Landwirtschaft und Klimakrise: Einen kühlen Kopf bewahren
Die Landwirtschaft leidet unter der Klimakrise, die sie auch mitverursacht. Ein Milchkuhbetrieb in der Uckermark versucht, dem gerecht zu werden.
„Gut ist, dass es jetzt über längeren Zeitraum regnet“, sagt Heuck. „Wenn es lange trocken ist, wird der Boden fest und kann nichts aufnehmen. Schon gar nicht, wenn ganz viel Wasser auf einmal kommt.“ Mit einem Stock bohrt er in die Erde und stellt zufrieden fest: „Das ist schon ganz tief eingesickert. Das ist wichtig, damit das Wasser nicht sofort wieder verdunstet.“
Dürre- und Hitzeperioden, Extremwetterlagen und Überschwemmungen – dank des Klimawandels ist das auch in Westeuropa das neue Normal. Bereits 2019 wurden auf der Agrarministerkonferenz Leitlinien verabschiedet, wie sich die deutsche Landwirtschaft an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen muss. Welche Maßnahmen konkret angewandt werden, müssen jedoch die Landwirte selbst entscheiden – und das vor allem auch erst mal erproben.
Auf den Feldern von Hemme Milch wächst neben Silomais jetzt auch Luzerne, beide kommen als Futterpflanzen für Kühe zum Einsatz. „Luzernen bilden tiefe Wurzeln und sind deswegen weniger hitzeempflindlich“, sagt Heuck.
Hat konventionelle Tierhaltung Vorteile?
Neben der Suche nach Feldfrüchten, die auch bei Dürre für ausreichend Tiernahrung sorgen, beschäftigt die Landwirte vor allem die Frage, wie für das Tierwohl gesorgt werden kann. Eine Kuh fühlt sich bei Temperaturen bis 15 Grad wohl, schon bei 20 Grad gerät sie in Hitzestress. „Bei der Milchproduktion entsteht im Inneren der Kuh sehr viel Wärme“, erklärt Heuck. „Die Kühe brauchen also Abkühlung.“
Das Unternehmen Hemme Milch betreibt unter einem Dach Feldanbau, Milchkuhhaltung und Molkerei. Die Milchprodukte werden selbst vertrieben und gehen vorwiegend nach Berlin. Um das schlechte Massentierhaltungs-Image der konventionellen Milchkuhhaltung aufzubessern, setzt das Unternehmen auf Öffentlichkeitsarbeit. Über Youtube lässt sich der Stall rund um die Uhr verfolgen. Zur Imagepflege gehört auch das Hofcafé. Ein Bus fährt alle zwei Stunden hierher, um Besucher:innen auf den Hof zu bringen. Von Mittwoch bis Sonntag können die Ställe zudem besichtigt werden.
Kühe in Brandenburg gibt es im Vergleich zu Bundesländern wie Bayern, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen eher wenige. Laut Amt für Statistik Berlin-Brandenburg sind es 409.000 Rinder, davon wird jedes siebte ökologisch gehalten. Im Schnitt halten die Brandenburger:innen 113 Rinder pro Hof. (keh)
Hemme Milch setzt dagegen ausgerechnet auf eine konventionelle Wirtschaftsweise, das heißt, dass die rund 600 Mutterkühe den Großteil des Jahres im Stall stehen. 600 Tiere täglich auf die Weide zu bringen, sei hier logistisch nicht möglich, sagt Heuck. „Sowieso geht Weidehaltung nur, wenn es ausreichend regnet und genug Gras nachwächst.“ Biobauern müssten in Trockenphasen zufüttern. Heuck weiß das aus Erfahrung, bis vor Kurzem hat er selbst in einem Biobetrieb gearbeitet.
