Künstler Mike Spike Froidl über Punk: „Das Ziellose, das ist doch Punk“
Mike Spike Froidl war bei der Anarchistischen Pogo-Partei aktiv. Als Punk ist er der Meinung: „Zur Arbeit zu gehen, ist unter meiner Würde“.
taz: Herr Froidl, Punks are dead – oder sind Sie der Gegenbeweis?
Mike Spike Froidl: Wir sind noch immer da, selbst wenn man uns nicht mehr sieht.
1964 im bayerischen Regen geboren, wuchs in München auf. Dort kam er bereits zu Schulzeiten in Kontakt mit der Punk-Kultur. Ohne Abitur schaffte es Froidl auf die Akademie der Bildenden Künste München. 1998 tourte er im Rahmen des Bundestagswahlkampfes der APPD durch die Republik. Seit Anfang der 1990er Jahren lebt er in einem Haus in Berlin-Mitte, das er einst selbst besetzte.
Die Kunst
Zunächst als Meisterschüler, dann als Assistent seines Professors Robin Page war Froidl an der Kunstakademie tätig, bis der Professor in Rente ging. Seitdem arbeitet er als freischaffender Künstler. Er macht auch Dokumentationen und Filme im Punk-Style, die er auf Veranstaltungen vorführt. www.mike-spike-froidl.de
taz: Aber wo sind sie dann?
Froidl: In der Klinik. In der Klapse. Oder in der Kneipe …
taz: … so wie wir jetzt. Aber gibt es auch noch eine Szene?
Froidl: Ja, na klar. Ich bin ja viel im Berliner Hausprojekt Köpi unterwegs, da gibt es immer noch Konzerte und alles. Und die Undergroundläden wie das Supamolly, das Wild at Heart oder das SO36 gibt es auch noch. Aber es stimmt, viele Leute sind alt geworden, sind 60, so wie ich, haben gerade noch überlebt. Oder eben nicht. Gerade erst ist wieder einer gestorben von den Kumpels. Aber das hat mich nicht überrascht.
taz: Nachwuchs gibt es kaum noch?
Froidl: Doch. Es gab immer neue Wellen an Punks, in den 1990er Jahren etwa die Green-Day-Welle, wie ich sie nenne. Punk ist das wohl erfolgreichste Projekt des 20. und 21. Jahrhunderts. Andere wie die Hippies waren gleich ausgestorben. Trotzdem wird der Platz für so arme Würstchen eben enger in so einer Stadt wie Berlin, die voll von der Gentrifizierung erwischt wurde. Aber wenn ich manchmal in ländlichen Gegenden unterwegs bin, treffe ich jede Menge Punker mit Iros und blauen Haaren. Weg sind sie nicht, nur aus den großen, teuren Städten.
taz: Sind Sie nicht schon ein bisschen alt für das Punk-Leben, haben Sie nie überlegt auszusteigen?
Froidl: Das ist ja kein Lifestyle, sondern eine Weltanschauung, da bleibt man. Jemand hat mal gesagt, Punksein ist wie Malaria. Manche versuchen auszubrechen, und dann kommt das Fieber wieder. Aber bei mir war das nicht so. Ich bin ja freischaffender Künstler und musste mich nie der Gesellschaft so beugen wie die meisten. Ich habe zwar einen Sohn gebastelt, aber der ist später mit seiner Mutter nach Norwegen gezogen und ist da immer noch. Da brauchte ich mich nicht so sehr um eine Familie kümmern.
taz: Was macht die Weltanschauung des Punk aus?
Froidl: Überraschende, hinterfotzige Sachen müssen immer drin sein. Und kreative – deshalb läuft mir das auch gut rein. Manche sind mehr so Kopftäter, aber bei mir kommt das aus dem Herzen, ist etwas Ganzheitliches. Antifaschisten sind wir natürlich auch, denn der Faschismus – abgesehen von den historischen Gräueltaten – will uns ja sagen, was wir tun sollen.
taz: Wie sind Sie in die Szene gekommen?
Assis, meine Eltern waren arm. Und dann mussten wir uns mit den Vokuhila-Prolls und Rockern prügeln.
taz: Es war also keine Rebellion gegen das Elternhaus?
Froidl: Schon gegen alle. Aber mein Vater war Abenteurer und nie da, und meiner Mutter war es wurscht, ob wir jetzt grüne Haare oder so hatten. Sie war als Kind im Krieg, für die war alles okay.
taz: Und nach der Schule ging die klassische Punk-Karriere dann weiter – an der Münchener Akademie der Bildenden Künste?
