Anhörung zu Handelsabkommen: Bedenken zu Ceta bleiben
Die Bundesregierung will das umstrittene EU-Abkommens mit Kanada endgültig ratifizieren. Aber was ist mit der demokratischen Beteiligung?
Berlin taz | „Warum soll das Handelsabkommen zwischen EU und Kanada überhaupt ratifiziert werden?“, war die meistgestellte Frage. Die Anhörung zu Ceta fand am Mittwoch im Wirtschaftsausschuss des Bundestags statt. Die Bundesregierung will die Ratifizierung des umstrittenen Vertrags vorantreiben.
Tatsächlich ist Ceta bereits seit 2017 größtenteils in Kraft, die meisten Zölle wurden abgeschafft. Es fehlt lediglich das Investitionsschutzkapitel, das unter anderem noch von Deutschland ratifiziert werden muss. Die Ampelkoalition hat bereits angekündigt, das tun zu wollen.
Klare Argumente für die Ratifizierung gab es von den geladenen Sachverständigen nicht. „Um den Unternehmen Sicherheit zu geben“, sagten etwa Matthias Krämer vom Bundesverband der Deutschen Industrie oder Gabriel Felbermayr vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung.
Maik Außendorf, der für die Grünen im Ausschuss sitzt, nannte der taz pragmatische Gründe: „Eine Streichung des Investitionskapitels wäre uns auch am liebsten, aber das ist eine komplette Neuverhandlung und da würden wir mit unseren Koalitionspartnern nicht auf einen Nenner kommen und auch nicht mit unseren europäischen Partnern.“
Aus Sicht der Linken spricht nichts dagegen, den Status quo beizubehalten. Der bereits in Kraft getretene Teil könne weiter genutzt und der Investitionsteil abgetrennt werden, sagt der Linken-Abgeordnete Pascal Meiser. Weder in Kanada noch in Deutschland gebe es ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit.
Größter Kritikpunkt am Investitionsschutzkapitel ist die darin enthaltene Einrichtung eines separaten Schiedsgerichts. Vor diesem sollen Unternehmen Staaten verklagen können – wenn etwa politische Maßnahmen ihre Gewinnaussichten einschränken, weil damit der Schutz ihrer Investitionen nicht gewährleistet sei.
Kritiker:innen warnen insbesondere vor drohenden Klagen gegen Staaten, die Maßnahmen zum Umweltschutz oder progressive Arbeitsstandards voranbringen wollen. Laufende Klagen, die sich auf ähnliche Kapitel in anderen Abkommen beziehen, zeigen, dass die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist.
Um kritische Stimmen zu besänftigen, wurde eine Interpretationserklärung angehängt, die solche Fälle ausschließen soll. Doch auch der von den Grünen geladene Jurist Markus Krajewski konnte nicht alle Bedenken ausräumen.
„Eine Interpretationserklärung kann einen bestehenden Vertragstext nicht weginterpretieren“, sagte Krajewski. Besser wäre es, die „indirekten Enteignungen“ als Basis für Klagerechte komplett zu streichen. Der Jurist riet den Abgeordneten deshalb, besonders aufmerksam bei der Wahl der Richter:innen für das Schiedsgericht zu sein.
Das schließt an den zweiten Kritikpunkt an: die parlamentarische Beteiligung und Kontrolle. Sie betrifft nicht nur die Ausgestaltung des Schiedsgerichts, sondern auch regulatorische Ausschüsse, die den Vertragstext weiterentwickeln können. Außendorf sieht darin Chancen, in Sachen „Nachhaltigkeit und Klimaschutz“ Verbesserungen zu erarbeiten.
Meiser hält dagegen: „Es spricht nichts kategorisch dagegen, diesen Vertragstext weiterzuentwickeln, aber wir brauchen eine verbindliche Rückkopplung auch in den Deutschen Bundestag.“ Sonst läge die Ausarbeitung nur bei den Regierungen der 27 Mitgliedstaaten.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scheint demokratische Beteiligung eher hinderlich zu finden. Auf dem Maschinenbaugipfel in Berlin sagte er, er wolle das Zustimmungsverfahren zu EU-Freihandelsverträgen vereinfachen. Man müsse fragen, ob eine nationale oder sogar regionale Zustimmung wirklich sinnvoll sei.
Leser*innenkommentare
31841 (Profil gelöscht)
Gast
"Kritiker:innen warnen insbesondere vor drohenden Klagen gegen Staaten, die Maßnahmen zum Umweltschutz oder progressive Arbeitsstandards voranbringen wollen. Laufende Klagen, die sich auf ähnliche Kapitel in anderen Abkommen beziehen, zeigen, dass die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen ist."
