Kunsttipps der Woche: Sympathie mit den Kraken

Die Empfindungen des Pandemiejahrs spiegeln sich in den neuen Arbeiten von Michaela Meise, Grace Weaver und Andrés Pereira Paz wider.

Ausstellungsansicht mit Arbeiten von Michaela Meise: an den Wänden bunte Zeichnungen, im Vordergrund eine Skulptur aus Kalkstein: das Gesicht eines friedlich schlafenden, kindlichen Wesens geht auf der Rückseite in eine geballte Faust über

Michaela Meise: Still, Ausstellungsansicht Foto: Courtesy the artist and KM

Oktopusse sind die einzigen wirbellosen Tiere, von denen bekannt ist, dass sie Werkzeug verwenden. Kokosnusshälften zum Beispiel oder Schneckengehäuse schleppen sie mit sich herum, um sie bei Bedarf als Schutzwall oder Panzer zu benutzen. Ziemlich schlau ist das von jenen Tieren, bei denen sich bekanntlich auch die Intelligenz in den Tastarmen befindet. Sie rüsten sich für alle Eventualitäten, um sich, wann immer nötig oder gewünscht, zurückziehen zu können aus der Welt.

Ein wenig wie ein Oktopus im Schneckenhaus könnte man sich die vergangenen Monaten gefühlt haben, in denen wir uns wieder und wieder an neue Begebenheiten anpassen mussten und uns noch öfter als sonst in unseren eigenen kleinen Höhlen wiederfanden. Michaela Meise jedenfalls scheint Sympathie mit den Echten Kraken zu fühlen, zwei ihrer neuen Aquarelle zeigen einen Oktopus.

Jetzt, über ein Jahr nach Ausbreitung der Coronapandemie kann man sie deutlich sehen, die Auswirkungen der monatelangen Lockdowns und Maßnahmen, den Ausdruck, den die Empfindungen in der Zeit der Isolation in der Kunst finden. Introspektiv und widersprüchlich fällt dieser bei Meise aus. Wie Visualisierungen von Träumen wirken weitere Papierarbeiten, eine kleine Skulptur aus Kalkstein wiederum vereint Innerlichkeit mit Stärke – das Gesicht eines friedlich schlafenden, kindlichen Wesens geht auf der Rückseite in eine geballte Faust über.

Verarbeitet hat Michaela Meises ihr ihrer Ausstellung bei KM außerdem ein Ereignis, dass wenige Wochen vor dem ersten Lockdown stattfand und sie massiv erschütterte: das rechtsradikale Attentat in Hanau. Meise, die selbst aus Hanau stammt, sang zum Jahrestag im Februar die türkische Totenklage „Cemalim“ auf Deutsch ein, die ausgestellte Collage entstand in diesem Zusammenhang.

Grace Weaver: älter, in sich gekehrter

KM, Michaela Meise: Still, Mehringplatz 8, Mi.–Sa. 14–18 Uhr, bis 7. August.

Soy Capitán, Grace Waver: DROOP, Prinzessinnenstr. 29, Mi.–Sa. 12–18 Uhr, bis 31. Juli, soycapitan.de.

Brunand Brunand, Andrés Pereira Paz: Isabel (in the Warmi Pachakuti), Eisenbahnstr. 4, Di.–Fr. 12–18 Uhr, bis 17. Juli.

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Ungewohnt düster fallen auch die neuen Arbeiten der New Yorker Malerin Grace Weaver aus, die derzeit bei Soy Capitán und bis zum 24. Juni auch in den Räumen von Soy Capitán im Amtsalon in Charlottenburg zu sehen sind. Mit bonbonbunten figurativen Bildern, in denen sie die kleinen und großen Tragödien und Tragikomödien junger Groß­städ­te­r*in­nen festhielt, ist Weaver vor ein paar Jahren bekannt geworden, als eine hintergründige, selbstironische Chronistin ihrer Generation.

Das ist sie freilich immer noch, nur ist sie älter geworden, sie erscheint mehr in sich gekehrt. Ihre Farbpalette ist verblasst, grau geworden, die Oberflächen grober, Übermalungen sind sichtbar, geben ihren Sujets neue Tiefe. Zu sehen sind vor allem Menschen allein, in wenig glamourösen Situationen. Kein Wunder nach diesem Jahr. Vom ach so aufregenden urbanen Leben, das Weaver malerisch festgehalten hatte, blieb eben nicht viel mehr übrig als der tägliche Gang zum Supermarkt oder zur Mülltonne.

Wagnis Galerieeröffnung

Gewagt haben es die Kunsthistorikerin Daniela Brunand und Künstler Christian Falsnaes und in einer Altbauwohnung in Kreuzberg mit Blick auf die Markthalle 9 und im Frühling des Neubeginns eine Galerie eröffnet: Brunand Brunand. Gerade läuft die erste Einzelausstellung von Andrés Pereira Paz, an dessen Installation bei der Berlin Biennale im vergangenen Jahr sich einige erinnern werden – metallene Strichzeichnungen von Sternen im Raum hatte er dort in schwaches Licht getaucht, entlehnt waren die Motive aus den Manuskripten eines frühen Chronisten der indigenen Bevölkerung.

Für die neue Ausstellung beschäftigte sich auch er stärker mit sich und seinem privaten Umfeld. „Isabel (in the Warmi Pachakuti)“ ist Frauen in seiner Familie und seinem Leben gewidmet, der Fürsorgearbeit, die diese leisten, sowie weiblich konnotierten Werten – und den zum Teil problematischen Strukturen, in denen beides verankert ist.

Ebenso persönlich wie politisch ist etwa „Julias Porträt“, entstanden in intensivem Austausch mit Pereira Paz ehemaligem Kindermädchen, Rassismen und Klassismen innerhalb der bolivianischen Gesellschaft spielen in die textile mit dehydrierten Kartoffeln bestickte Arbeit hinein.

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Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.

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