Kritischer Publizist aus Vietnam: Er will nicht verstummen
Der Publizist Bui Thanh Hieu lebt schon lange in Deutschland. Der vietnamesische Geheimdienst versucht nach wie vor, ihn mundtot zu machen.
Am Morgen des 10. Juni wurde dem vietnamesischstämmigen Autor Bui Thanh Hieu seine Existenzgrundlage entzogen. Seine Facebookseite und damit eine seiner letzten Publikationsmöglichkeiten war verschwunden. Warum Facebook seine Seite löschen ließ, erfuhr er nicht. Er hatte keine Chance, dagegen vorzugehen.
Bui Thanh Hieu, 51 Jahre alt, ist einer der einflussreichsten Schriftsteller und Blogger in vietnamesischer Sprache. Sein Thema: Korruption in Vietnam. Er ist beliebt für seinen derben Sprachwitz – nur nicht bei der autoritären vietnamesischen Regierung. Die inhaftierte ihn mehrfach wegen „Missbrauchs demokratischer Freiheiten“. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Vietnam momentan auf Platz 178 von 180 Staaten. Nur in China und Nordkorea geht es restriktiver zu.
Im Jahr 2013 konnte Bui Thanh Hieu mit einem Stipendium nach Deutschland reisen. Inzwischen ist er deutscher Staatsbürger. Weil sein Blog „Der Windhändler“ in Vietnam nur über eine Firewall abrufbar war, gab er ihn auf und hoffte darauf, sein Publikum über Facebook besser erreichen zu können.
Ein großes Problem bereitet ihm dabei der vietnamesische Geheimdienst. Seit 2018 unterhält der laut offiziellen Angaben eine 10.000 Personen starke Cyberarmee. Deren Aufgabe ist es, das Internet von Inhalten zu säubern, die nach Meinung der autoritären Regierung unwahr sind. Seitdem werden Hieus Facebookseiten regelmäßig gesperrt. Meist, weil jemand behauptet, Urheber von Fotos oder Texten zu sein, die Hieu auf Facebook gepostet hat. Damit unterstellt Facebook ihm eine Urheberrechtsverletzung, räumt ihm aber keine Möglichkeit ein, sich selbst zu erklären. „Die Vorwürfe sind absurd“, sagt er der taz. Ein Beispiel: Anfang Juni behauptete eine ihm unbekannte Firma mit dem Namen „WEWI MOBILE.SL (Finetwork)“, Urheberin eines aktuellen Fotos zu sein, das Bui Thanh Hieu selbst zeigt. „Das Foto hat mein Freund letztes Jahr gemacht und mir geschenkt“, sagt Hieu der taz.
Todesanzeige geschaltet
Es gab aber auch andere Methoden: 2021 wurde für Hieu auf Facebook eine Todesanzeige geschaltet. Da er angeblich tot war, wurde seine Facebookseite im Anschluss gelöscht. Im selben Jahr gelang es dem vietnamesischen Geheimdienst, auf seinem Computer die Spionagesoftware „OceanLotus“ zu installieren. Die wurde eher zufällig gefunden, weil der Bayerische Rundfunk und die Zeit zu dieser Spionagesoftware recherchierten.
Hieu hat sich bisher nicht professionell gegen die Facebookmanipulationen gewehrt. Stattdessen nahm er die Löschungen zähneknirschend hin, richtete sich immer wieder eine neue Facebookseite ein und musste erneut Reichweite aufbauen. Hieus Followerzahl auf Facebook ist dadurch von 162.000 im Jahre 2017 auf aktuell 30.000 gesunken. Nachdem Hieus Account im Frühjahr 2022 wieder einmal gelöscht wurde, gelang es ihm erst nach mehreren Monaten, erneut ein Facebookprofil einzurichten. Davor war der Publizist von seinem Publikum abgeschnitten.
Begrenzte Möglichkeiten
Auch anderen kritischen Stimmen, die aus Deutschland heraus über Vietnam berichten, geht es wie Hieu. Aber die Möglichkeiten der vietnamesischen Publizist:innen, sich zu wehren, sind begrenzt. Denn Facebook hat kein richtiges Beschwerdemanagement.
Der Journalist Trung Khoa Le bekommt nach Löschung seiner Kanäle inzwischen Hilfe von Reporter ohne Grenzen. Er hatte sich in der Vergangenheit bereits an den Bundestag und an das EU-Parlament gewendet. Die taz und andere Medien haben seinen Fall öffentlich gemacht. Seitdem hat er als einziger Betroffener eine Mailadresse von Facebook bekommen, wohin er seine Beschwerden schicken kann. Seine Probleme wurden daraufhin gelöst, oft aber erst nach Wochen oder Monaten. Die Mailadresse an andere Betroffene weiterzugeben, wurde ihm untersagt.
Facebook als Blackbox
Nguyen Van Dai, ein Oppositionspolitiker, der mittlerweile in Deutschland im Exil lebte, schaltete immer wieder die amerikanische Botschaft in Berlin ein. Doch für alle anderen Betroffenen ohne Kontakte in der Politik ist Facebook wie eine Blackbox. Sich gegen das Löschen der Accounts zu wehren, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.
Anne Renzenbrink von Reporter ohne Grenzen sagt, in dem aktuellen Fall sei ihre Organisation mit dem Meta-Konzern, zu dem Facebook gehört, im Gespräch. Sie fordert von Meta, diese Angriffe auf die Pressefreiheit „so schnell wie möglich rückgängig zu machen und Mechanismen zu schaffen, die solche Angriffe künftig verhindern“. Sie verurteilt scharf, dass Hanoi Journalist:innen bis ins Exil verfolgt, „ihnen durch die Löschung ihrer Accounts die finanzielle Existenzgrundlage und die Leserschaft“ entzieht und dass Meta das durch seine Passivität mitträgt. Soziale Medien wie Facebook spielten gerade in Ländern mit stark eingeschränkter Pressefreiheit eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Informationen, sagt Renzenbrink: „Meta muss sich dieser Verantwortung bewusst sein. Der Konzern muss mögliche Schlupflöcher und Sicherheitslücken schließen und einen politischen Hintergrund prüfen.“
Meta-Sprecherin Kirstin MacLeod sagt der taz, man werde sich den Fall ansehen, benötige allerdings noch Zeit.
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