Froidl: Zunächst kam erst mal die Bundeswehr. Da wollte ich hin, rumballern, bloß nicht auf Hippie machen. Aber auf Marschieren und Rumschinden hatte ich auch keinen Bock, also habe ich mir so viele Gebrechen attestieren lassen, dass ich schon am ersten Tag in die Schwarzwaldklinik geschickt wurde. Da habe ich meinen Hauptmann kennengelernt, der da wegen Alkoholismus war. Ich habe Porträts von ihm gezeichnet, und als ich zurück in die Kaserne kam, war da eitel Sonnenschein. Ich musste nichts mehr machen, habe eigentlich nur noch die Kollegen beim Waffenreinigen gezeichnet und bin mittags, unter dem Vorwand Farben zu kaufen, mit zwei Sixpacks zu meinen Punker-Kumpels gegangen.
taz: Die Bundeswehr-Kunst war dann der Eintritt ins Kunststudium?
Froidl: Ich hatte ja kein Abitur, aber man konnte eine Begabtenprüfung bestehen, also eigentlich von einem Professor genommen werden. Zu der Zeit gab es dann einen neuen verrückten Professor aus Kanada, der lag da nur in Unterhose im Garten der Akademie. Dem habe ich meine drei Skizzenbücher und ein paar Punkrock-Fotos gezeigt und dann war ich drin.
taz: Ihr Professor war der Konzeptkünstler Robin „Bluebeard“ Page.
Froidl: Den Spitznamen hat er mir zu verdanken. Im ersten Semester an meinem 21. Geburtstag haben wir endprall unsere Iros gefärbt und dann eben auch seinen schneeweißen Bart. Am nächsten Tag waren seine Professorenkollegen so entsetzt, dass er gesagt hat, den blauen Bart behalte ich, und sich ein richtiges Image daraus gebaut hat.
taz: Sie wurden sein Meisterschüler.
Froidl: Als Jahrgangsbester. Aber der Professor hat auch nicht im eigentlichen Sinne gelehrt, sondern hat Hof gehalten in der Kneipe. Da konnte jeder kommen, sein Zeug zeigen und dabei wurde gesoffen. Seine Klasse war natürlich voller Freaks. Der Chef war schließlich aus dem Fluxus-Zeitalter. Es wurde gemalt, gebildhauert oder eine Fake-Fluggesellschaft gegründet, es konnte also eigentlich jeder machen, was er wollte. Nach dem Studium bin ich dann sein Assistent geworden, der Co-Professor.
taz: Eine Laufbahn ohne Bruch! Bis Page 1998 in Rente ging.
Froidl: Da bin ich dann auch gleich in Pension gegangen – Scherz – und nach Berlin gezogen. Ich wollte mich nur noch den freien Künsten und der Politik widmen. Zu der Zeit war ja die Hochzeit der APPD …
taz:… Der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands …
Froidl: … genau, und die ist da zum ersten Mal bei der Bundestagswahl angetreten.
taz: Spitzenkandidat der APPD war damals Karl Nagel, der zuvor einer der Mitinitiatoren der Chaostage war, also jenen Punktreffen, bei denen es regelmäßig zu Krawallen mit der Polizei kam. Sie waren in seinem Schattenkabinett als Außenminister vorgesehen. Hatten Sie Ambitionen, politisch was zu verändern?
Froidl: Na hört mal! Wir wollten saufen, saufen, saufen – und das haben wir geschafft. Und darüber hinaus haben wir uns gewundert, dass uns 35.000 Leute gewählt haben. Es war ja klar, dass das eine reine Gaudi ist. Das Schöne war aber, dass wir uns für nichts und wieder nichts mit Leib und Leben da reingeworfen haben. Ein leidenschaftliches Leben ohne Zielvorgabe! Sonst gibt es ja immer Ziele. Selbst beim Meditieren soll man sich relaxen, um dann als Manager noch schlimmere Verträge und die Welt niedermachen zu können. Das Ziellose dagegen, das ist doch Punk.
taz: Gab es gar keinen politischen Kern, etwa der „politische Anwalt des Pöbels und der Sozialschmarotzer“ zu sein, wie es damals hieß?
Froidl: Die APPD war der politische Arm der Chaostage. Aber als Lobby für diese Leute hat die APPD nicht funktioniert, das hätte ja den gegenteiligen Effekt gehabt. Da würden die Leute sagen: Sperrt sie ins Arbeitslager. Manche Typen wie Karl Nagel haben aber bestimmt auch Sachen ernst genommen. Nicht, dass er was erreichen könnte, aber dass er Chaos stiften und dann lachen kann.
taz: Sind Ihnen trotzdem politische Themen wichtig?
