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LGBT-Rechte in JapanShibuya traut sich

Ein kleiner Bezirk in Tokio macht den ersten Schritt: Künftig dürfen sich in Shibuya auch nicht-heterosexuelle Paare das Ja-Wort geben.

Glückliche Aktivisten, unter anderem Fumino Sugiyama (links): das Parlament von Shibuya macht es möglich Bild: ap

TOKIO ap | Endlich wird Fumino Sugiyama die Möglichkeit haben, nach vier Jahren Partnerschaft seine Freundin heiraten zu können. Bisher ging das nicht, denn formal gilt Sugiyama als Frau, und gleichgeschlechtliche Ehen waren in Japan bisher nicht möglich. Aber die Entscheidung eines Kommunalparlaments hat am Dienstag dafür gesorgt, dass dies jetzt geht – wenn auch nur in einem relativ überschaubaren Bezirk der Metropole Tokio.

Es geht um Shibuya, den hippen Trendbezirk für die jungen Kreativen in Tokio, der auch diejenigen anzieht, die mittlerweile weltweit unter dem Kürzel LGBT an einem Strang ziehen: LGBT steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle, die um gleiche Rechte kämpfen wie die Möglichkeit, einen geliebten Menschen zu heiraten und damit Dinge juristisch einfordern zu können, die ihnen sonst verwehrt bleiben: Etwa das Recht, im Krankenhaus Informationen über den medizinischen Zustand des Partners zu bekommen oder gemeinsam eine Wohnung zu mieten.

Sugiyama hat sich zum Mann umoperieren lassen, aber das zählt vor dem japanischen Gesetz nicht. Er ist als Frau geboren, und obwohl der 33-jährige Gastronom seit seiner Kindheit weiß, dass er sich als Junge fühlt, wird das nicht anerkannt in Japan. „Wir wollen ja gar nicht die Welt verändern“, sagt er. „Wir wollen nur mit der Person zusammenleben, die wir lieben.“ Zumindest in Shibuya scheint das jetzt möglich, und zwar auch mit dem Segen des Bezirks.

Shibuya hat gerade einmal 217 000 Einwohner – ein Bruchteil der gigantischen Metropole Tokio, die samt Speckgürtel rund 37 Millionen Bürger zählt. Und die in Japan übermächtige liberal-konservative Regierungspartei ist nicht besonders begeistert von dem rebellischen Beschluss des Kommunalparlaments westlich des Hauptstadtzentrums. „Das wird große soziale Konsequenzen haben“, sagt Mari Sato, ein Mitglied sowohl des Bezirksparlaments als auch der Regierungspartei und damit ein Gegner der Entscheidung. „Darüber wird noch zu reden sein“, ergänzt er.

Ein riesiges Tabu

Offen gelebte Homosexualität ist in Japan ein riesiges Tabu. Die Zahl derjenigen, die sich trauen, in Shibuya ihre Liebe als Ehe beurkunden zu lassen, wird wohl überschaubar sein. Aber der Bezirk erwartet dennoch einen beachtlichen Zuzug von Menschen aus der LGBT-Gemeinde. Voraussichtlich im Juli werden die Standesämter die ersten Heiratsurkunden ausstellen.

Den Bezirksbürgermeister Toshitake Kuwahara freut's: Er sagt, die Vielfalt der Bevölkerung passt zum netten und lebhaften Flair seines Ortsteils, wo sich quirlige Boutiquen, Live-Musik-Kneipen und Internet-Startups angesiedelt haben. „Das sind einfach Tatsachen“, sagt er über die Anziehungskraft seines Bezirks auf die LGBT-Community. „Wir müssen akzeptieren, dass unsere Gesellschaft jedem eine Chance gibt.“

Eines der wenigen offen lesbisch lebenden Paare bilden Koyuki Higashi und Hiroko Masuhara. Sie standen während der Abstimmung mit einer Regenbogenflagge vor dem Bezirksparlament von Shibuya. Auf einem weiteren Banner stand auf Englisch: „Wir lieben dich, Shibuya“. Die beiden Frauen sind vor vier Monaten extra in das Viertel gezogen, um zu den ersten zu gehören, die sich hier das Ja-Wort geben können. Vor zwei Jahren haben sie das bereits inoffiziell in einem Tokioter Freizeitpark bei einer privaten Gelöbnisfeier getan. Als die Entscheidung in der Bezirksverordnetenversammlung von Shibuya fiel, umklammerten die beiden Frauen vor Freude ihre Hände.

Nur ein Anfang

Sugiyama – der Mann, der als Mädchen geboren wurde – sagt, dass die Entscheidung des Bezirksparlaments nur ein Anfang einer großen Entwicklung sei. Er erzählt von seiner unglücklichen Kindheit in einer Mädchenschule, wo er gegen seinen Willen gezwungen wurde, Röcke zu tragen. Er machte eine veritable Sportkarriere und schaffte es sogar in die japanische Fecht-Nationalmannschaft der Frauen. In dieser Zeit verliebte er sich in die Gegend von Shibuya und beobachtete eine wachsende LGBT-Gemeinde. Dass seine Geschlechtsumwandlung legal nicht anerkannt wurde, wurmt ihn.

Jetzt kann er hier immerhin heiraten, auch wenn die Ehe nur hier anerkannt wird. Er und seine Zukünftige wollen Kinder großziehen, erinnern aber auch an diejenigen Mitglieder der LBGT-Community, die von der wenig toleranten japanischen Gesellschaft in den Selbstmord getrieben wurden, weil ihnen offene Ablehnung entgegenschlug. „Wir wollen der japanischen Gesellschaft ja nichts wegnehmen“, sagt er. „Aber es ist die Gesellschaft, die sich ändern muss, nicht wir.“

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1 Kommentar

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  • Immerhin: Sugiyama, den Mann, der als Mädchen geboren wurde, lässt die taz mit Blick auf "diejenigen Mitglieder der LBGT-Community, die von der wenig toleranten japanischen Gesellschaft in den Selbstmord getrieben wurden", ausrichten: "Aber es ist die Gesellschaft, die sich ändern muss, nicht wir."

     

    Das klingt, als würde zumindest Yuri Kageyama die Schuld am Tod von Selbstmördern nicht ausschließlich bei den Opfern oder bei einer zufällig vom Himmel gefallenen Krankheit namens Depression suchen, für die niemand etwas kann. Wenigstens in diesem Kontext. Das ist ein Anfang, finde ich. Womöglich lässt die taz ja nun demnächst drüber nachdenken, ob und wie wenigstens diese Selbstmorde zu verhindern gewesen wären – außer mit der segensreichen Macht eines felsenfesten Glaubens an die Drefaltigkeit aus ärztlicher Allwissenheit, technischem Fortschritt und die Heiligkeit der Pharmaindustrie.