Kommentare

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  • alle sind für das verantwortlich was sie tun - Journalisten übrigens auch...

  • Wenn die Presse sich darauf konzentrieren könnte, im Rahmen des Wahlkampfs Fakten zu checken und die besonders dreisten Politiker (Lindner) oder aus Taktik heraus schweigsamen (Scholz) oder diejenigen, die Angst vor Fäkalien haben und damit nur noch oberflächlich-demagogische Argumente zulassen (Habeck) entsprechend zur Rechenschaft gezogen werden, könnte sie dazu beitragen, echt demokratische Debatten zu fördern. Vielleicht könnten dann auch die Promotionsschnüffler tätig werden und einmal herausarbeiten, wieviele Wortwendungen des 11seitigen Positionspapiers zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen von Lindner und anderen stammen könnte. Dann wäre der Weg zu Neuwahlen mit neuen Köpfen und Gruppierungen leichter, eine letzte Chance im Kampf gegen die Klimakatastrophe !

    • @Dietmar Rauter:

      FFF hätte die Grünen unterstützen müssen. Dies ist aber nicht passiert und nach der Wahl kommen wie immer die Kompromisse. Klar haben die Grünen zu wenige gefordert aber selbst davon ist so nicht alles durchsetzbar.

  • Gerade die motorisch geschwätzigen, weil profilierungsgeilen Machtpolitiker der CDU müssen nicht rummeckern. Sie wollen ja genau dass das geschieht, was dann geschieht. Hinterher so zu tun, als ob sie das nicht gewollt hätten, aber fleißig den gleichen Schwachsinn zwitschern, ist verlogen - und das für Politiker, die das „C“ im Parteinamen haben. Naja, wenn das christlich sein soll, dann haben die die Bibel nur unterm Kopfkissen liegen gehabt, aber anscheinend nicht gelesen.

  • Es gibt keinen guten Grund, warum die Koalitionsgespräche über da Programm der zukünftigen Regierung, das ein Flickwerk aus einzelnen eh schon nie von den Inhabern selbst ernst genommenen Parteiprogrammen wird, nicht einfach öffentlich (so richtig) sind. Außer Posten Schacherei und "Prinzipien" Auflösung (sofern die sowas überhaupt noch haben) ist doch da eh nix am Laufen. Da geht es nicht um Staatsgeheimnisse.

    Man sollte bei der Wahl seine Stimme für bestimmte Koalitionen sperren können ("Drittstimme" sozusagen, wenn eine der gesperrten Koalitionen ansteht verschiebt sich die Zeitstimme nach gewählter Drittstimme oder verfällt). Aber sowas wäre für den Großteil der Wähler schon höchste Mathematik, die kriegen es ja jetzt nicht mal gebacken, sich vorab über die Parteien zu informieren.

    • @NoPanic:

      Das Problem sind doch Wähler die sich von utopischen Wahlzielen verwirren lassen. Je mehr Parteien um so mehr unhaltbare Versprechungen. Bei der Kompromisssuche wird ein Paket geschnürt, falls jeder Teil eines Kompromisses in der Öffentlichkeit zerlegt wird, kommen wir nicht weiter. Sie können gerne versuchen den Parteien Vorgaben zu machen, dann wird die Politik endgültig handlungsunfähig. Die Parteien sind Teil der politischen Willensbildung, wenn Sie so präzise Vorstellungen entwickeln, sollten Sie das in der von Ihnen favorisierten Partei als Mitglied einbringen.

  • 3G
    34936 (Profil gelöscht)

    Politik ist Unterhaltung.



    Deshalb brauchen Medien



    Insiderinfos.

  • Wir werden lernen müssen mit Desinformationen, Vertrauensbruch und den Plabbermäuler leben zu müssen. Nur weil alles Durchgestochen wird muss es weder Alles sein, noch die Wahrheit noch erwähnenwert. Ist alles offen macht der auswählende Redakteuer die Nachricht eben selber,

    Erst wenn der Kuchen fertig gebacken ist kann man ihne bewerten, Was da alles verrührt wurde und von wem und wie juckt das niemanden mehr.

    Das bisheriger Ergebniss das die Koal.... ne eigenlich die FDP erziehlt hat ist traurig. Eigenlich sollte Lindner Kanzler werden, der kann Politik.

