Landwirt-Influencerin Marie Hoffmann: „Ich bin ja Quereinsteigerin“
Marie Hoffmann ist Landwirtin und Influencerin. Viele ihrer 600.000 Follower:innen haben nichts mit Landwirtschaft zu tun. Wie geht das zusammen?
wochentaz: Frau Hoffmann, wie passt das zusammen: Landwirtin und Influencerin?
Marie Hoffmann: Besser, als man denkt! Die Landwirtschaft ist ja das Thema, über das ich auf Social Media berichte, und der Grund, warum Leute sich für meine Inhalte interessieren. Und ein Handy kann man sehr einfach mit auf den Acker nehmen.
Parallel arbeiten Sie noch auf einem Hof?
Im Mai bin ich in den elterlichen Betrieb eines Schulfreundes eingestiegen. Wir ergänzen uns gut: Ich habe schon viel Praxiserfahrung und die theoretische Ausbildung, mein Kumpel hat das betriebswirtschaftliche Wissen und ebenfalls viel Praxiserfahrung.
Was ist das für ein Betrieb?
Reiner Ackerbau. Wir bewirtschaften 120 Hektar Land, dazu gehört auch Wald und ein Naturschutzgebiet. Dann haben wir 10 Hektar für Grünspargel, das ist unser größtes Standbein. Der Rest ist Roggen, Weizen, Mais, seit letztem Jahr auch Raps. Ab diesem Jahr wollen wir auch noch Hülsenfrüchte, also Ackerbohnen, Erbsen oder Lupinen anbauen – die können Stickstoff aus der Luft aufnehmen und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Wann haben Sie angefangen, landwirtschaftliche Inhalte auf Social Media zu teilen?
Schon während meines Bachelors. Je mehr ich gelernt habe, desto mehr habe ich auch mit meinen eigenen Vorurteilen aufgeräumt und gemerkt, wie viel Unwissen herrscht. In den Medien hört man immer wieder: Landwirtschaft soll das Insektensterben verursachen, den Klimawandel verantworten und so weiter. Dabei hat die Landwirtschaft das Potenzial, fast alle diese Probleme zu lösen.
Wie denn zum Beispiel?
Unsere Böden sind die größten CO2-Speicher, die es gibt. Wir wollen deshalb auf regenerative Landwirtschaft setzen. Die Idee dabei ist, den Boden als eigenes Ökosystem in Ruhe zu lassen und ihn nicht durch Bodenbearbeitung zu zerstören. Dadurch kann sich Humus aufbauen. Der besteht aus organischen Kohlenstoffverbindungen und kann so CO2 aus der Luft einspeichern und das Klima schützen. Das ist auch super für den Artenschutz, zum Beispiel können Wildbienen ihre Nester im Erdreich anlegen und Nester von Bodenbrütern, wie dem Kiebitz, werden nicht zerstört. Und wir werden resilienter: Wenn der Boden nicht mehr fein bearbeitet wird, dann kann er nicht so leicht vom Wind abgetragen werden und Starkregen besser aufnehmen.
Wie setzen Sie das Konzept auf Ihrem Hof um?
Mit Direktsaat. Das bedeutet, dass wir den Boden nach der Ernte nicht umpflügen, sondern direkt neu säen. Wir probieren dafür auch immer neue Techniken aus, zuletzt eine Agrardrohne, mit der wir schon eine Zwischenfrucht in unsere Felder gesät haben, bevor der Weizen überhaupt geerntet wurde. Das war sehr erfolgreich.
Warum machen das dann nicht alle so?
Es gibt auf jeden Fall Böden, die dafür besser geeignet sind als andere. In den ersten Jahren der Umstellung hat man außerdem oft Ertragseinbußen. Neue Techniken kann sich auch nicht jeder Betrieb leisten.
Womit verdienen Sie dann Ihr Geld, mit der Landwirtschaft oder mit den sozialen Medien?
Vom Betrieb lasse mir momentan kaum etwas auszahlen, weil wir erst mal investieren wollen, um den Betrieb für die Zukunft sicher aufzustellen. Wir haben ja nur Ackerbau, sind ein eher kleiner Hof und zu dritt, viel Geld bringt das nicht. Und mein Kumpel, mit dem ich das mache, hat noch einen anderen Job. Nur für seine Eltern ist der Hof aktuell die Haupteinnahmequelle.
