Kurs gegenüber Ungarn: Selbstverzwergung der EU
Jetzt rächt sich, dass Europa viele Jahre dem Treiben Viktor Orbáns zugesehen hat und keine Wege für Sanktionen fand.
Seit langem verfolgen Überlebende des Holocaust in Ungarn und in anderen Ländern Europas die politischen Entwicklungen um Victor Orbán mit Entsetzen und Empörung. Die permanente Destabilisierung der Demokratie in Ungarn und das Vergiften des gesellschaftlichen Klimas durch offenes propagandistisches Taktieren mit alten antisemitischen und rassistischen Klischees erinnert die Überlebenden an historische Entwicklungen, die sie in Ungarn mit ihren Familien schon einmal am eigenen Leib erlitten haben.
Vor wenigen Wochen erst mussten sie fassungslos beobachten, wie die Werke des jüdisch-ungarischen Nobelpreisträgers und Auschwitz-Überlebenden Imre Kertesz aus den Schulbüchern entfernt wurden. Erneut hat jetzt der ungarische Ministerpräsident Europa eine schallende Ohrfeige verpasst und die Brüsseler Institutionen als zahnlose Tiger der Lächerlichkeit preisgegeben. Die Selbstentmachtung des Parlaments, die Orbán gerade mit der Zweidrittelmehrheit seiner Partei auf den Weg gebracht hat, macht ihn zu einem Herrscher, den die europäischen Demokratien in ihren Reihen gar nicht mehr für möglich gehalten hatten.
Jetzt rächt sich, dass Europa über viele Jahre dem Treiben Orbáns zugesehen und keine Wege gefunden hat, ihn mit empfindlichen Sanktionen zu belegen. Für Auschwitz-Überlebende nicht nur in Ungarn war Europa in den letzten Jahrzehnten eine Institution, die – auch als Reaktion auf die Schrecken von Auschwitz entstanden – vor allem dafür Sorge tragen würde, dass sich Demokratien in Europa gegenseitig stabilisierten und die Rechte und Regeln der Demokratie in allen Mitgliedsländern gewahrt werden würden: Keiner würde in Europa alleingelassen werden, wenn Politiker vor der heimischen Haustür versuchten, Hand an die Wurzeln der Demokratie zu legen und Hetze und Hohn zum Grundton ihrer Politik machen würden.
Gerade deshalb ist in diesen Tagen die Selbstverzwergung Europas besonders tragisch und gerade deshalb warten jetzt Überlebende des Holocaust auf eine europäische Antwort an die ungarische Adresse. Es wäre für uns alle fatal, wenn aus den Corona-Dunkelheiten ein Europa auftauchen würde, das demokratische Prinzipien leichtfertig geopfert hat.
Leser*innenkommentare
Andreas_2020
Ungarn ist unter Orban ähnlich wie ein Staat in den 1930ern, ganz offen wird mit einer autoritären Herrschaft eine Gesellschaft unterdrückt, internationale Abkommen werden ignoriert und vor allem werden Feinde im eigenen Land entdeckt, verfolgt, angeprangert und vorgeführt. Es ist unglaublich, dass Orban dieses Programm in der EU durchzieht. Gerade sein Antiziganismus ist vollkommen aus der Art gecshlagen und eine Beschämung für alle Europäer. Dass er mit dieser Masche in der EU ist und wohl auch bleibt, zeigt, dass es gar keine Werte-Union gibt und dass die EU löchrig und fehlerhaft ist.
satgurupseudologos
Die " Selbstver"garten"zwergung Europas " im verhältnis zu der reaktionären rechtspopulistisch- nationalistischen entwicklung in ungarn hat vielleicht auch etwas damit zu tun wie und mit wessen stimmen die derzeitige präsidentin der eu-kommision in ihr amt gelangte.
www.welt.de/politi...is-des-Sieges.html
der eu -abgeordnete Martin Sonneborn hat sich mit dem personalpolitischen tableau als satiriker befasst:
www.youtube.com/watch?v=sELCkfRn09A
hedele
Am Ende wird uns womöglich der EuGH retten und von sich aus - ohne Grundlage im Vertrag - den Stimmverlust Ungarns und evtl. auch Polens nach Art. 7 feststellen - während sich Kommission und Rat bis auf die Knochen blamiert haben und jeglichen Gestaltungsanspruch für die künftige Entwicklung der EU verloren haben. Das Machtvakuum wird das Parlament füllen müssen.
82286 (Profil gelöscht)
Gast
@hedele Könnte so kommen.
Bleibt die Frage: wer hält sich an die Beschlüsse des EU-Parlaments?
Da bedarf es eines europaweiten Auftsands pro EU.