Froidl: Wie gesagt, wir sind Antifaschisten. Wir sind für Klimaschutz, denn wir wollen ja weiterleben. Ich glaube auch, dass die meisten Punks für Diversität sind. Und na klar, gehe ich auch auf Demos. Früher haben wir uns schon die Schlachten gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf geliefert. Wenn es hart auf hart ging, waren die Autonomen froh, dass die Punker auch da waren.
taz: Bräuchte die Linke mehr Satire und Humor?
Froidl: Gibt es überhaupt noch eine Linke? Die teilweise verblödete Jugend wählt doch immer mehr rechts. Aber klar würde das guttun. Ich sehe es ja in der Köpi, die Linken zerstreiten sich wegen jeder Kleinigkeit, während die anderen schon längst die Hacken zusammenschlagen. Wir müssen die Influencer an die Front schicken, bevor wir selber an eine echte Front müssen. Wenn die AfD erst an der Macht ist, dann bedeutet das Nationalismus und Ressourcenkampf. Mein Aufruf an die Linken ist aber eher: Eignet euch die sozialen Medien an, beschäftigt euch mit Tiktok, sonst sind wir bald am Arsch. Das Klassenkampfdings ist ja toll, aber man muss es den Leuten auch nahebringen, so dass sie sich nicht nur Pizza und SUVs wünschen.
taz: Und mit der APPD ist es jetzt vorbei?
Froidl: Seit 2005 ist sie abgestürzt. Danach hatte keiner mehr Bock. Man kann so einen Spaß zweimal machen, dann reicht’s. Schlussendlich hat sie sich durch Hybris Einzelner zerlegt. Nach rechtlichen Auseinandersetzungen um die Verwendung des Parteinamens hat Karl Nagel einfach eine neue Pogo-Partei gegründet – ohne A. Dann gab es zwei Parteien und beide sind eingeschlafen. Und wir waren nie so drauf, wie Sonneborn, dass jemand Bock gehabt hätte, sich ernsthaft irgendwo reinzusetzen.
taz: Ist Martin Sonneborn mit seiner Satirepartei Die Partei der legitime Nachfolger der APPD?
Froidl: Wir kennen uns alle untereinander, manche von denen wohnen mit mir zusammen, und wir sind natürlich immer Unterstützer. Die reißen zwar auch nicht wirklich was, aber es ist besser als gar nichts. Wenn man sonst niemand mehr findet auf dem Wahlzettel, kann man immer noch die Partei wählen.
taz: Sie unterrichten seit 26 Jahren Kampfsport. Widerspricht sich das nicht: exzessives Saufen und ernsthafte Kampfkunst?
Froidl: Überhaupt nicht. Im Flow des Trinkens trainiert es sich besser. Ich unterrichte zwei Mal die Woche philippinischen Kampfsport. Das ist keine Rauferei oder Wettkampf, deshalb ist es eher etwas für die älteren Semester. Die meisten sind 50 aufwärts. Es kommen Menschen aus allen Schichten: Hausmeister, Computerfuzzis, Jäger, Tiermediziner, Sozialarbeiter, Maurer.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
taz: Wie sind Sie dazu gekommen?
Froidl: Es wurde viel gerauft in den 1980er Jahren, gegen all unsere Feinde, besonders die Skins. Wir haben uns gedacht: So etwas sollten wir auch lernen und haben uns für den philippinischen Kampfsport entschieden. Er kam uns am straßentauglichsten vor.
taz: Waren Sie mal auf den Philippinen?
Froidl: Ja, natürlich. Wir haben uns bei einem Großmeister eingemietet und wie in einem Kung-Fu-Film mit ihm und seiner Familie auf seiner Terrasse im Dschungel trainiert. Bei einem internationalen Camp von unserem Verband auf Boracay haben wir dann mit den größten Meistern am schönsten weißen Sandstrand trainiert.
taz: Sie sind also Profi?
Froidl: Ich habe alle schwarzen Gürtel gemacht. Ich ziehe immer alles durch, bis es zusammenbricht, sei es ein System wie die APPD, oder der Professor, der pensioniert wird.
taz: Haben Sie Ihre Kampfkunst auf der Straße gebraucht?
Froidl: Einige Male. Da können die bösesten Dinger kommen. Einmal habe ich eine Ausstellung gemacht in Pilsen. Ich war unterwegs mit einem irren Tschechen und einem Punker und wir sind ins völlige Gefechtsfeld reingelatscht. Plötzlich lagen sie da und 15 Skinheads hauen auf sie ein und die nächsten 10 gehen auf mich los. Es war unser Glück, dass ich noch fit war. Keiner konnte mich treffen und ich konnte die beiden Jungs rausziehen. Das ist keine Heldensaga, aber man merkt, man kann seinen Scheiß.
taz: Sie kämpfen auch mit Ihrer Kunst.