  • Zum Einen: NATÜRLICH haben es sich die Politiker selbst zuzuschreiben, wenn sie etwas nicht für sich behalten können.

    Zum Zweiten aber: Auch die Medien sägen den Ast ab, auf dem sie sitzen, wenn sie sich nicht an Vereinbarungen mit ihren Quellen halten. Denn die eine Sensationsmeldung heute kann den Zugang von morgen und übermorgen kosten.

    Es ist durchaus im Interesse einer funktionierenden Demokratie, wenn Politik und Medien einen Dialog führen, der über das Druckbare hinausgeht ("Hintergrundgespräche"). Das vermeidet Missverständnisse und gibt den Journalisten einen besseren Einblick, der sie auch erkennen lässt, wenn sie durch gezielte Lecks instrumentalisiert werden sollen. Fällt dieser Dialog mangels Vertrauen der Politiker weg, ist damit weder den Medien noch der Allgemeinheit gedient.

    In dem Sinne: Jeder nehme erstmal seine Hand und packe sich an den Zinken in der Mitte seines Gesichts, bevor er sie nutzt, den Finger auf Andere zu zeigen...

    • @Normalo:

      Könnte doch aber sein wie Moonlight es sagt, dass hier nicht ein Quelle "versiegt" sondern gerade erst am entstehen ist. Denn durch den Leak wurde Laschet quasi verhindert, ok ich hoffe auch so war es nie angedacht von den grünen da mit zumachen.

      Aber hier davon auszugehen das die Quelle das nicht gewollt haben würde, ist dann doch etwas naiv finde ich.

    • @Normalo:

      Na ja meiner Meinung nach hatten die Infos an die Presse doch definitiv das Ziel Laschet zu diskreditieren. Das passt zu den Spielchen um Posten in der Union.

      So eine Quelle versiegt auch nicht.



      Über die Moral der Quelle und ihre Gründe ist es Wert nachzudenken.

      Welche Folgen so ein diabolischer Pakt mit der Presse haben kann, wenn es dann rauskommt und auf die Spitze getrieben wurde, das kann man in Österreich gerade sehen. Der Kanzler ist abgetreten und wird jetzt strafrechtlich verfolgt.

      Gruß vom Mondlicht

  • Was ist denn nun durchgestochen worden?



    Der Geburtstag von Herrn Lindner?

  • 9G
    92293 (Profil gelöscht)

    Tja wenn man Lanz mit einem Preis auszeichnet …. Man liest viele Nachrichten über sein Smartphone, entsprechend schnell wird vieles davon auch wieder vergessen. Bald wird die Medienlandschaft uns ihr neues verkaufskonzept vorstellen …. Informationsgesellschaft zieht wohl nicht mehr

  • Wenn prominente Politiker Vertraulichkeit über ein Gespräch vereinbaren und sich nicht daran halten, dann ist dieser Vertrauensbruch an sich schon eine Meldung wert. Wer sich nicht über einen solchen Charakterzug informieren will, braucht die Meldung ja nicht zu lesen.

    Mich jedenfalls interessiert es schon; für mich ist es ein Mosaikstein in meiner Meinungsbildung über solche Personen. Und wenn über Tratschtanten informiert wird, dann darf man zur Vollständigkeit auch wissen, was diese herausposaunt haben.

    So darf man doch Medien keinen Vorwurf über diese Berichte machen. Es ist keine negative Sache, über Charakterschwäche von Leuten zu berichten, die sich anmaßen, über unser Schicksal bestimmen zu können.

    • @fvaderno:

      Die charakterschwachen Personen bleiben im dunkeln >> Folge: alle Politiker sind charakterschwach... und der Eindruck ist erstens falsch und zweitens schädlich.

  • Schlimmer als Boulevard ist nur Meta-Boulevard: Drüber schreiben worüber der Boulevard schreibt.



    Wie wärs wenn irgendwer mal inhaltlich einsteigen würde, was in den Koalitionsverhandlungen verhandelt werden _sollte_? Alt-neo-liberal vs neuer New Deal - jeweils als Ansatz um der Klimakrise beizukommen - am Ende gar ne Synthese finden - spannenderen politisch-weltanschaulichen Stoff kann man doch gar nicht finden. Wo seid Ihr?