Ist Social Media für Sie nur Mittel zum Zweck, um in der Landwirtschaft zu arbeiten?
Nein. Es ist schon mein Traum, irgendwann von der Landwirtschaft zu leben. Aber ich mache die Erklärvideos sehr gern. Und ich kann von dem Geld, das ich mit Social Media verdiene, gut leben. Das ist eine gute Einnahmequelle.
Wie denn?
Ich habe Werbekooperationen, zum Beispiel für Technik, die ich selbst ausprobiere. Das meiste Geld verdiene ich über Vorträge, Paneldiskussionen und Beratung von landwirtschaftlichen Unternehmen. Ich versuche Lösungskonzepte vorzustellen, die für mehr Effizienz und Nachhaltigkeit sorgen. Wie zum Beispiel Möglichkeiten, um Dünger präziser einzusetzen. Wir nutzen auf unserem Hof beispielsweise intelligente Applikationskarten, also eine Software, die genau sagen kann, wie viel Dünger welche Pflanze braucht. Viele wissen gar nicht, wie innovativ die Landwirtschaft ist.
Sie reden schon wieder über Landwirtschaft. Reden Sie nicht gern über sich selbst?
Nein, ich mache ja auch keinen Content über meine Person. Ich nutze Social Media als Plattform, um über die Landwirtschaft aufzuklären. Darüber identifiziere ich mich. Ohne die Landwirtschaft wäre ich nur ein halber Mensch.
Wie kamen Sie zur Landwirtschaft?
Meine Mama ist Lehrerin, mein Papa gelernter Zimmermann. Ich bin zwar auf dem Dorf und mit Pferden aufgewachsen, aber nicht auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Mein Großvater hat mich da rangeführt: Er hat auf einem großen Gut gearbeitet. Als ich ein Kind war, war er zwar schon pensioniert, aber hatte zu vielen Betrieben einen guten Draht.
Und der hat Sie mitgenommen?
Der Mensch
Marie Hoffmann hat einen Master in Agrarwirtschaft und ist vergangenes Jahr als Landwirtin auf dem Hof eines Schulfreundes im westfälischen Soest eingestiegen. Dort kümmert sie sich nicht nur um Aussaat und Ernte, sondern testet Roboter, die bei der Ernte helfen können, etabliert nachhaltige Arbeitsprozesse und berichtet über all das online. Dieses Jahr wird sie 27 Jahre alt.
Der Account
Seit ihrem Bachelorstudium teilt Hoffmann ihr Wissen über die Landwirtschaft auf Social Media. Auf allen Kanälen zusammen folgen ihr mehr als eine Millionen Menschen, allein auf Instagram sind es 600.000 Abonnent*innen: www.instagram.com/marie_hfmn97
Genau. Mit elf Jahren habe ich dann angefangen, auf Höfen auszuhelfen, habe Tiere versorgt und seit ich 16 bin Trecker gefahren. Nach dem Abi bin ich ein Jahr in die USA auf eine Farm, danach in Deutschland Agrarwissenschaften und Agrarwirtschaft studiert. Ab diesem Jahr fange ich an zu promovieren.
Und jetzt halten Sie jeden Tag ihr Gesicht in die Kamera.
Am Anfang habe ich mich das nicht getraut und nur Bilder mit Erklärtexten dort gepostet. Dann habe ich irgendwann während der Arbeit gemerkt, dass ich was zeigen will, aber es praktisch nicht hinkriege, auf dem Acker einen Text ins Handy zu tippen. Irgendwann habe ich das Handy deshalb hingestellt und angefangen, auf Instagram Storys hochzuladen. Das hat die Inhalte viel nahbarer gemacht und die Videos wurden oft geschaut.
Auf welchen Plattformen sind Sie inzwischen?
Auf Instagram, Tiktok und Facebook. Auf Facebook schreibe ich noch ausführlichere Texte, aber die Videos sind überall die gleichen.
Was genau versuchen Sie zu vermitteln?
Ich will einen Einblick in den tollsten Beruf der Welt geben und zeigen, was wir mit der Landwirtschaft alles verändern können. Dafür filme ich, wie die Arbeit auf dem Acker aussieht, und poste Ernteberichte. Aber ich bespreche auch technologische Entwicklungen und erkläre solche Dinge wie Staunässe.
