Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Pragmatismus ohne Rampensäue
Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am Sonntag liegt die CDU in den Umfragen deutlich vorn. Das bisherige Kieler Jamaika-Modell wackelt.

Der Schlagabtausch vor den Kameras könnte ein Vorgeschmack auf die Koalitionsgespräche nach dem Wahlsonntag sein. Wenn die Umfragen stimmen, wird die CDU mit 36 oder sogar 38 Prozent klar gewinnen, gefolgt von der SPD mit rund 20 Prozent. Die Grünen, die im Mai 2021 in den Umfragen die CDU überholt hatten und sich bis vor Kurzem Hoffnung auf Platz zwei machen konnten, kämen nur noch auf rund 16 Prozent. Es folgen die FDP mit 9 und die AfD, die bei 6 Prozent steht.
Überraschend hoch ist die Zustimmung für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), die Partei der dänischen und friesischen Minderheiten. Sie zieht auf jeden Fall ins Parlament ein, da sie von der 5-Prozent-Klausel befreit ist. 2017 kam sie auf rund 3 Prozent, diesmal sind möglicherweise 5 drin – vielleicht, weil die Partei seit dem Herbst mit Stefan Seidler im Bundestag vertreten ist.
Kommt es so oder ähnlich, wäre eine Fortsetzung der Jamaika-Regierung in Kiel rechnerisch locker möglich. Und auch der Mehrzahl der Schleswig-Holsteiner*innen würde das gefallen.Tatsächlich hat Jamaika vieles richtig gemacht und obendrein Glück gehabt. So kam das Land vergleichsweise gut durch die Coronazeit. Allerdings war dies nicht unbedingt das Verdienst der Regierung, sondern eher der Mentalität: Zur DNA der Nordlichter gehört schließlich weder Schunkeln auf engen Bierbänken noch gemeinsames Verkleiden.
Trotz Blockaden Zustimmung aus der Bevölkerung
Ein regionaler Coronawitz lautet, man freue sich über das Ende der 1,5-Meter-Abstands-Regel, endlich müsse man sich nicht mehr so dicht auf die Pelle rücken. Dennoch sorgten die niedrigen Inzidenzwerte für Zufriedenheit mit Jamaika. Dass das Bündnis sich in vielen Bereichen gegenseitig blockiert und Zeit verschwendet hat, wie die SPD es besonders bei der Energiewende kritisiert, sieht die Bevölkerung offenbar gelassen.
Nicht einmal um die Bildung, sonst ein landespolitisches Kernthema, gibt es Streit: Alle Seiten haben nach hart umkämpften Reformen einen Schulfrieden geschlossen. Einzig der Spitzenkandidat der Linken, Johann Knigge-Blietschau, wollte „Eine Schule für alle“ zum Thema machen, dringt aber angesichts des Ukrainekriegs nicht durch. Innerhalb der Regierung war die Stimmung während der fünf Jahre überraschend gut.
Der „Geist von Jamaika“, den die drei Parteien zu Anfang beschworen hatten, erwies sich als ein freundliches Gespenst – sicher auch, weil in allen drei Parteien ebenso pragmatische wie umgängliche Personen an der Spitze stehen. Vermutlich hat es dem Binnenverhältnis gutgetan, dass durch den Weggang von Robert Habeck (Grüne) und Wolfgang Kubicki (FDP) nach Berlin zwei Alphamännchen im Kieler Landeshaus fehlen.
Die Mitglieder in Daniel Günthers Kabinett, darunter die Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) und der FDP-Landesparteichef Heiner Garg als Gesundheitsminister, machen fachlich gute Arbeit, sind aber keine politischen Rampensäue, die zwischen Volksfest und Talkshow pendeln.
Juniorpartner wollen kein „drittes Rad am Wagen sein“
Für die Sichtbarkeit sollen bei den kleineren Parteien andere sorgen: Bei den Grünen die Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré als Nummer zwei der Landesliste. Bei der FDP Wirtschaftsminister und Spitzenkandidat Bernd Buchholz, der zwar im Akkord Gewerbegebiete eröffnet und Straßen baut, aber nicht an den Beliebtheitswert Kubickis herankommt. So scheint die CDU die meisten Stimmen der Jamaika-Fans einzusammeln, auch wenn „es auf dem Wahlzettel kein Kreuz für Jamaika gibt“, wie Heinold warnt.
Offiziell will Günther weiter mit Grün und Gelb regieren, selbst wenn es zu einem Zweierbündnis reichen würde. Doch beide Parteien machen klar, dass sie nicht „drittes Rad am Wagen“ sein wollen. Eine schwarz-gelbe Regierung gab es zuletzt von 2009 bis 2012, sie machte sich durch einen harten Sparkurs unbeliebt.
Die Alternative wäre Schwarz-Grün – die Koalition, die die dringend anstehende Energiewende endlich voranbringen könnte.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Macrons Krisengipfel
Und Trump lacht sich eins
Maßnahmenkatalog vor der Bundestagswahl
Grünen-Spitze will „Bildungswende“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA und Russland besetzen ihre Botschaften wieder regulär
Frieden in der Ukraine
Europa ist falsch aufgestellt
Die Neuen in der Linkspartei
Jung, links und entschlossen
Gentrifizierung in Großstädten
Meckern auf hohem Niveau