Kundgebung zum Gaza-Konflikt: „Die Räume werden enger“

Auf einer von jüdischen KünstlerInnen und AutorInnen organisierten Kundgebung wird getrauert, protestiert – und zunehmendes Schweigen angeprangert.

Demonstration, Frau hält Schild hoch mit "Ceasefire now", auch auf Hebräisch

Eine Demonstration mit Botschaften, aber ohne Flaggen Foto: Florian Boillot

BERLIN taz | „Glaubt nicht, dass die moralische Klarheit im Schweigen liegt!“, ruft Deborah Feldman den rund 1.500 Menschen zu, die sich am Freitagabend zu einer Kundgebung Unter den Linden versammelt haben. Sie wolle an diesem Tag etwas Positives vermitteln, sagt die in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde in New York aufgewachsene und mittlerweile in Berlin lebende Schriftstellerin („Unorthodox“): Sie habe in Deutschland auch Menschen kennengelernt, die Verantwortung übernehmen. „Deren moralischer Kompass ist stärker als die Stimmen der PolitikerInnen, die sie auffordern stillzuhalten.“

Feldman ist eine von insgesamt zwanzig RednerInnen auf der Demonstration mit dem Motto „We Still Still Still Still Need to Talk“, getragen von einem losen Bündnis von Juden aus Deutschland, Israel und anderen Ländern, wie Candice Breitz, eine der Anmelderinnen, zum Auftakt der fast vierstündigen Veranstaltung erklärt. Flaggen sind keine zu sehen – damit entsprechen die TeilnehmerInnen dem Aufruf, diese zu Hause lassen.

Die Botschaften auf ihren Schildern sind trotzdem deutlich: „Ceasefire now / Waffenstillstand jetzt“ steht darauf, „Nicht in meinem Namen“ oder „Jewish Safety and Palestinian Freedom are not Opposing Causes“. Genauso wie „Release All Hostages“, „Befreit alle Geiseln“: Im Mittelpunkt der Kundgebung steht die Trauer um die israelischen Opfer der Hamas-Attacke und die Sorge um die Geiseln, die von der Hamas nach Gaza verschleppt wurden, gleichberechtigt neben der Anklage der anhaltenden Bombardierung der Stadt durch die israelische Armee.

Aber nicht nur das: Viele der Reden sprechen von dem Gefühl, immer stärker von der deutschen Mehrheitsgesellschaft und Politik „gesilencet“ zu werden. Mehrmals kommt die Situation des migrantischen Neuköllner Kulturzentrums Oyoun zur Sprache: Dessen Förderung aus dem Landeshaushalt wird nicht nur von der CDU-Kulturverwaltung, sondern auch von den Grünen in Frage gestellt, weil es dem Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ Räume zur Verfügung stellt. „Die Räume für Verständigung werden immer enger“, sagt der Redner Ferat Koçak. Das Oyoun sei „ein Ort, wo das Diskutieren noch möglich ist – weil anderswo Angst davor herrscht“, so der Linken-Abgeordnete.

Anhaltender Redebedarf

Auch der ungewöhnliche Slogan der Kundgebung steht für einen solchen Vorgang, wie Candice Breitz erläutert. Die jüdisch-südafrikanische Künstlerin mit einer Professur an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig hatte zusammen mit Michael Rothberg, Holocaust-Forscher an der University of California, ein Symposium unter dem Titel „We Still Need to Talk: Towards a Relational Culture of Remembrance“ organisiert. Es sollte, gerade nach den Debatten um die Kasseler documenta 2022, „die Rolle der Kunst und der künstlerischen Freiheit angesichts wachsenden Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie“ thematisieren.

Die Akademie der Künste – Breitz ist Mitglied – wollte das Symposium ursprünglich ausrichten, zog sich aber im Dezember 2022 mit der Begründung zurück, es sei „nicht der richtige Zeitpunkt“ für eine solche Veranstaltung. In die Bresche sprang die Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb). In diesem Dezember hätte „We Still Need to Talk“ im Berliner Futurium stattfinden sollen, aber zwei Wochen nach dem 7. Oktober sagte auch die bpb ab. Begründung: In der derzeitigen Situation sei es nicht möglich, „diese Debatte konstruktiv zu führen und zu moderieren, um das angestrebte Bildungsziel in einer sachlichen und respektvollen Weise zu erreichen“.

Mit den OrganisatorInnen wurde das im Vorfeld nicht abgesprochen, dafür ließ die bpb verlauten, es hätten sich nicht alle Eingeladenen ausreichend von dem Massaker der Hamas distanziert – einen Vorwurf, den Breitz absurd findet. Und nun sei kurzfristig auch noch untersagt worden, direkt auf dem Pariser Platz zu demonstrieren, dort, wo die Akademie der Künste ihren Hauptsitz hat. „Bitte, Leute, was ist das für eine Demokratie?“, ruft Breitz in die Menge.