Wieso kommt das so gut an? Immerhin folgen Ihnen mehr als eine halbe Million Menschen.
Ich erkläre es nicht zu kompliziert und setze nicht voraus, dass jemand schon alle Informationen hat. Ein Vorteil ist, dass ich selbst immer auch aus der Verbraucherinnenbrille auf Themen schauen kann. Ich bin ja Quereinsteigerin und habe deshalb ein Gefühl dafür, was Menschen ohne landwirtschaftlichen Hintergrund verstehen können. Außerdem probiere ich oft neue Sachen aus und berichte darüber. Zum Beispiel über die Agrardrohne. Dafür habe ich dann Kooperationen mit Maschinenherstellern, die mir die zur Verfügung stellen.
Ist das dann nicht einfach Werbung?
Nein, bei Maschinentests ist vertraglich immer festgelegt, dass ich auch Nachteile nennen kann, und das mache ich auch ehrlich. Wenn ich das nicht dürfte, würde ich mich nicht auf die Kooperation einlassen. Letzten Sommer habe ich zum Beispiel einen Roboter getestet, der selbstständig die Aussaat übernimmt. Hier gab es aber auch einige ökologische Nachteile, das habe ich dann auch so sagen dürfen.
Was gehört noch zu deiner Arbeit auf Social Media?
Ich sitze viel am Schreibtisch, schneide meine Videos und mache Community Management. Das ist ganz schön viel Arbeit, meistens verbringe ich meine Abende damit, Kommentarspalten zu moderieren und Fragen zu beantworten.
Was ist das für eine Community?
Vor allem eine, die sich für die Landwirtschaft und den Naturschutz interessiert, einige haben auch selbst einen landwirtschaftlichen Hintergrund. Es sind aber immerhin auch 30 Prozent, die gar keine Berührungspunkte mit der Landwirtschaft haben. Zumindest laut einer Umfrage, die ich in meiner Story gemacht habe. Das ist, wenn man Filterblasen und Algorithmen bedenkt, schon ziemlich viel für so ein spezielles Thema wie die Landwirtschaft. Darunter sind auch Veganerinnen und Veganer – da entstehen dann schon mal hitzigere, aber meistens sehr konstruktive Diskussionen unter den Beiträgen.
Ernähren Sie sich selbst vegan?
Nein, aber ich esse meistens vegetarisch. Und Fleisch esse ich eigentlich nur von selbst geschossenen Tieren.
Sind Sie stolz auf ihre vielen Follower?
Ja, da steckt natürlich schon viel Arbeit drin. Aber es spielen auch immer Algorithmen eine Rolle, also vielleicht hatte ich auch einfach Glück. Wirklich stolz bin ich darauf, dass ich neue Dinge ausprobiere und das anderen erklären kann.
Wie war die letzten Wochen die Stimmung auf Ihren Accounts?
In letzter Zeit war es sehr hitzig, weil wegen der Bauernproteste viele Gruppen aufeinandergetroffen sind und das Thema medial in den Fokus gerückt ist. Da gab es schon auch einige Vorwürfe und sehr viel Unverständnis. Viele haben uns vorgeworfen, nur für billigen Diesel auf die Straße zu gehen. Ich habe dann sachlich versucht, die Hintergründe der Proteste zu erklären.
Sie haben auch zu den Bauernprotesten aufgerufen. Warum?
Mich hat die Herangehensweise der Politik gestört: Der Umweltschutz ist eines der wichtigsten Ziele für mich und viele meiner Berufskolleginnen und Kollegen. Aber fest steht auch, dass wir ohne den Traktor nicht arbeiten können. Den Agrardiesel streichen, bevor es eine klimafreundliche Alternative gibt, belastet nur die Branche finanziell, bringt aber dem Klimaschutz nichts. Die Alternativen gibt es bereits, wie zum Beispiel pflanzliche Fette wie HVO und Öle, diese müssen aber auch einen wirtschaftlichen Anreiz durch gesetzliche Hilfestellung erfahren.
Bei einigen Protesten ging es mehr um den Sturz der Ampelregierung als um Klimaschutz.
Ja, das hat sich auch in einigen Kommentaren unter meinen Beiträgen gezeigt, nachdem ich dazu aufgerufen habe, gegen Rechtsextremismus zu stehen. Das hat mir echt zu denken gegeben. Meistens steckten hinter diesen Accounts aber Leute, die mir gar nicht folgen und die gezielt genau solche Beiträge kommentieren. Ich habe weiter versucht, meine Reichweite dafür zu nutzen, den Dialog mit der Politik zu suchen, und nicht den Sturz der Ampelregierung zu propagieren.
Sie haben sogar eine Petition gegen die Kürzung der Subventionen in den Bundestag gebracht. Können Sie sich vorstellen, in die Politik zu gehen?
Jetzt gerade nicht. Vielleicht, wenn ich mal alt und weise bin. Aber ich will erst mal viel mehr Wissen erlangen, mehr Erfahrungen sammeln. Ich habe aber auch das Gefühl, dass es in der Politik oft um interne Machtkämpfe geht. Wenn ich mich deshalb nicht mehr mit der Sache an sich beschäftigen könnte, würde mich das frustrieren. Da bleibe ich lieber parteiunabhängig.
Brechen Sie mit Klischees?
Ich denke schon. Wenn Playmobil einen Bauern auf den Markt bringen würde, wäre die Figur wahrscheinlich männlich, mit Latzhose, Gummistiefeln und Mistgabel. Aber das stimmt ja längst nicht mehr. Landwirtschaft ist eine tolle Wissenschaft, das weckt auch Begeisterung bei jungen Menschen und bei Frauen wie mir.
Erleben Sie als Landwirtin in der Öffentlichkeit auch Sexismus?
Klar, ich habe oft mit sexistischen Kommentaren zu tun. Irgendwer wirft mir vor, dass ich nur erfolgreich bin, weil ich eine blonde junge Frau bin.
Wie ironisch, meistens ist das doch ein Grund, weshalb einem als Frau wenig zugetraut wird.
Das Aussehen von Frauen steht eben meistens im Vordergrund, egal was sie ansonsten für Kompetenzen haben – leider.
Die Bild bezeichnet Sie als „schönste Landwirtin Deutschlands“. Was denken Sie über solche Zeilen?
Es nervt mich, dass mein Aussehen in den Fokus gestellt wird. Darum geht das doch gar nicht. Wenn auf meinem Account ein junger, gut aussehender Mann in die Kamera sprechen würde, würde da keiner drüber reden. Aber ich habe auch nicht das Gefühl, nur darauf reduziert zu werden. Am Ende geht es auch immer um meine Arbeit. Und diejenigen, die mich kennen, mir schon lange folgen und mit mir ins Gespräch kommen, wissen das.
Wenn alle Videos gepostet sind, auf dem Acker nichts mehr zu tun ist, was tun Sie dann eigentlich?
Irgendwas zu tun ist eigentlich immer. Aber wenn ich mal abschalten will, liebe ich es zu reiten. Meine Familie hat eigene Pferde und ich nehme oft meinen kleinen Hund mit. Und ich spiele Klavier, aber ich weiß auch nicht, ob man das als Hobby bezeichnen kann.
Was spielen Sie denn?
Sehr gern Stücke von dem italienischen Komponisten Ludovico Einaudi. Der hat zum Beispiel den Soundtrack für den Film „Ziemlich beste Freunde“ geschrieben. Der ist toll.
Fahren Sie auch mal in den Urlaub?
Ich reise sehr gerne, um landwirtschaftliche Projekte in anderen Ländern kennenzulernen. Dieses Jahr fliege ich noch nach Kalifornien zu einem Hof, der intelligente Mikrobewässerungssysteme verwendet. Die haben dort noch deutlich mehr mit Trockenheit zu tun und sind deshalb schon weiter, was effiziente Bewässerung angeht.
Klingt eher nach Bildungsurlaub.
Ich werde mir auch noch den Grand Canyon und so anschauen.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Mein größter Wunsch ist, dass die Potenziale des wichtigsten Berufs der Welt gesehen werden. Landwirtschaft könnte im Klimawandel der Gamechanger sein. Ich wünsche mir, dass hier wissenschaftsbasierte Entscheidungen getroffen werden und dass wir wertgeschätzt werden.
Und etwas, das nur Sie selbst betrifft?
Ich könnte mir vorstellen, irgendwann einen kleinen Resthof zu kaufen mit einer Wildtierauffangstation. Es wäre mein Traum, auf dem Hof zu leben, auf dem ich auch arbeite.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr