Kulturelles Kleinod vor dem Aus: Grüne Oase vom Abriss bedroht

Beim Kulturhof Kolonie 10 im Wedding sollen weder Denkmal- noch Naturschutzbelange gelten. Abriss droht. Investoren wollen teure Apartments errichten.

Ein Hinterhof im Wedding mit grünen Bäumen, es handelt sich um den von Abriss bedrohten Kulturhof Koloniestraße 10 – Gemeinsam stark für soziales, ökologisches, urbanes Zusammenleben e.V.

Einst förderte der Senat die Hofbegrünung, nun soll der historische Gebäudekomplex abgerissen werden: Kulturhof Koloniestraße 10 Foto: Jean Sommer

BERLIN taz | Große Straßenbaumaschinen, aufgerissener Asphalt, Lärm: In der Koloniestraße im Wedding ist Dauerbaustelle angesagt. Doch Jean Sommer stört das nicht – im Gegenteil: „Die Bauarbeiten kommen uns gerade zugute“, sagt er zur Begrüßung am Eingangstor des Kulturhofs Kolonie 10. Denn da die Straße noch bis voraussichtlich Ende März gesperrt ist, kann auch kein Abrissbagger anrollen und auch kein Kran aufgebaut werden. Es ist eine kleine Atempause für das akut vom Rauswurf bedrohte Projekt.

Sommer und seine Partnerin Marie Münch sind Vorsitzende der Mie­te­r*innengemeinschaft des 1860 erbauten ehemaligen Fuhrhof-Geländes. Seit 2017 streiten sie sich mit Investoren, die den Hof plattmachen wollen. Erst Rauswurf, dann Abriss des historischen Gebäudekomplexes und Errichtung von lukrativen Mikroapartments: Das sei das Ziel des Investors, sagt Sommer. Bereits 2017 wurde allen 40 Kleingewerbetreibenden der im Fuhrhof befindlichen Garagen gekündigt, darunter Ateliers und Werkstätten. Ein Großteil des Hofes starb aus. Die verbliebenen Mie­te­r*in­nen kämpften weiter.

„Es geht hier nicht nur um unsere Wohnung. Es ist einfach toll, dass es diesen Hof mit den vielen sozialen und kulturellen Aspekten gibt“, sagt Marie Münch. Regelmäßig werden hier öffentliche Veranstaltungen wie Hoffeste, Lesungen oder Flohmärkte abgehalten.

Jean Sommer zeigt stolz Fotos von vergangenen Festen und blühender Natur. „Das ist hier ein kleiner, offener Garten. Die Leute können im Sommer reinkommen, sich abkühlen, Birnen oder Weintrauben pflücken.“ Eine integrierte Gartenanlage wurde 1995 durch ein Hofbegrünungsprogramm des Senats mit 90.000 Mark gefördert. „Es ist für den Kiez ganz wichtig, dass man solche offenen Systeme, die seit über 30 Jahren von den Be­woh­ne­r*in­nen selbst gepflegt werden, erhält“, findet Sommer.

„An rechtliche Rahmenbedingungen gebunden“

Wie lange das kleine Glück noch hält, ist allerdings unklar. Wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort der Senatsumweltverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Abgeordnetenhaus hervorgeht, kommt der Investor seinem Abrissziel jedenfalls ganz offenkundig näher.

Das Haus von CDU-Umweltsenatorin Manja Schreiner verweist hier pflichtschuldig darauf, dass Senat und Bezirke zwar „stets um sachgerechte Lösungen“ für die An­woh­ne­r*in­nen vom Abriss bedrohter grüner Höfe bemüht seien. Allerdings sei man nun mal „an die rechtlichen Rahmenbedingungen gebunden“.

Für die Investorenträume in der Koloniestraße 10 gelte daher wie für alle Bauvorhaben, dass diese zulässig sind, „wenn sie den planungsrechtlichen Vorgaben des Bebauungsplans nicht widersprechen“. Das sei nicht erkennbar, der entsprechende Plan für das Grundstück in Wedding sei rechtskräftig.