Froidl: Ich male politisch private Kampfbilder. Als APPD wären wir nie an die Macht gekommen, aber so kann ich wenigstens in meinen Bildern herrschen und der Menschheit sagen, was ich will – ob sie es hören möchte oder nicht. Sie können ja auch wegschauen.
taz: Was ist Ihr aktuelles Projekt?
Froidl: Ich bin kein großer Freund der künstlichen Intelligenz. Ich visioniere, was mit den Menschen passiert, wenn die KI herrscht oder wenn sich der Mensch selbst als transhumanes Projekt zum Teil der KI macht. Das male ich dann ganz altmodisch auf Leinwände mit Pinsel und Acrylfarbe.
taz: Malen Sie aus Überzeugung, um aufzuklären, oder aus ökonomischen Gründen?
Froidl: Alles. Ökonomisch, weil da kriege ich ein bisschen Kohle. Idealistisch, weil ich das sage, was ich ausdrücken möchte. Und drittens: Es macht am meisten Spaß.
taz: Malen Sie zu Hause?
Froidl: Ja. Zur Arbeit zu gehen, ist unter meiner Würde. Ich wohne in einem Hausprojekt. Dort liege ich in meinem Zimmer auf einer Holzpalette und schaue auf meine Arbeit: die Leinwand. Ich male immer mehrere Bilder gleichzeitig. Wenn ich mit einem Bild nicht weiterkomme, schneide ich mir kein Ohr ab, wie Vincent van Gogh. Dann mache ich einfach etwas anderes oder schneide weiter an meinen Filmen.
taz: Aktuell machen Sie einen Film über Ihren Vater.
Froidl: Mein Vater war Bergsteiger, ein Pionier – damals kannte man Klettern in der Form gar nicht. In den 1950ern ist er mit Wäscheleinen nachts Kirchtürme hochgeklettert und hat die fiesesten Felszacken und vereisten Riesenwände erklettert. Er ist dann Bergführer geworden und im Himalaya, Grönland, in Mexiko und sonst wo rumgekraxelt. Davon gibt es Tagebucheinträge und viele alte Fotos, nur kein Videomaterial. Aber das ist völlig Latte. Man kann mit Fotos einen tollen Film machen, wenn man die gut betextet.
taz: Wo kann man Ihre Filme sehen?
Froidl: Nicht im Netz, nur bei meinen Veranstaltungen. Ich bin gespannt, ob das Publikum für diese Sache affin ist. Nicht jeder muss unbedingt einen Bergsteigerfilm sehen. Aber meine historischen Filme, die kann man schon jedem reindrücken. Ich habe alles gemacht: Bismarck, die Nibelungen, Friedrich der Große, Bewegung 2. Juni.
taz: Leben Sie von Ihrer Kunst oder von Bürgergeld?
Froidl: Ich lebe von der Kunst. Das reicht völlig aus.
taz: In der Fernseh-Talkshow „Vera am Mittag“ haben Sie Ende der 1990er noch damit provoziert, von der Arbeit anderer zu leben.
Froidl: Das war mein Ziel und Zweck und es hat hingehauen. Wir Münchner sind ja total televisionsaffin, wir wissen, wie es geht: Man geht rein und provoziert, labert dumm rum, fängt alle möglichen Provokationen an, und dann hempeln die anderen rum. Bei Vera war das eine Steilvorlage. Ich habe gesagt: ihr dürft ja gern arbeiten, aber ich will die Kohle habe – alle sind drauf angesprungen.
taz: Geht es Ihnen nur um Provokation oder wollen Sie auch ein Vorbild sein?
Froidl: Ich glaube, ich bin ein Vorbild, allein dadurch, dass ich ein idealistisches und politisches Leben führe. Indem ich in einem Haus wohne, das ich selbst besetzt habe und verwalte, kämpfe ich gegen die Gentrifizierung. Ich engagiere mich bei allen Demos, wo es mir wichtig ist. Ich male Kunstwerke über Klimawandel, KI und Wurstbrot.
taz: Was haben Sie noch für Ziele?
Froidl: Bestimmt möchte ich nicht reich und mächtig werden. Es soll Spaß machen. Ziel ist es, nach dem Ideal zu leben, bis das ganze Ding auseinanderbricht. Die Ziellosigkeit ist mein Ziel.
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