LGBT-Aktivistin in Ungarn: „Wir sind nicht allein“
In Ungarn werden trans Menschen alle Rechte genommen. Doch LGBT-Aktivistin Blanka Vay kann dem neuen Gesetz auch positive Effekte abgewinnen.
taz: Frau Vay, trans Menschen in Ungarn werden mit einem neuen Gesetz alle Rechte genommen. Kam diese Initiative aus heiterem Himmel?
Blanka Vay: Das Timing war überraschend, da der Entwurf ohne jegliche Debatte plötzlich dem Parlament vorgelegt wurde. Der Inhalt war aber so erwartet worden. Wir kennen ja das Weltbild dieser Regierung. Weniger verstehen wir, warum wir belogen wurden.
Inwiefern belogen?
Die Anträge auf eine amtliche Geschlechtsänderung lagen seit zwei Jahren auf Eis. Das begründete die Regierung mit dem Versprechen, sie werde eine transparente neue Regelung erarbeiten. Aber das war nicht der Fall.
Wie war das Verfahren bislang?
Unwürdig und undurchsichtig. Nur mit zwei psychiatrischen Gutachten konnte man das Geschlecht in den Dokumenten den Tatsachen anpassen. Jetzt aber ist klar, was die Regierung unter einer transparenten Regelung versteht. Es wird der Begriff des Geschlechts von Geburt an rechtlich eingeführt. Dieses wird anhand von Chromosomen und den äußeren Geschlechtsmerkmalen festgestellt. Die Regierung argumentiert, diese biologischen Eigenschaften könnten nicht gänzlich geändert werden. So bleiben alle Menschen für immer an das Geschlecht gebunden, das bei ihrer Geburt festgestellt wird. Diese Regelung brandmarkt trans Menschen. Intersexuellen verbaut sie den Weg, das von den Ärzten irrtümlich eingetragene Geschlecht später korrigieren zu können.
Blanka Vay (40) engagierte sich früh für Umweltschutz, arbeitete als Sprecherin von Greenpeace Ungarn und war eine der Initiatoren der ungarischen Grünen (LMP). Seit sechs Jahren lebt sie in Berlin, wo sie das Café Grundeinkommen leitet. Vor vier Jahren hat sie sich geoutet, sie leitet die ungarische Prizma-Gemeinschaft, eine feministisch-politische Gruppe von trans Menschen.
Welche alltäglichen Probleme bereitet trans Menschen dieses Gesetz?
Da Vornamen auch offiziell einem Geschlecht zugeordnet sind, bekommen trans Menschen jedes Mal Probleme, wenn sie sich ausweisen müssen. Auf der EC-Carte steht ein Name, der mit der äußeren Erscheinung der Person nicht im Einklang ist. Es wird dann gefragt, ob das Konto dem Ehemann oder der Ehefrau gehört. Und dann wird die Zahlung verweigert. Auch Schaffnern gegenüber muss man sich outen, da auf Monatskarten der Name ebenfalls eingetragen ist. Dieses Gesetz macht Ärger ohne Ende, von den psychischen Folgen mal ganz abgesehen.
Wird man in Ungarn auch angefeindet, wenn man den falschen Vornamen angibt?
Das hängt stark von der jeweiligen Person ab. Ein Schaffner kann beim Blick auf den Ausweis und dann in dein Gesicht verständnisvoll nicken. Er kann aber auch andere Kollegen herbei rufen und sich dann mit ihnen über die Person lustig machen. Richtig problematisch wird es bei der Jobsuche. Selbst wenn ein Arbeitgeber offen ist, wird am Ende gesagt, es könne nicht riskiert werden, dass die Belegschaft durch einen Trans-Menschen im Kollegenkreis gespalten wird.
Wird mit dem neuen Gesetz auch eine aggressive Stimmung in der Bevölkerung bedient?
Eine repräsentative Umfrage hat ergeben, dass 71 Prozent der Ungarn und Ungarinnen nichts gegen eine eingetragene Geschlechtsänderung haben. Trotzdem spielt die Regierung in Budapest mit Ressentiments, die in der Gesellschaft verbreitet sind. So war es mit den Flüchtlingen, so ist es mit der Minderheit der Roma und jetzt geht es verstärkt gegen trans Menschen.
Was könnten die Folgen sein?
Ich kann mir vorstellen, dass dieser Angriff auf die ganze LGBT-Community ausgeweitet wird. Die Politik der Orbán-Partei setzt ja gerade darauf, existierende Spannungen anzuheizen. Damit können Orbán und seine Partei Fidesz auch ihre christlich-konservative Erzählung untermauern. In diesem Kontext ist ein Aufschrei der internationalen Gemeinschaft geradezu willkommen.
Wie übersteht man solche staatlichen Attacken?
Es gibt auch gute Nachrichten. Alle Oppositionsparteien haben sich gegen das Gesetz gestemmt, sogar die früher rechtsradikale Jobbik-Partei hat einen Änderungsantrag mitgetragen. Auch die LGBT-Community steht enger zusammen, als das normalerweise der Fall ist. Trans Menschen werden manchmal als Hindernis in dieser Gruppe angesehen. Sie seien ja die Seltsamen und Provozierenden, die einem Ausgleich mit der Mehrheitsgesellschaft im Wege stehen. Auch davon ist jetzt keine Rede mehr.
Also können Sie dem neuen Gesetz auch etwas Positives abgewinnen?
Unbedingt. Denn wir fühlen uns nicht mehr allein. Und wir sind es auch nicht. Jeder versteht nämlich, das so eine Blitzentscheidung auch ihn oder sie treffen kann. Und dann gibt es noch einen interessanten Aspekt. Die Entscheidung der Regierung, die amtliche Anerkennung von trans Menschen zunächst für zwei Jahre auszusetzen, hatte einen Nebeneffekt. Viele wagten sich an die Öffentlichkeit, sie sprachen über ihr Leben auf YouTube. Das neue Gesetz kann diesen Trend noch verstärken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren