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Kunst über Schwarz-Weiß-Denken„Diese Strategie hat Tradition“

Die Umpolung der gezeichneten Welt: Marc Brandenburg zeigt im Palais Populaire in Berlin Werke, die sich mit Repräsentation auseinandersetzen.

Mit dem „Tarnpullover für Ausländer“ strickt Marc Brandenburg Rassismuskritik durch Kunst Foto: Palais Populaire

Der Tod trägt Dessous: Auf dem Bild steckt er in BH und Slip und steht in einem Treppenflur. Den Kopf verhüllen eine Totenkopfmaske und eine spitze Haube; die Haut erscheint schwarz, die Wäsche weiß, der Körper langgliedrig und androgyn.

Es ist eben alles eine Frage der Perspektive. Marc Brandenburgs Bild „Der Tod, eine Treppe herabsteigend“, das er 2017 von einem am Computer invertierten, also zum Negativ verkehrten Foto abzeichnete, wird neben seinem morbiden Charme subtil von der Intersektionalität der Kriterien „Class – Race – Gender“ umrahmt. Denn weder Hautfarbe noch Gender noch soziale Klasse (an der Wand des Treppenhauses meint man, Graffiti zu erkennen) des Models sind eindeutig.

Die Ausstellung

Marc Brandenburg, Palais Populaire in Berlin, bis 23. August 2021

Der 55-jährige Berliner Künstler, dem mit der Ausstellung „Hirnsturm II“ im Palais Populaire nach vielen internationalen Gruppen- und Einzelshows endlich eine umfassende Retrospektive mit 130 Zeichnungen und einer Video- und Rauminstallation gewidmet ist, illustriert seit mehr als 25 Jahren seinen persönlichen „Hirnsturm“ in Form von urbanen und privaten Szenerien: Kneipenabende aus den 80ern, Detailausschnitte von Fridays-for-Future-Demos, Obdachlose in einer städtischen Landschaft oder als kauernde Figuren, halbnackte Männer im Park, Freund:innen, (Rock-)Stars.

Brandenburgs Motive werden durch die sorgfältige, freihändige (Ab-)Zeichnung, deren technische Genauigkeit sie gleichermaßen realistisch wie entrückt wirken lässt, dabei nicht nur unsterblich, sondern auf sämtlichen Deutungsebenen hinterfragt.

Schwarzlicht und Negative

Ein durch die invertierte Farbgebung schwer analysierbares Bild könnte eine Waffe zeigen – in grauschwarzem Graphit explodieren nägelartige Teile und bilden die Form eines Morgensterns. Bei genauerer Betrachtung des Werks, das in der durch Schwarzlicht beleuchteten Haupthalle hängt, erkennt man einen „Expandaball“ – ein eigentlich knallbuntes Plastikspielzeug, das sich wie eine Blüte auffalten lässt und zu den „Stress Relievern“ zählt.

Ebenso vielfältig lesbar sind gezeichnete Negativfotos von leeren Parkbänken, auf deren Rückenlehnen „ANTIFA“ beziehungsweise „HOMO“ gesprüht wurde. Die „HOMO“-Bank scheint im Original mehrfarbig (Regenbogen?) zu sein. Doch ist sie Statement oder Beleidigung, sollen und dürfen nur „HOMOS“ darauf sitzen – oder wird man zum „HOMO“, wenn man sich dort niederlässt?!

Das Umdrehen der Schwarz-Weiß-Stufen bei Brandenburg, das der schwarze Künstler – genau wie das Ausstellen in Schwarzlichträumen, das diese Umkehrung leuchtend verstärkt – schon lange immer wieder als Stilmittel benutzt, führt in der Regel zu einer klassischen Schlussfolgerung der weißen Mehrheitsgesellschaft: Es soll auf die PoC-Perspektive der Künstlers hingewiesen werden.

Aber „das ist auch eine Form des Rassismus“, sagte Brandenburg in einem Interview, „dass im Kunstbetrieb davon ausgegangen wird, dass ich mich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche mit meiner ‚schwarzen‘ Identität und meiner Hautfarbe auseinandersetze. Das würde man von einem weißen Künstler nie verlangen. Und seine Arbeit würde auch nicht automatisch im Hinblick auf seine Hautfarbe gelesen.“ Mit der gleichen Logik müsste man sämtliche weiße Leinwände weißer Künst­le­r:in­nen zur politischen Aussage deklarieren.

„Tarnpullover für Ausländer“

Brandenburgs Ausstellung hat jedoch noch einen zweiten Teil: Die Videoinstallation „Camouflage Pullover“ ist eine Weiterführung seiner 1992 als Reaktion auf die Rostocker rassistischen Ausschreitungen entstandene Arbeit „Tarnpullover für Ausländer“. In der Ecke eines kleinen Raums hängen bunt gemusterte Strickpullover, denen am Hals und den Armbündchen Wollköpfe und Hände „angestrickt“ wurden – trägt man sie, schlüpft man in eine andere „Haut“, eventuell gar in ein anderes Geschlecht.

Reduzierte Strickmaschen-Männergesichter und Hände in verschiedenen (Haut-)Tönen, mit Wollvollbärten oder „asiatisch“ angedeuteter Augenform verstecken den oder die Träger:in, lassen Gedanken zur Diversität und Sichtbarkeit von PoC und zur „gestrickten“ kulturellen Aneignung ebenso zu wie Assoziationen zum Thema Fetisch, das sich zuweilen nicht nur in Lack und Leder, sondern auch in (hoffentlich nicht kratziger) Wolle offenbart. Zudem wird die Affinität zum Modegenre deutlich: In den 80ern arbeitete Brandenburg als Designer.

