Kulturelle Landpartie im Wendland: Harfenkurs und Hatha-Yoga
Bei der Kulturellen Landpartie im Wendland gibt es unzählige Ausstellungen, Kurse und Konzerte. Ein paar Veranstalter machen ihr eigenes Ding.
Wollten Sie nicht schon immer mal Harfe spielen lernen? Bei der Kulturellen Landpartie im Wendland ist das angeblich kein Problem. Nach 60 Minuten, verspricht Kursleiter Thomas Breckheimer aus der Zeetzer Mühle, „spielen alle Harfe“. Auch diejenigen, die vorher noch nie in ihrem Leben ein solches Instrument in der Hand hatten.
Die täglichen Harfencrashkurse – Kosten: 15 Euro oder wahlweise ein Sack trockenes Brennholz – gehören zum Standardangebot der Landpartie, die derzeit zum 35. Mal stattfindet. Seit dem Himmelfahrtstag und noch bis zum Pfingstmontag gibt es in dem durch die Gorleben- und Castor-Proteste auch international bekannt gewordenen Landkreis Lüchow-Dannenberg an rund 100 Orten mehr als 1.000 Ausstellungen, Konzerte, Theateraufführungen, Vorträge und Exkursionen. Die Kulturelle Landpartie ist damit der bei Weitem größte Veranstaltungszyklus dieser Art in Deutschland.
Hatha-Yoga im Obstgarten, Tai Chi Xigung im Wiesenlabyrinth, eine Lamatour über den Osterberg oder einfach „meditatives Chaos“: Insbesondere für gestresste Großstadtbewohner:innen hält die Landpartie zahlreiche Angebote zur körperlichen wie seelischen Entspannung bereit. Therapeuten und Schamaninnen offerieren in Gärten und Scheunen Reiki und Massagen. In Harlingen wird „Quantenheilung für Mensch und Tier“ angeboten, „Einfach drauflos weben“ können Interessierte in Harpe, Klein Breese lockt mit einem „Segen-Ritual aus Maya-Weisheit“.
Es gibt Kurse für nahezu alles und jede:n. „Anhänger filzen mit Nadel und Wolle“ kann ebenso erlernt werden wie Zaubertricks. Interessierte können an Wildkräuterwanderungen und Führungen über einen Ziegenhof teilnehmen, am „Vocal Painting Workshop mit Vera“ oder an Kursen für Silberschmiedekunst und Glasblasen.
Kunst, Kultur und Kuchen
Nahezu alle Künstler:nnen und Kulturschaffende, die sich in den vergangenen Jahren im Wendland niedergelassen haben, öffnen während der Landpartie ihre Werkstätten und Ateliers. Das Publikum kann Malern und Bildhauern in ehemaligen Ställen bei der Arbeit zusehen sowie Theater und Musik auf Höfen und Dorfplätzen erleben.
An den meisten der „Wunderpunkte“ genannten Ausstellungs- und Veranstaltungsorte werden die Besucher:innen mit selbst gebackenen Kuchen und Spezialitäten aus der Region versorgt. Es gibt fangfrischen Fisch aus Gorleben und Bratwurst vom Wildschwein aus den weitläufigen Wäldern der Göhrde.
Ein beliebter Anlaufpunkt ist das Hof- und Wohnprojekt „Ein Ding der Möglichkeit“ im kleinen Rundlingsdorf Salderatzen. Auf der Freilichtbühne treten während der Landpartie Chöre auf. Scheunen fungieren als Galerien, Ställe werden zu Ateliers, das „Heuhotel“ ist stets komplett ausgebucht. Auf einer Wiese hinterm Haus findet sich aber meistens noch ein Platz zum Zelten.
Kulturschaffende zog es in die Gegend
Die Kulturelle Landpartie geht auf den Widerstand der Lüchow-Dannenberger Bevölkerung gegen die Atomanlagen in Gorleben zurück: Im Februar 1977 hatte der damalige niedersächsische Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) das Elbdorf als Standort für ein „Nukleares Entsorgungszentrum“ benannt und damit massive Proteste ausgelöst. Eine atomare Wiederaufarbeitungsanlage und ein Endlager für Atommüll ließen sich angesichts des andauernden Widerstandes nicht durchsetzen.
Nach den ersten großen Demonstrationen in Gorleben zogen in den 1970er und 1980er Jahren zahlreiche Künstler, Kunsthandwerker, Schriftsteller und andere Kulturschaffende aus Großstädten ins Wendland. Seit 1989 öffnen sie und viele Landwirte zwischen Himmelfahrt und Pfingsten ihre Werkstätten, Ateliers und Höfe für das Publikum.
Außer um Gorleben drehen sich viele Ausstellungen, Vorträge und Aktionen in diesem Jahr um die Themen Klimawandel und Wasserverbrauch sowie um den Protest gegen Rechtsextremismus. Am Montag thematisierte ein Vortrag in Salderatzen „Die völkische Unterwanderung ländlicher Strukturen“, für den 16. Mai war ebendort ein „Argumentationstraining gegen Rechts“ angekündigt.
Techno, Blues, Chanson
Den 17. Mai haben die Veranstalter:innen zum „politischen Freitag“ ausgerufen: Am „Beluga-Dreieck“ im Gorlebener Wald, wo auf einer Lichtung in Sichtweite des Atommüllzwischenlagers und des stillgelegten Endlager-Erkundungsbergwerks das frühere Greenpeace-Expeditionsschiff „Beluga“ aufgebockt ist, gibt es neben viel Musik auch Infostände, Kundgebungsreden und Plakatausstellungen.
Überschüsse aus dem Verkauf von Pizza, Bier und Waffeln gehen an die Kampagne „Das Wendland schickt ein Schiff“. Nach 40 Jahren Kampf gegen das Atommüllendlager haben Aktivisti:innen aus der Region ein eigenes Boot zur Unterstützung der zivilen Seenotrettung ins Mittelmeer geschickt. Seit August 2023 hilft das wendländische „Compass Collective“ bei der Rettung von Flüchtenden.
Bleibt das Wetter bei der diesjährigen Landpartie so gut, wie es ist, könnte dieses Mal der bisherige Besucherrekord von rund 50.000 Menschen noch übertroffen werden. Der Massenandrang, aber auch Streit um das künftige Konzept haben dazu geführt, dass sich einige Dutzend Veranstalter von der großen Schwester Landpartie verabschiedet und ihre eigenen Strukturen aufgebaut haben. Was vielen zunächst als Übergang erschien, hat sich inzwischen etabliert: Der „Landgang“ und die „Wendlandpartie“ finden bereits zum vierten Mal parallel zur Kulturellen Landpartie statt und warten mit eigenen Programmen auf.
Merkmal des „Landgangs“ ist der grundsätzlich hohe Anspruch an die Qualität seiner Aussteller, Klasse statt Masse ist hier das Prinzip. Ausdrücklich wenden sich die Initiatoren vom „Rummel“ und Handelsware an vielen „Wunderpunkten“ der Landpartie ab. Dieses Jahr sind es zehn Orte mit 19 Ausstellern, die sich unter dem Motto „Werk + Kunst“ am „Landgang“ beteiligen. Gegenteiliges bietet die „Wendlandpartie“, sie soll und wird eher ein am Vergnügen interessiertes Publikum anziehen. In Bischof, Kussebode und auf Gut Corvin gibt es vom Vormittag bis in die Nacht Musik – von der Technoparty über Blues und Rock bis hin zu Chansons.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Neue EU-Kommission
Es ist ein Skandal
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative