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Lateinamerika und SyrienAssads Freunde

Die USA und „der Zionismus“ stecken hinter der Vertreibung Assads aus Syrien, sagt Venezuelas Propagandaministerium. Aus Kolumbien klingt es ähnlich.

Achtlos weggeworfen: Foto des früheren syrischen Präsidenten Assad Foto: Antonio Pedro Santos/epa

D ie Achse des Widerstands bleibt stabil. Wenn man in den vergangenen Tagen die Website des venezolanischen Senders Telesur besuchte, begegnete einem gleich zum Einstieg das übergroße Konterfei von Ajatollah Chamenei. „Es gibt keinen Zweifel daran, dass das, was in Syrien passiert, das Ergebnis eines gemeinsamen Plans der USA und des Zionismus ist“, zitiert das Propagandamedium der Regierung Venezuelas den iranischen Religionsführer. Warum die „von Israel und den USA unterstützten terroristischen Gruppen“ den „demokratisch gewählten Präsidenten“ Baschar al-Assad gestürzt haben, erklärt dann das Telesur-Magazin El Mapa“.

Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro bedauerte die „schmerzhaften Umstände für das syrische Volk“ und warnte die „extremistischen Faschisten“ in seinem Land, einen Bürgerkrieg gegen das Volk anzuzetteln. Wer genau das Volk ist, von dem er spricht, hat er nicht erläutert.

Die Sympathien der venezolanischen Bevölkerung ihm gegenüber dürften sich in ähnlichen Grenzen halten wie die der syrischen gegenüber Assad. Beide Länder verbindet, dass sie ganz oben stehen auf der Liste der Staaten, aus denen am meisten Menschen weltweit geflüchtet sind. Die Zehntausende, die in den Kerkern Assads gestorben sind, dürfte Maduro auch nicht gemeint haben.

Sei's drum. Auch das kubanische Regime will das Volk verteidigen. So drückte Außenminister Bruno Rodríguez kurz vor dem Fall Assads „Kubas Solidarität mit dem Volk und der Regierung Syriens angesichts der terroristischen Attacken“ aus. Darüber hinaus zeigte sich Havanna, ebenso wie die autoritäre Regierung Nicaraguas, zurückhaltend. Die natio­nale Souveränität des Landes müsse respektiert werden, erklärten sie.

Über ähnliche Forderungen wegen der jahrelangen russischen Bombardements oder der militärischen Unterstützung Teherans des Terrors gegen Syriens Bevölkerung ist nichts überliefert.

Die Furcht, Verbündete zu verlieren

Der Sturz Assads könnte für diese Latino-Regierungen schwerwiegende Konsequenzen haben. Iran, einer der engsten ideologischen Verbündeten und wirtschaftlicher Partner, ist geschwächt. Und wie der kolumbianische Staatschef Gustavo Petro besorgt anmerkt, hat Russland gezeigt, dass es derzeit schnell mal einen Alliierten fallen lassen muss. Man könnte also die Reaktionen aus Havanna und Caracas als antiimperialistischen Klimbim abhaken, um sich der Solidarität der Partner im Kampf gegen das US-Imperium zu vergewissern. Nichts Neues, der Weltlage geschuldet.

Ganz ohne Not erklärt dagegen die mexikanische linke Tageszeitung La Jornada im Editorial der Redaktion, der Fall des syrischen Regimes sei nach dem „sogenannten Arabischen Frühling“ eine weitere Episode der USA, um die Region zu destabilisieren. Auch das folgt der Logik, dass nur das Recht auf ein menschenwürdiges Leben hat, wer ins manichäische Weltbild passt. Für viele traditionelle Antiimperialisten stand der Krieg in Syrien schon immer – jede Evidenz und Komplexität ignorierend – in einer Reihe mit den US-Interventionen in Afghanistan und dem Irak.

Dekolonial verbrämt schließt sich auch der puertoricanische Soziologe Ramón Grosfoguel diesen Thesen an. „Das war eine Invasion, kombiniert mit einem imperialistischen/zionistischen/Nato-Putsch“, schreibt er auf dem mexikanischen journalistischen Portal Pie de Página. Eine Armee von 30.000 bis 50.000 „terroristischen Dienern“ hätte von den Imperialisten und Zionisten monatlich zwischen 1.000 und 2.000 US-Dollar erhalten. Woher er das weiß, schlüsselt Grosfoguel nicht auf.

