Kulturforum in Berlin: Essensbuden statt großer Ideen
Das Kulturforum rund um Philharmonie und Staatliche Museen verdient den Namen nicht. Bei einer Diskussion der Akteure fehlen mitreißende Visionen.
ber das Kulturforum ist schon viel diskutiert worden, seit Stararchitekt Hans Scharoun in der Nachkriegszeit die Idee in die Welt setzte. Bis 1990 sollte das Areal zwischen Landwehrkanal, Großem Tiergarten und Potsdamer Platz mit seiner Ballung an Kulturinstitutionen als Pendant für die im kommunistischen Machtbereich gelegene Museumsinsel fungieren. Seitdem hat sich zumindest der Name gehalten, auch wenn es sich inzwischen um einen im Außenbereich unbelebten Ort städtebaulichen Scheiterns handelt. In der angrenzenden Matthäi-Kirche diskutierten Anrainer der Kulturinstitutionen und Behördenvertreter am vergangenen Freitag, wie man aus dem Kulturforum doch noch ein wirkliches Forum machen könnte.
Bei der Diskussion wurde offenbar stillschweigend vorausgesetzt, dass eigentlich wenig Gravierendes verändert werden kann. Denn das neue Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts begräbt die letzte freie Fläche gerade unter sich. Auf der Baustelle des wohl über eine halbe Milliarde Euro teuren Kolosses wird schon fleißig betoniert. Der Bau soll bis zum Jahr 2026 fertig sein.
Zusammen mit den anderen Gebäuden von Staatsbibliothek, Philharmonie, den Staatlichen Museen etc. bleibt nur noch wenig Außenraum übrig. Oder, wie die als Moderatorin fungierende Journalistin Claudia Henne formulierte: Es gibt eigentlich nur noch „Zwischenräume“. Ein vor Kurzem entstandener neuer Platz lädt – steinern, wie er ist – bislang wenig zum Verweilen einlädt.
Die einzigen beiden Protagonisten, die dem Geschehen beim neuen Museum vielleicht noch einen anderen Dreh geben könnten (wenn sie denn wollten), sind zwei neu ins Amt gekommene Frauen: Claudia Roth (Grüne) als Kulturstaatsministerin des Bundes und Bauherrin sowie Petra Kahlfeldt, Senatsbaudirektorin von Berlin.
Jeder macht sein Ding
Doch Roth war nicht eingeladen und Kahlfeldt fiel krankheitshalber aus. Ihr Stellvertreter in dieser Diskussion, Manfred Kühne als Leiter für „Städtebau und Projekte“ bei der Senatsbauverwaltung, brachte immerhin die meiste Erfahrung mit dem Kulturforum ein („seit 44 Jahren erlebt“). Seine Begriffsschöpfung „Ko‑ignorante Planung“ lieferte zumindest eine plausible Erklärung, warum das Kulturforum nicht funktioniert: Anrainer, Behörden, Architekten, Planer – jeder macht sein Ding, ohne dass es den jeweils anderen interessiert.
Dazu passte, dass die übrigen Teilnehmer der Diskussion eigentlich nur schilderten, wie sie für ihre eigene Institution etwas verbessern, indem sie die sogenannte Aufenthaltsqualität in und um ihre Häuser aufwerten. Meist erschöpfen sich solche Bemühungen – wie bei der Philharmonie – darin, dass ein Kioskwagen vor das Gebäude gestellt wird, wie Andrea Zietzschmann, Intendantin der Philharmoniker, stolz berichtete. Gero Dimter, Vizepräsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, übertraf solche Aussagen durch die Ankündigung eines ganzen Straußes von zukünftigen Aktivitäten im neuen Museum, Staatsbibliothek, der schiefen Piazzetta und so weiter, die alle darauf zielen, mehr Gastronomie möglich zu machen: außen, innen, im Kleinen wie im Großen, auch jenseits der Museumsöffnungszeiten.
Pfarrer Hannes Langbein, Direktor der kircheneigenen Stiftung St. Matthäus und damit Hausherr der Kirche vor Ort, lenkte den Blick aufs Stadtgrün, also das, was mit dem Bau des neuen Museums gerade vernichtet wird. Eigentlich bleibt als Grünfläche nur der Matthäi‑Kirchplatz als grüne Insel im Zentrum einer Stein‑ und Asphaltwüste. Es gäbe zwar fünf Gärten am Kulturforum, so Langbein, aber sie würden von den Leuten nicht wahrgenommen. Kein Wunder, könnte man sagen, denn diese Gärten fungieren als Abstandsgrün wie südlich der Kunstbibliothek, dürfen gar nicht betreten werden wie im Inneren des Kunstgewerbemuseums oder nur im Rahmen eines Museumsbesuchs wie bei der Nationalgalerie.
Kein Schwung in der Chose
Die „Energie“, dass sich etwas zum Guten beim Außenraum ändert, muss von den Beteiligten selbst kommen, erklärte Torsten Wöhlert, Berliner Kulturstaatssekretär. Dann könne auch ein (Kultur‑) Management oder Kurator diese Energie organisieren beziehungsweise in Veranstaltungen umsetzen, die dann – möglicherweise – auch finanziell von seinem Hause unterstützt würden, wenn das Konzept überzeuge.
Ephraim Gothe (SPD), Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, offenbarte dagegen, dass man sich in seinem Bezirk Mitte offenbar wenig für das Kulturforum interessiert. Zuletzt habe man 2005/06 im Bezirk über den Ort „diskutiert“. Fragen von Moderatorin Henne nach Bürgerbeteiligung und Stadtvernetzung zur Belebung des Ortes konterte Gothe lapidar mit der Aussage, das sei „keine Strategie“. Etwas anderes fiel ihm allerdings auch nicht ein.
Verwunderlich, dass Claudia Henne am Ende der Diskussion meinte gelernt zu haben, dass „Schwung in der Chose“ sei. Tatsächlich scheint die einstige große Vision eines Museenortes als Pendant und Fortsetzung des auf der Museumsinsel im 19. Jahrhundert begonnenen Konzepts perdu. Heute geht es nur noch um „niedrigschwellige Angebote“, wie Dimter am Freitag noch mal wiederholte. Es gilt, Publikum anzulocken und Quote zu machen.
Dabei – und das ist das, was die aktuelle Diskussion im Grunde nur zeigte – fällt es ohne mitreißende Visionen schwer, selbst kleine Schritte zu gehen. Heute traut man sich ja noch nicht einmal, den Abriss der schiefen Piazzetta in Angriff zu nehmen, geschweige denn den „Autobahnverkehr“ (Gothe) der Potsdamer Straße zu beschränken.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott