Labour-Parteitag in Großbritannien: Kampf um Herz und Seele der Partei
Nach wie vor steht die britische Labour-Opposition im Schatten der Antisemitismus-Debatte. Manche jüdische Mitglieder haben bereits aufgegeben.
Das Banner hing vor dem Konferenzzentrum in Brighton, wo Anfang dieser Woche der Labour-Parteitag stattfand. Es wurde schließlich von der Polizei entfernt – just in dem Moment, als davor zwei Männer intensivst diskutieren.
Der erste, Joseph Cohen, trug schwarze jüdisch-orthodoxe Kleidung, er leitet ein Informationswerk zu Israel. Der andere, Peter Gregson, trägt ein rotes T-Shirt mit der Parole „Boykottiert und isoliert Israel“, ist Gründer der Gruppe „Labour gegen zionistischen islamophoben Rassismus“ und wurde im Frühjahr wegen Antisemitismus aus seiner Gewerkschaft geworfen und von der schottischen Labour-Partei suspendiert.
Auf einem Flugblatt nennt Gregsons Gruppe die Vorwürfe von Antisemitismus in der Labour-Partei Schwindel und den jüdischen Labour-Verband JLM (Jewish Labour Movement) einen „Verteidiger des rassistischen Apartheidstaates Israel.“
Das vergangene Jahr war für die JLM nicht einfach. Aufgrund ihrer Klagen nahm die britische Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) offizielle Ermittlungen gegen Labour wegen institutionellen Antisemitismus auf. Sechs Parlamentarier aus Unter- und Oberhaus haben die Partei verlassen und nannten Antisemitismus als Grund.
Beschuldigte wie der suspendierte Labour-Abgeordnete Chris Williamson haben dagegen die parteiinterne Gruppe „Labour Against the Witchhunt“ (Labour gegen die Hexenjagd) gegründet.
Die „Hexenjagd-Gegner“ haben einem Informationsstand direkt neben dem Ausgang des Konferenzzentrums in Brighton. Der jüdische Verband JLM trifft sich derweil in der Synagoge der Stadt.
„Nicht aufgeben, bis Jeremy Corbyn weg ist“
„Was wir hier erleben, ist nicht ein Kampf von Juden oder für Juden, sondern ein Kampf um Herz und Seele der Partei“, sagt Ruth Smeeth, eine jüdische Abgeordnete, die sich geweigert hat, aus Labour auszutreten. Labour-Veteranin Margeret Hodge, Tochter eines Holocaustflüchtlings und für ihre Beschimpfung Corbyns als „verdammter Rassist“ berühmt geworden, zeigt ein Flugblatt der rechtsradikalen BNP gegen sie aus dem Jahr 2010, das auch von Linksextremen in den sozialen Medien benutzt worden sei. „Ich werde nicht aufgeben, bis Jeremy Corbyn weg ist“, sagt sie.
JLM-Vorsitzender Michael Katz bedauert am Ende der Veranstaltung, er könne nicht garantieren, dass es JLM nächstes Jahr – dabei meint er auch das am Sonntagabend bevorstehende nächste jüdische Jahr – noch gebe. Das hänge auch vom EHRC-Urteil ab.
Beim Parteitag 2018 hatte sich Labour von der internationalen Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Allianz (IHRA) distanziert, weil sie darin das Recht auf Kritik an Israel gefährdet sah.
Rund die Hälfte aller Parteitagsdelegierten trägt dieses Jahr Aufdrucke der Palästina-Solidaritätsbewegung samt palästinensischer Fahne auf den Umhängebändern ihrer Konferenzausweise. Beim Infostand der lange von Corbyn geführten Palästina-Solidarität liegen Israel-Boykottaufkleber. Drinnen diskutieren die Delegierten über einen Antrag zu einer „ethischen Außenpolitik“, der sich vor allem für „das Recht der Rückkehr von Palästinenser*Innen nach Hause und das kollektive Recht auf Selbstbestimmung“ einsetzt“, für den „Stopp jeglichen Waffenhandels, der mit der Verletzung der Menschenrechte von Palästinenser*Innen in Verbindung steht“ und gegen „Handelsverträge, welche die Rechte von Palästinensern verletzen“.
Getragen wird der Antrag unter anderem von der Gruppe Jewish Voces of Labour (JVL), vor einigen Jahren von Corbyn-treuen jüdischen Labourmitgliedern als Gegenstück zur etablierten JLM gegründet. Zu ihrer Nebenveranstaltung in Brighton hat JVL den revisionistischen antizionistischen Historiker Ilan Pappe und die ehemalige israelisch-palestinänische Knesset-Abgeordnete Hanin Soab eingeladen.
Als JVL-Mitglied, sagt im Plenum Vanessa Stilwell, sei sie eine von 1.000 Juden, die bei Labour niemals Antisemitismus erlebt hätten und die Corbyn als „den antirassistischsten Parteiführer, den die Partei je hatte“, ansehen. Der Saal, der bei voller Kapazität bis 5.000 Delegierte aufnehmen kann, bricht in Beifall und Applaus aus, bei stehenden Ovationen werden palästinensische Fahnen gewedelt. Solidarität für die palästinensische Sache wird mit Verleugnung jeglichen Antisemitismus in der Partei gemischt.
Barnaby Marder, ein langjähriger jüdischer Labour-Aktivist, erklärt auf seiner Facebookseite einen Tag später, dass ihn das zum Entschluss brachte, endgültig aus Labour auszutreten.
Eine Debatte zum Antisemitismus wurde hingegen auf den Samstag verlegt, den jüdischen Feiertag, trotz des Hinweises der JLM, dass jüdisch-religiöse Genoss*Innen dann möglicherweise nicht teilnehmen könnten.
Beschlossen wurde ein Schnellverfahren, das der Parteiführung erlaubt, bestimmte Fälle von Antisemitismus direkt dem Parteivorstand vorzulegen. JLM-Vorsitzender Katz kritisierte, dass damit keine unparteiische Instanz urteile, sondern ein politisches Gremium: „Dadurch könnten Fälle in derartigen Schnellverfahren zugunsten der Partei entschieden werden.“
Doch er gestand, dass viele wie die Labour LGBTQ+-Gruppe trotzdem aus Besorgnis dafür gestimmt hätten. Denn unter den Gegnern waren Corbyn-treue Personen, Gruppen und Gewerkschaften, welche der Auffassung waren, dass keine Sonderregelungen notwendig seien, da Labour schließlich kein Antisemitismus-Problem habe.
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