Man könnte das einfach unter „Kurioses“ abhaken, wäre Grosfoguel nicht ein Protagonist der lateinamerikanischen dekolonialen Theorie, die dort durchaus Einfluss hat. Grosfoguels Thesen, etwa über „indigene Palästinenser“, die von der Kolonialmacht Israel vernichtet werden sollen, werden in linken Kreisen gern aufgegriffen. Auch seine Bezeichnung „Hitlerismus“ für den Zionismus dürfte bei nicht wenigen gut ankommen. Nun bedauert er, dass „die Ereignisse in Syrien eine brutale Niederlage für die Achse des Widerstands sind, die für die Befreiung der Völker große Lektionen aufgeben“. Welche Völker denn nun? Und ­welche Befreiung?

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt in Oaxaca, Mexiko. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz ist er als Korrespondent für Mexiko und Mittelamerika zuständig. Er arbeitet im mexikanischen Journalist*innen-Netzwerk Periodistas de a Pie und Mitglied des Korrespondentennetzwerks Weltreporter.
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11 Kommentare

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  • In der Tat, ein ideoligischer Abgrund von "linken" Latino-Beton- Kommis, die zum Rest der Welt eine eher autistische Analysefähigkeit aufweisen. Jeder Konflikt dieser Welt wird reflexartig durch das "Antiimp"- Milchglasfenster gesehen und analysiert, wobei Antiimp. sich natürlich ausschließlich auf die USA bezieht und von dialektischem Denken weit entfernt ist. Diese Art von Vereinfachung komplexer Zusammenhänge zeigte sich schon, auch in der europäischen Linken, während der Kriege in Jugoslawien, Syrien und der Ukraine.



    Dass sie damit die "internationaler Solidarität" mit den Unterdrückten dieser Welt, einem elementaren Pfeiler linker Identität, verraten, verstehen sie nicht.

    • @Rinaldo:

      Dass sich die lateinamerikanische Linke vor allem auf die USA bezieht, liegt vielleicht weniger an ideologischer Voreingenommenheit, sondern an der Rolle, die die USA in Lateinamerika gespielt haben - und man die Ereignisse in anderen Teilen der Welt aus dieser Perspektive und vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen interpretiert (was im Falle Syriens vielleicht nur die halbe Wahrheit ist - aber eben eine Hälfte, die man hier gerne ignoriert). Natürlich ist die Wahl der Bündnispartner dabei vielleicht skrupellos pragmatisch - aber es ist ein bisschen wohlfeil, wenn sich eine europäische Linke darüber empört, die (von ihrer realen Bedeutungslosigkeit einmal abgesehen) auch keinen Widerspruch zur "internationalen Solidarität" darin sieht, die HTS zu Freiheitskämpfern zu verklären und den Völkermord in Gaza kleinzureden. Ich bin mir also nicht sicher, auf welcher Seite hier die Verständnisschwierigkeiten herrschen (und frage mich manchmal, ob solche Diskussionen überhaupt noch Sinn machen; vielleicht muss man sich auch einfach damit abfinden, dass die hiesige Linke am Ende ist und kein neues Projekt in Sicht...).

  • Fast wundert mich, dass dieses und andere linke und "linke" Foren nicht längst überquellen vor "westliche Agenten!", "Regime Change!", "Zionismus!" oder "geheimer CIA-Plan!"... so schallte es doch aus den einschlägigen westlichen Milieus den mutigen Menschen entgegen, die 2012 für ihre Freiheit auf syrische Straßen gegangen sind und das so bitter bezahlen mussten.



    Aber ich fürchte, das kommt dann ziemlich bald. Sarah Wagenknecht musste auch erst ein zwei Wochen kurz schlucken, als Putin genau das tat, was sie vorher als Hirngespinst russophober Bellizisten denunziert hatte, bevor sie dann doch ziemlich bald wieder zu der gewohnten putinistisch-antiwestlichen Propaganda zurückfand.