In Hitzephasen sei ein schattiger Stall aber ohnehin der beste Ort für die Kuh, so Heuck. „Die Seiten sind geöffnet, sodass wir immer Frischluft haben“, sagt er bei einer Führung durch den Stall. „Die Ventilatoren an der Decke halten die Luft in Bewegung und die Tiere kühl.“ Während vorne eine Reihe Kühe Trockenfutter frisst, liegen in der Reihe dahinter Tiere im Stroh und käuen wider. Ruhig trotten die Kühe zwischen Steh- und Liegeposition hin und her, manche gönnen sich eine Po- und Rückenmassage unter einer großen „Wellnessbürste“. Kein Muhen ist zu hören.
„Was für die Kuh gut ist, ist auch gut für uns“, sagt Heuck. Kühe in einem gut durchlüfteten Stall würden seltener krank, auch machten sie kontinuierlich ihre „Arbeit“: fressen und wiederkäuen. Bei einer Hochleistungskuh, die wie hier am Tag durchschnittlich 37 Liter Milch produziert, sind das im Schnitt 25 Kilo Futter, die an einem Tag verarbeitet werden müssen.

Die KI hilft mit
Eine Kuh im Hitzestress schafft das nicht, sagt der Agrarwissenschaftler Israel Flamenbaum. Vor allem nicht, wenn es sich um Kuhrassen wie die bei uns am meisten verbreitete schwarz-weiße Holstein-Friesian handelt. Sie seien solche Temperaturen nicht gewöhnt. Der Berater zitiert in einem Fachartikel eine amerikanische Studie, nach der sich Hitze deutlich auf die Milchproduktion auswirkt und erhebliche finanzielle Einbußen mit sich zieht.
„Bisher hatten wir keine großen Einbußen“, sagt der Geschäftsführer von Hemme Milch, Gunnar Hemme. Er erklärt sich dies mit dem neuen Stallkonzept, die großen Deckenvenitilatoren zeigten ihre Wirkung. Nicht mal die Stromkosten seien gestiegen – der Betrieb hat Solarzellen auf dem Dach, erzeugt den Strom also selbst.
Auch KI kommt im Stall zum Einsatz: Betriebsleiter Heuck ist gerade dabei, ein digitales Werkzeug einzuführen, um das Wohlsein der Kühe zu überwachen. Dafür bekommen die Kuh eine Sonde ins Ohr, die mit seinem Mobilfunkgerät verbunden ist. Eine KI-unterstützte App macht sich mit dem Lebenswandel der einzelnen Kuh vertraut. Gibt es große Unterschiede, also liegt die Kuh etwa häufiger und länger als gewöhnlich, ertönt auf seinem Gerät ein Alarmton.
Werden in Zukunft also auch die Landwirt:innen nur noch vor dem Bildschirm sitzen? Keanu Heuck lacht. „Nein, natürlich mache ich trotzdem meine Runde durch den Stall“, sagt er. „Durch diese App bekomme ich jedoch schneller mit, wenn was nicht stimmt. Mehrmals am Tag alle 600 Kühe genau zu beschauen, das schaffe ich nicht.“
Die Angst vor der „Rülpssteuer“
Insgesamt 23 Mitarbeiter:innen zählt der Milchhof Hemme, 8 Frauen sind darunter. Viele der Arbeiter:innen kommen aus Polen, die Grenze ist nur 30 Autominuten entfernt. Morgens und nachmittags wird gemolken. Eine ganze Achtstundenschicht braucht es, um alle Kühe zu melken. Das Besondere hier ist, dass die Milch selbst verarbeitet wird. „Wir sind hier wie ein alter Bauernhof“, sagt Heuck. „Vom ersten Saatkorn bis zum fertigen Produkt machen wir hier alles selbst.“
Kurze Wege sind gut für den betriebseigenen CO2-Abdruck. Das Tierfutter wird auf den benachbarten Feldern angebaut, auf dem Hof verarbeitet und gelagert. Die jährlichen 8 Millionen Liter Milch werden zum Großteil über eine Rohrleitung gepumpt, den Rest bringt ein Wagen die 150 Meter zur Molkerei. Heuck: „Sobald wir größere Tanks haben, ist auch damit Schluss.“
Sich Gedanken über klimaeffizientes Wirtschaften zu machen, ist für die Bauern nicht nur sinnvoll, weil sie die Folgen des Klimawandels als Erstes zu spüren bekommen. Am Horizont zieht für die deutschen Viehhalter auch noch eine andere dunkle Wolke auf: die „Rülpssteuer“. Die wurde in Dänemark bereits im vergangenen Jahr eingeführt, um die Bauern zu klimaschonenden Maßnahmen zu animieren.
