piwik no script img

LNG-Terminal in WilhelmshavenChlor in die Nordsee

Damit am neuen LNG-Terminal in Wilhelmshaven keine Muscheln wachsen, will Uniper massenhaft Chemikalien ins Wasser leiten. Umweltverbände protestieren

In Wilhelmshaven soll die Nordsee verunreinigt werden, um die Versorgung zu gewährleisten Foto: Sina Schuldt/dpa

Göttingen taz | Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnt vor einem „schleichenden Chemieunfall“ am geplanten Terminal für die Anlandung von Flüssiggas (LNG) in Wilhelmshaven und den anderen ins Auge gefassten LNG-Standorten. In der niedersächsischen Hafenstadt wolle das kürzlich verstaatlichte Energieunternehmen Uniper mit dem vom Bund gecharterten Terminal-Schiff „Höegh Esperanza“ zehnmal so viel Chlor in die Nordsee einleiten wie Behörden zuvor an einem vergleichbaren Standort in Australien für vertretbar gehalten hätten, so DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner.

Bislang unterlassene Umweltverträglichkeitsprüfungen für Wilhelmshaven und alle weiteren LNG-Projekte müssten umgehend nachgeholt werden. Ihr Betrieb dürfe zugelassen werden, wenn der Eintrag von Schadstoffen auf „das absolut notwendige Minimum“ reduziert werde. Die „Höegh Esperanza“ soll ab Jahresende über Wilhelmshaven Flüssigerdgas importieren, das russische Lieferungen ersetzen soll. Sie ist ein wichtiger Teil des Plans der Bundesregierung, Deutschland unabhängig von russischem Gas zu machen.

Der Brennstoff wird nach seiner Rück-Umwandlung in einen gasförmigen Zustand ins Gasnetz eingespeist. Ziel ist ein Umschlag von bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr, etwa 8,5 Prozent des deutschen Gasbedarfs. Der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz hatte bekanntgegeben, dass Uniper die Einleitung von jährlich bis zu 178 Millionen Kubikmeter mit Bioziden behandeltes Seewasser beantragt hatte.

Biozide – in diesem Fall Chlor – sind Chemikalien zur Bekämpfung von Schädlingen. Uniper will damit in Wilhelmshaven den Bewuchs der sogenannten Regasifizierungsanlagen durch Muscheln oder Seepocken verhindern.

Gerade wegen dieser Einleitung von Bioziden habe die „Höegh Esperanza“ an ihrem vorher geplanten Einsatzort am Projekt Crib Point LNG im australischen Bundesstaat Victoria im Jahr 2021 keine Betriebserlaubnis erhalten, berichtet die DUH. In der Umweltprüfung der dortigen Behörden, die der Umwelthilfe vorliege, sei die „Höegh Esperanza“ durchgefallen. Das Schiff entspreche nicht dem Stand der Technik. Das gesamte LNG-Projekt sei daraufhin abgesagt worden.

Langfristige Auswirkungen befürchtet

Die in Deutschland geplanten LNG-Terminalprojekte profitieren laut DUH allesamt von verschiedenen Ausnahmeregelungen, die im LNG-Beschleunigungsgesetz formuliert wurden. Für die schwimmenden Terminalschiffe wurde dafür auch die Umweltverträglichkeitsprüfung gestrichen. Durch weitere Änderungen im Wasserhaushaltsgesetz sei jüngst festgelegt worden, dass auch die Einleitung schädlicher Abwässer in der Regel als unschädlich gilt. Eine Pflicht zur individuellen Prüfung einer solchen Einleitung auf die Umwelt sei damit nicht mehr nötig. Dies hatte die DUH bereits im Gesetzgebungsverfahren bemängelt.

Laut Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) wurden für Wilhelmshaven „verschiedene Gutachten“ in Auftrag gegeben, die sich auch mit möglichen Umweltauswirkungen befassen. Vergleiche mit dem australischen Standort bewertet Lies als unseriös: „Wir kennen die Rahmenbedingungen in Australien nicht, um beide Standorte sinnvoll vergleichen zu können.“

Die Umwelthilfe räumt ein, dass es mit Blick auf den Biozid-Eintrag durch die „Höegh Esperanza“ und die Wirkung auf die umliegenden Schutzgebiete wie den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zwar einzelne Untersuchungen gab. Eine Konzentrationswirkung der Schadstoffe sei aber nur für einen Zeitraum von zwölf Wochen berechnet worden.

Chlor begünstigt die Entstehung von Krebs und Mutationen

Uniper habe jedoch einen unbegrenzten Betrieb des LNG-Terminalschiffes beantragt, so dass langfristige Auswirkungen zu befürchten seien. Auch seien keine tatsächlichen Messwerte, sondern nur Annahmen für die Emissionen der „Höegh Esperanza“ verwendet worden. Uniper selbst ließ eine Anfrage der taz unbeantwortet.

Chlor kann krank machen

Die Einleitung von Chlor habe gravierende Folgen, betont Müller-Kraenner. Die Abbauprodukte begünstigten die Entstehung von Krebs, Mutationen und beeinträchtigten die Fortpflanzungsfunktionen: „Das alles soll in unmittelbarer Nähe von Wattenmeer und Jade als besondere Schutzgebiete von internationaler Bedeutung geschehen.“ So wichtig die Herstellung von Versorgungssicherheit auch sei – „wir dürfen die Augen vor möglichen Umweltfolgen der LNG-Anlagen nicht verschließen.“

„Die ‚Höegh Esperanza‘ hat die Bundesregierung offenbar von der Resterampe, nachdem das LNG-Terminalschiff in Australien keine Umweltzulassung erhalten hatte“, sagt DUH-Experte Constantin Zerger. Die DUH forderte die Bundesregierung auf, die entsprechenden Gesetzesänderungen wieder rückgängig zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Wenn's nicht zu verhindern ist: Konsequentes Monitoring.

    Dazu:



    Anhörung zu Handelsabkommen: Bedenken zu Ceta bleiben



    Die Bundesregierung will das umstrittene EU-Abkommens mit Kanada endgültig ratifizieren. Aber was ist mit der demokratischen Beteiligung?



    taz.de/Anhoerung-z...bb_message_4405064

  • Nun.



    Erschütternd.



    Aber: hat jemand erwartet, dass es genau bei unserem spontanen Bedarf zufällig passende Topstandard- Terminalschiffe auf Abruf gibt?

  • "Vergleiche mit dem australischen Standort bewertet Lies als unseriös: „Wir kennen die Rahmenbedingungen in Australien nicht, um beide Standorte sinnvoll vergleichen zu können.“"

    Die wesentlichen Unterschiede: Australien ist am Meeresschutz interessiert, das Land Niedersachsen eher weniger. Und "Crip Point" war ein privatwirtschaftliches Projekt - im Gegensatz zu systemrelevanten, hervorragend gemanagten Staatskonzernen wie Uniper müssen die sich gelegentlich an Gesetze halten.

  • Hauptsache billg

  • Hier zwingt sich zunehmend ein Eindruck auf, den allzu viele eigentlich gar nicht wahrnehmen wollen: Es geht gar nicht um irgendwelche Versorgungssicherheiten, sondern lediglich um die Beibehaltung größtmöglicher Zerstörungen der Lebensgrundlagen unter dem Deckmantel "Versorgungssicherheit".

  • Neben "Sorry, liebe Schweinswale!", siehe Artikel, nun auch Sorry, liebe Muscheln!

  • 0G
    06455 (Profil gelöscht)

    Jetzt wird der Satz



    "Wir schaffen das"



    umgesetzt.



    Es wird noch mal beschleunigt in der Zerstörung.



    Grün war mal eine Hoffnung!

  • Das ist doch absolut typisch. Uniper will hier offenbar die Notlage ausnutzen um die für sie billigste Lösung durchzudrücken.



    Antifoulingfarben (mit denen man das Problem früher anging) sind IMHO mittlerweile verboten und Taucher die den Rümpfe reinigen teuer.



    Weiß nicht, ob es schon Unterwasserputzroboter gibt - aber das ist anzunehmen.