  • Venezuela ist phantastisch.

    Hat die weltweit höchsten Ölvorkommen, gut abbaubar. 25 Prozent mehr als Saudi-Arabien, dabei 30 Prozent weniger Einwohner.

    Den Venezuelanern müsste es also richtig, richtig gut gehen. Reichtum für jedermann.

    Aber: Die Armutsquote liegt bei über 90 Prozent. Bis Januar 2023 haben aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Situation mehr als 7 Millionen Menschen, etwa 20 Prozent der Bevölkerung, Venezuela in den letzten Jahren als Flüchtlinge verlassen.

    Das muss man erst mal hinkriegen.

    Nun, das Land wird weiter verarmen. Um sich über Wasser zu halten, haben sich Maduro & Co. Geld bei den Chinesen geliehen. Rückzahlbar in Erdöl. Das wird sich so fortsetzen bis China Venezuelas Öl gehört.

    Aber dass Maduro & Co. auch die Mullahs im Gepäck haben wusste ich nicht. Doch schaut man auf die Zusammenhänge: passt.

    Die armen Venezuelaner:innen.

  • Maduro ist ein Politiker, der nichts zu sagen hat. Weil er ein Diktator ist.

    Der glaubt wohl ernsthaft, Assad habe ein sozialistisches Erbe, aber wenn es um autoritäre Elemente geht und um die Missachtung der Menschenrechte, da ist er auf beiden Augen, sowie all seinen Hühneraugen blind.

    Leider wird die HTS als Ableger des islamischen Staates es nicht besser können. Oder haben Frauen dieselben Rechte wie Männer?

    Und kann man dem Maduro sagen, dass egal ob HTS, IS, Boko Haram, Taliban oder Al-Qaida alle dasselbe Ziel verfolgen? Ein religiöses Imperium wie vor vielen hunderten Jahren? Mit der Scharia als oberste Gesetzgebung? Die Gruppen sind sich nur feind untereinander, weil die einen für die anderen nicht fundamentalistisch genug sind.

  • Erschreckend. Wieso verfängt die Hetze der Diktaturen überhaupt. Haben die demokratischen Stimmen keine PR-Strategie?

  • Was würden solche Ideologen bloß ohne die USA machen? Würden sie tatsächlich mal ihr eigenes Weltbild ernst nehmen?

    • @Chris McZott:

      Die USA gibt es aber nun mal und eben auch die „increíble y triste historia“, allerdings nicht wie bei Gabriel García Márquez von der einfältigen Erendira und ihrer herzlosen Großmutter, sondern eben von den zahllosen (in)direkten gewaltsamen Interventionen von Gringolandia im ‚Hinterhof‘; da reichte es schon, wenn z.B. in den 1950er-Jahren ein Präsident Jacobo Arbenz in Guatemala eine Landreform durchführen wollte… da war dann bald die CIA im Dienste der United Fruit Company unterwegs und das mit Erfolg. Aber klar, das ist alles nur Antiimp-Gewäsch.

  • Danke. Ein klarer Text, fundiert und die Finger in jene Wunde legen welche die Linke schließen müsste, dich stattdessen leugnet sie häufig die genannten Prozesse und leugnet ihre Bedeutung.

    Es gibt leider wenig Antikörper gegen exzessive „Antiimperialistische“ propaganda.

    • @AlHozo Hoto:

      Ab wann ist Propaganda exzessiv? Ist vielleicht auch ein wahrer Kern darin, den Finger in die Wunde der permanenten gewaltsamen Einflussnahme der Estados Unidos in América Latina zu legen? In den vergangenen 200 Jahren?

  • Man kann ja gerne gegen das Handeln der USA reden, Ansatzpunkte gibt es, und bei Israel gibt es massive derzeit. Die Völkerrechtsbrüche und die Bomberei haben viele Opfer, und eines davon sind die Chancen auf einen zukünftigen Frieden.

    Man sollte aber nicht ausgerechnet einen Assad als Feind meines Feindes hochzuloben versuchen. Wer sein eigenes Volk sogar incl. Giftgas niederknüppeln muss, hat ja wohl auch etwas falschgemacht.