Der Hauptgrund dafür: Das Methan, das Kühe beim Wiederkäuen ausstoßen. Das Gas ist noch klimaschädlicher als CO2 und kommt am zweithäufigsten in der Atmosphäre vor. Die Viehwirtschaft trägt erheblich zum Klimawandel bei. Nach Schätzung des Umweltbundesamts sind im vergangenen Jahr 76,6 Prozent der Methanemissionen auf die Landwirtschaft zurückzuführen, wobei das Gros (93 Prozent) die Rinder- und Milchkuhhaltung verantwortete.
Das Problem Methan
Das Futter spielt eine entscheidende Rolle, wenn es heißt, den Methanausstoß zu reduzieren. „Je kleiner das Trockenfutter gehäckselt ist, desto verdaulicher ist es“, sagt Heuck. „Auch ist es wichtig, die Tiere nur auf Weiden zu schicken, auf denen das Gras nicht so hoch steht.“ Kommt es zu Futterwechsel, etwa in der Trockenstehphase vor der Geburt des Kalbes, so achtet der Tierwirt darauf, dass die Kühe sich langsam an das neue Futter gewöhnen. „Im Stall gibt es verschiedene Bereiche mit unterschiedlichem Futter, durch das die Tiere im Wochen-Rhythmus durchwandern“, so Heuck.
Mindestens so wichtig wie das Management des Futters ist der Umgang mit den Hinterlassenschaften der Kühe. Auch über die Gülle wird Methan in die Atmosphäre abgegeben, der Ammoniak im Urin wird zudem in Lachgas umgewandelt – laut Bundesumweltamt ist es 265-mal schädlicher als CO₂. Über die Hälfte der deutschen Emissionen stammen aus der Landwirtschaft.
„Wir streuen in den Liegeboxen Urgesteinsmehl aus, das bindet den Ammoniak“, erklärt Heuck. Ein Mistschieber sorgt dafür, dass die Ausscheidungen der Kühe sofort entfernt werden. Über einen unterirdischen Kanal kommt die Gülle auf direktem Weg in die Biogasanlage, übrig bleibt ein Substrat zum Düngen.
Wachstum oder Verzicht?
„Anders als die meisten Betriebe haben wir uns nicht auf Feld- oder Viehwirtschaft spezialisiert, sondern betreiben beides nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft“, erklärt Geschäftsführer Hemme. „Die Gülle von unseren Kühen kommt auf unsere Felder, wo sie Humusboden aufbaut. Und der kann Wasser und CO2 speichern. Außerdem haben wir so einen guten Boden für unsere Feldfrüchte, die wir für das Tierfutter anbauen.“
Das klingt alles gut. Ob Maßnahmen, wie sie bei Hemme Milch angewandt werden, ausreichen werden, um die deutsche Klimabilanz wesentlich zu verbessern, ist jedoch fraglich. Umweltverbände sehen keinen anderen Weg, als die Milchproduktion zu reduzieren. Foodwatch etwa plädiert für eine Halbierung der deutschen Milchkuhbestände.
Forscher:innen des Thünen-Instituts rechnen dagegen nicht damit, dass die deutsche Milchproduktion einbrechen wird. Hierzulande gebe es noch ausreichend Flächen, die bei einem moderat voranschreitenden Klimawandel gut für die Grünlandwirtschaft und Milchproduktion geeignet seien, schreibt der Leiter Instituts, Bernhard Osterburg, der taz. „Wenn die Milchproduktion aufgrund des Klimawandels in anderen Ländern unter Druck gerät, eingeschränkt wird oder teurer wird, kann die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Milchproduktion sogar noch steigen.“
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