In den dazugehörigen Filmen, die über drei Leinwänden loopen, flanieren Per­for­me­r:in­nen in den Pullovern durch Berlin oder sitzen in Spitzweg-Monet-Manet-Picknickbild-Manier auf einer Decke im Park. Die Menschen unter der Wolle sind vermutlich diverser als ihre Camouflage-„Masken“ – weiß, schwarz, männlich, weiblich, mit europäischen und asiatischen Wurzeln, und (unsichtbar, aber garantiert) queer und cis.

In einem Interview, in dem der zum Teil in den USA sozialisierte Brandenburg von den TV-Sitcoms seiner Kindheit erzählt, heißt es: „Es ging mir eher darum, Repräsentation […] auf den unterschiedlichen Ebenen lesen zu können, sie zu erfinden, als Schutz zu nutzen. Die Feststellung, dass Persönlichkeit, Identität nichts Festes sind, dass man damit experimentieren kann – wie Samantha in,Verliebt in eine Hexe' – war eine Befreiung. […] Ich denke ich stehe als schwules, traumatisiertes Kind nicht alleine da, diese Strategie hat Tradition.“

Michael Jacksons Hautfarbe invertiert

Diese Idee ist tief mit den Pullis verstrickt – neben einem in sämtlichen Arbeiten fühlbaren Pop-Element: Brandenburgs Motive sind pluralistisch, bei Weitem nicht alle düster – und die nicht-chronologische Hängung des Palais verstärkt den demokratisierenden Eindruck. Ein Bild vom Megastar Michael Jackson, dessen zunehmend heller modifizierte Haut durch die Inversion dunkel erscheint, hängt neben invertierten Freund:innen.

Obdachlosen-Schlafsäcke formen psychedelische Muster der Isolation. Eine Reihe quadratischer Bilder von 2010 scheint abstrakt einen schnellen Pinselstrich nachzuahmen, bis man in einem von ihnen die blicklosen Augenhöhlen eines Totenkopfs entdeckt. Vielleicht sieht man also auch die Wellen eines Totenflusses, die an Radierungen wie die des Illustrators Gustav Doré erinnern.

Der Kurator, Kunstjournalist und Kumpan Oliver Körner von Gustorf weist vorweg in einem liebevollen Essay im Ausstellungskatalog auf motivische Verbindungen zu Gilbert and George und deren Parkbilder hin und auf Reminiszenzen an Cut-up-Techniken von den 10ern bis zu den 50ern des letzten Jahrhunderts.

Indem Brandenburg seiner gezeichneten Welt die Farbe entzieht und sie umpolt, indem er menschliche Hüllen strickt (besser stricken lässt, als fleißige Strickliesel fungierte eine langjährige Freundin), kommentiert er somit den Diskurs um „Class – Race – Gender“, ohne sich darauf zurückzuziehen, ohne sich einzuschränken: Er wählt die Motive. Und er strickt die Identitäten.

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1 Kommentar

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  • Aber „das ist auch eine Form des Rassismus“(...) „dass im Kunstbetrieb davon ausgegangen wird, dass ich mich 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche mit meiner ‚schwarzen‘ Identität und meiner Hautfarbe auseinandersetze. Das würde man von einem weißen Künstler nie verlangen. Und seine Arbeit würde auch nicht automatisch im Hinblick auf seine Hautfarbe gelesen.“

    Eine deutliche Aussage.

    Die identitätspolitische Einteilung der Bevölkerung nach Hautfarben ist überhaupt im Wortsinn eine 'rassistische', da sie die zufällige biologische Kategorie der Hautfarbe zum identitätsbestimmenden Merkmal erhebt.

    Marc Brandenburg spürt die Zumutung, sich ALS schwarz (vorrangig) identifizieren zu sollen, und besteht auf der individuellen Freiheit, sich MIT den verschiedensten 'Dingen' zu identifizieren: ‘ALS’ ist passive Opferhaltung, ‘MIT’ aktive Selbstentwicklung,

    Wenn er aber die Zumutung, sich '24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche' als 'schwarz' zu identifizieren, 'den Weißen' (implizit) anlastet, so enthält das einerseits einen wahren Kern, da diejenigen, die die identitätspolitische Schwarz-Weiß-Ideologie am strengsten vertreten, oft 'weiß' sind - aber klingt hier andererseits nicht doch noch ein Rest des Opferdiskurses an?

    Und sind wir nicht kurz davor, daß die hegemoniale Ideologie auch vom 'weißen' Künstler verlangt, 'sich mit seiner Hautfarbe ständig auseinanderzusetzen'? Eine Ideologie, die in alles und jedes 'Whiteness' hinein interpretiert, und noch in den feinsten Verästelungen unserer Regungen und Gedanken, Worten und Bildern 'White Supremacy' aufzuspüren trachtet.

    Ich wünsche Marc Brandenburg, den binären Schwarz-Weiß-Diskurs vollends hinter sich zu lassen, und die Zumutung, sich als 'schwarz' identifizieren zu sollen, als Zumutung einer entindividualisierenden und damit dehumanisierenden IDEOLOGISCHEN PRÄSKRIPTION zu benennen.

    Und dann kann er auch 'weißen' Künstlern, deren Kreativität ebenso beschnitten wird, die Hand reichen.