Zwei Stunden vor Beginn hat die Versammlungsbehörde den VeranstalterInnen mitgeteilt, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor tabu sei. In der schriftlichen Begründung der Polizei an die AnmelderInnen, die der taz vorliegt, heißt es, das Tor stehe „sinnbildlich für Berlin“ und habe „diesbezüglich einen weltweiten Wiedererkennungswert“. Der Plan der AnmelderInnen sei, eine „pro-palästinensische“ Versammlung in direkter Nähe des Tores durchzuführen, schreibt die Polizei weiter. Solche Versammlungen seien aber „Anziehungspunkt für Personen“, die die Hamas unterstützten. „Die nunmehr vorgenommene marginale Ortsverlegung lässt Vorgenanntes nicht mehr besorgen“, so der Wortlaut der Mitteilung.

Bei der Kundgebung dann, ein paar Meter weiter unter den Linden, kritisieren mehrere RednerInnen, dass sie regelmäßig aufgefordert werden, sich erst von den Taten der Hamas zu distanzieren, bevor sie irgendwelche Forderungen stellen dürfen. „Ekelhaft“ sei es, dass Deutsche das von ihr verlangten, sagt Candice Breitz, und die Journalistin Emily Dische-Becker findet, die vorgeschaltete Frage wirke auf sie wie die Aufforderung einer Website, den Button „Ich bin kein Roboter“ anzuklicken. Ferat Koçak fragt: „Haben wir gefordert, dass sich die Almans von den Querdenkern distanzieren? Haben wir nicht!“ Von der Hamas solle er sich aber ständig abgrenzen, „weil ich aussehe, wie ich aussehe. Dabei bin ich noch nicht mal Muslim.“

Trotz allem stellen viele ein weiteres Mal klar, dass sie keinerlei Sympathien für die Hamas hegen. Und der israelische Architekt Eyal Weizman vom KünstlerInnenkollektiv „Forensic Architecture“ berichtet ausführlich von dem Moment, als palästinensische Freunde in Israel am 7. Oktober die Trauer seiner Tochter, die als Menschenrechtsaktivistin tätig ist, teilten.

Weizman spricht offen und wiederholt von einem „Genozid“, den die israelische Armee in Gaza verübe. Er berichtet von Recherchen seines Kollektivs, die ergeben hätten, dass Bomben zum Einsatz kämen, die ihre Sprengwirkung tief unter der Erde entfalten und Verwüstungen in einem viel größeren Umfeld bewirken. „Die Vorstellung, dass sie genau wissen, was sie da bombardieren, ist falsch“, so Weizman, „es ist eine Lüge.“

„1x1 Pappschild mit Schrift“

Der Begriff „Genozid“ sorgt an diesem Abend auch wieder für einen Polizeieinsatz: Als schon zwei Stunden vergangen sind, wird Iris Hefets von der „Jüdischen Stimme“ festgenommen, in einem Einsatzfahrzeug werden ihre Personalien aufgenommen. „Ich bekam dann einen Durchschlag von der Polizei, auf dem als Tatbestand lediglich steht: „1x1 Pappschild mit Schrift gehalten in der rechten Hand“, sagt sie. Die Schrift auf dem Schild lautete: „Als Jüdin und Israelin: Stoppt den Genozid in Gaza“.

„Auf meinen Hinweis, dass ich damit schon seit einem Monat auf die Straße gehe und es der Polizei längst bekannt sei, hieß es nur, es habe eine Anweisung vom LKA gegeben“, sagt Hefets der taz. „Ich habe den Eindruck, dass es Instruktionen gibt einzuschreiten, um eine solche Kundgebung zu kriminalisieren. Irgendetwas ‚muss‘ passieren, und das wird dann eben inszeniert.“

Später, auf dem Heimweg nach der Demonstration, wird eine andere Rednerin angegriffen. „Eure Verantwortung und eure Täterschaft für damals und heute, die könnt ihr nicht weg-konvertieren!“, hat die Rromni auf der Kundgebung gesagt, gerichtet „an die Deutschen und especially Volker Beck“, den Vorsitzenden der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Auf einem U-Bahnhof sei sie von einer Gruppe linker Leute gefragt worden, ob sie „pro Hamas“ sei, berichtet sie der taz, dann hätten sie versucht, ihr einen Palästina-Sticker vom Rucksack und die Kufiya, das palästinensische Tuch, vom Hals zu reißen.

Als sie sich gegen den Angriff zur Wehr setzte, wurde sie von einem der Männer mit voller Wucht über die Bahnsteigkante gestoßen. Sie habe minutenlang Todesangst gehabt. Zum Glück seien ihr dann die Umstehenden, die sich vorher nicht eingemischt hätten, zur Hilfe gekommen, so dass sie rechtzeitig aus dem Gleisbett klettern konnte. Die Täter waren da schon längst verschwunden. Für die Rednerin ist klar: „Die haben mich als braune, muslimische Rromni identifiziert.“

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