Auch denkmalschutzrechtlich sei nichts zu machen, das sei mehrfach geprüft worden. „Schützenswerte Strukturen hinsichtlich städtebaulicher Eigenart“ seien schlicht „nicht vorhanden“. Was zugleich die von den Be­woh­ne­r*in­nen ins Feld geführten natur- und artenschutzrechtlichen Belange angeht, so liege seit Anfang Januar „ein Ausnahmeantrag des Vorhabenträgers“ vor. Kurz gefasst: Es sieht schlecht aus für die Kolonie 10.

Petition für den Erhalt des Hofes

Um ihr Zuhause zu retten, hatten die Mie­te­r*in­nen bereits 2020 eine Petition für den Erhalt des Hofes gestartet, 12.000 Unterschriften kamen so zusammen. Auch wurden mehrere Fachgutachten beauftragt, um die dort lebenden Tier- und Pflanzenarten feststellen zu lassen.

Caroline Seige ist ehrenamtliche Vogelschützerin und hat 2020 ein artenschutzrechtliches Gutachten zur Koloniestraße 10 angefertigt. Neben den europäischen Artenschutzstandards, die auf dem Hof greifen würden, da dort unter anderem Fledermäuse und gefährdete Vogel­arten leben und nisten, verweist sie im Gespräch auch auf einen anderen Gesichtspunkt: „Überall in Berlin wird nachverdichtet, es werden Bäume gefällt. Dadurch verschwindet Stadtnatur und es verschwinden unkommerzielle Orte, wie sie die Kolonie 10 darstellt, wo man sich trifft, wo man nichts bezahlen muss.“

Caroline Seige, Vogelschützerin

„Überall in Berlin wird nachverdichtet, es werden Bäume gefällt. Dadurch verschwindet Stadtnatur und es verschwinden unkommerzielle Orte, wie sie die Kolonie10 darstellt, wo man sich trifft, wo man nichts bezahlen muss“

Die Anzahl öffentlicher Räume gehe mit der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung immer weiter zurück. „Das hilft uns mit der Umweltgerechtigkeit und dem Erhalt eines gesunden Lebensumfelds auch nicht weiter“, sagt Seige.

Schon 2020 kam der Bezirk Mitte zu dem Schluss, dass die in der Koloniestraße 10 anzutreffenden Vögel und Fledermäuse durch die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes geschützt seien. Weiter hieß es seitens des Grünen-geführten Bezirksamts aber auch: „Die naturschutzrechtlichen Vorschriften zum Schutz von zum Beispiel Vögeln und Fledermäusen stehen einem Abriss von Gebäuden allerdings nicht grundsätzlich entgegen und bieten als solche auch keine zwingende Ermächtigung zur Verhinderung des Abrisses von Gebäuden.“

„Bezirke haben die Planungshoheit“

Es ist klar, wer das letzte Wort hat: Bauen ist Sache des Bezirks, erklärt Berlins Wildtierbeauftragter Derk Ehlert: „Die Bezirke haben die Planungshoheit. Sie haben die Möglichkeit – und davon machen sie auch reichlich Gebrauch –, konkret rechtsverbindliche Bebauungspläne aufzustellen.“ Der Naturschutz muss auch beim Bauen beachtet werden, so steht es zumindest auf Papier.

Letztlich, sagt Ehlert, werde gefragt, ob der Eingriff vermeidbar wäre. Und wenn nicht, ob er ausgleichbar oder kompensierbar sei. Es gebe fachliche Stellungnahmen, Untersuchungen, Gutachten, die dann sehr viele verschiedene Möglichkeiten beschreiben: vom einfachen Aufhängen von Nistkästen bis zur Schaffung von neuen Lebensstätten als künftigem Zuhause für die Arten.

Alles schön und gut, entgegnet Caroline Seige, bei der Umsetzung hake es aber häufig: „Gerade finden keine standardmäßigen Artenschutzkontrollen statt, vieles wurde in die Eigenverantwortung der Bauherren verlagert – und die kennen sich da meistens nicht aus oder wollen aus eigenem Interesse keine geschützten Arten melden.“

Marie Münch und Jean Sommer haben die Hoffnung unterdessen noch nicht aufgegeben: „Wir haben schon einige Feste gefeiert, wo wir dachten, der Hof ist gerettet. Ich denke mir: Wieso sollte es nicht auch mal ein Happy End geben?“ Mitarbeit: Rainer Rutz

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