Da wäre womöglich schon ein Anlass in Aussicht:
"Laut Deutscher Umwelthilfe sollen beim Betrieb des geplanten Flüssiggas-Terminals in Wilhelmshaven große Mengen Chlor in die Nordsee geleitet werden. Das Mittel wird zur Bekämpfung von Muscheln und Seepocken am Terminalschiff „Höegh Esperanza“ eingesetzt. Die Umwelthilfe fordert die sofortige Überprüfung aller LNG-Standorte."
www.rnd.de/wirtsch...VPQ53TD6DIZEY.html
ke1ner
@31841 (Profil gelöscht) Verstehe ich das richtig? Dass für den Fall, dass Ceta in Gänze in Kraft getreten sein wird, wie es die Regierung vorhat, und dann hier in Deutschland ein Gericht entscheidet, der Betrieb müsse z.B. wegen Vergiftung der Umwelt eingestellt werden, dann so ein Urteil durch die vorgesehenen Schiedsgerichte kassiert werden kann?
Also z.B. eine kanadische Firma auf Lieferverträge pochen und sich mit Berufung auf das Abkommen durchsetzen könnte?
Aus dem von Ihnen verlinkten Artikel: 》Gerade wegen der Einleitung dieses Biozids habe die „Höegh Esperanza“ an ihrem vorherigen geplanten Einsatzort am Crib Point LNG Projekt im australischen Bundesstaat Victoria im Jahr 2021 keine Betriebserlaubnis erhalten, hieß es weiter. In der Umweltprüfung der dortigen Behörden, die der Deutschen Umwelthilfe vorliege, sei das Schiff durchgefallen. Das gesamte LNG-Projekt sei daraufhin abgesagt worden.
„In Wilhelmshaven und an den übrigen LNG-Standorten droht ein schleichender Chemieunfall“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner. Laut Antragsunterlagen wolle Uniper mit seinem LNG-Terminalschiff zehnmal so viel Biozid in die Nordsee einleiten, wie die australischen Behörden zuvor an vergleichbarem Standort für vertretbar gehalten hätten. Genau für solche Fälle sei die Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen《
Mal abgesehen davon, dass im neuen LNG-Beschleunigungsgesetz die Umweltverträglichkeitsprüfung sowieso weitgehend ausgehebelt ist? www.lto.de/recht/h...essiggas-russland/
resto
@ke1ner Ganz genau. Das war ja auch die Kritik an TTIP (was teilweise auch die AfD groß gemacht hat). Demokratische Beteiligung gibt es sowieso nicht - wie immer.
Gerhard Krause
Mehr Druck gegen Ceta. Dass das Projekt jetzt wieder auf der Tagesordnung steht, kommt nicht von ungefähr. Die Bevölkerung sorgt sich, sodass sie jetzt aus politischer Sicht schwächelt.
ke1ner
Habecks Bückling in Katar is.gd/uHNtzs , Scholz' Reise zu Mohammed bin Salman al-Saud - (Monitor: "Öl statt Menschenrechte?" is.gd/jpBVMr ) - auch hier dürfte es um Gas gehen.
Ducie Howe aus der Mi’kmaq-Nation im heutigen Nova Scotia, Kanada:
》Nicht weit von meinem Wohnort entfernt plantPieridae Energyden Bau des Goldboro LNG-Terminals, von dem aus Flüssigerdgas nach Deutschland verschifft werden soll, um Europa in der Energiekrise zu „helfen“. Im August wird Bundeskanzler Olaf Scholz zu diesem Zweck nach Kanada reisen. Ich fordere Sie als deutsche Bürger:innen auf zu verstehen, dass LNG aus Kanada alles andere als grün ist.
Diese Projekte bedrohen unser Klima, die Sicherheit unserer Frauen und Mädchen, und sie zerstören das Land, auf dem wir seit jeher gelebt haben. DasGoldboro LNG-Exportprojekt sieht ein riesiges Camp für bis zu 5.000 Arbeiter vor, während die Anlage gebaut wird. Diese Arbeitslager sind in Kanada dafür bekannt, dass sie mit Gewalt, Menschenhandel und dem Verschwinden von indigenen Frauen und Mädchen in Verbindung stehen.
LNG kann nicht als „nachhaltig“ und „ethisch“ bezeichnet werden, wenn esunser Volk bedroht. Das Goldboro LNG-Terminal wird ohne die vorherige, freie und informierte Zustimmung der Mi’kmaq Nation verhandelt. Dies ist ein direkter Verstoß gegen die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker, die sowohl Kanada als auch Deutschland unterzeichnet haben《
taz.de/Indigene-un...essiggas/!5867062/
Wurde bei dieser Anhörung eigentlich auch mal die Frage aufgeworfen, was mit "wertegeleitet" (wie in 'wertegeleitete Außenpolitik') genau gemeint sein soll?