Kritik von Daniel Günther an CDUlern: Schluss mit Altersdiskriminierung!
Der CDU-Politiker Daniel Günther, 46, mag recht haben mit seiner Kritik an Merz und Koch, 63 und 61. Nur: Warum spielt er auf ihr Alter an?
W ie lange will man leben? Manche möchten unbedingt Zeitzeugen der ersten menschlichen Kolonie auf dem Mars werden, andere – wie mein Vater, dem das leider nicht vergönnt war – die vollständige Freigabe der Akten des Mordes an John F. Kennedy erleben. Mal sehen, was länger dauert. Ich bin bescheidener.
Mir genügt es, wenn ich noch um den Weg bin, sobald Daniel Günther älter ist als 60 Jahre. Falls der heute 46-jährige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein sich treu bleibt, dann muss er von diesem Zeitpunkt an in der Öffentlichkeit die Klappe halten. Ein Grund zur Vorfreude.
Bisher wollte ich Günther gar nicht zum Schweigen bringen. Das hat sich erst nach seiner Kritik an dem ehemaligen CDU-Spitzenpolitiker Friedrich Merz, 63, geändert, der das Erscheinungsbild der Bundesregierung als „grottenschlecht“ bezeichnet hatte. Als der ehemalige hessische Ministerpräsident Roland Koch, 61, der Bundeskanzlerin „Argumentationsenthaltung“ vorwarf, gab es für Daniel Günther kein Halten mehr. Er lederte los.
Die CDU bräuchte nicht „irgendwelche Personalquerelen von älteren Herren“, sagte er im Interview. Und: „Das sind einige, die früher einmal Verantwortung getragen haben und jetzt glauben, dass sie sich noch einmal ein bisschen wichtig darstellen können.“ Fazit: „Jeder hat seine Zeit.“ Dieser Satz gefällt mir besonders gut.
Es geht um Kränkung
Jeder hat seine Zeit. Herr Günther entscheidet, wann die abgelaufen ist. Nein, tut er nicht.
Die Gesellschaft hat sich mehrheitlich darauf verständigt, Menschen nicht wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religionszugehörigkeit oder wegen ihres Geschlechts benachteiligen zu wollen. Lange genug hat es gedauert. Das klappt nicht immer, ist aber gewünscht. Siehe Grundgesetz.
Aber es geht nicht nur um rechtliche Regelungen. Es geht auch um Kränkung. Andernfalls wäre die jahrzehntelange Debatte um korrekte Formulierungen überflüssig – die manchmal, ja, nervtötend war und ist. Daniel Günther betreibt Altersdiskriminierung. Es wäre nett, wenn die Herabsetzung älterer Menschen ebenfalls irgendwann geächtet würde. Gesetzlich und gesellschaftlich. Nein, nicht nur nett. Überfällig.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Nicht alle politischen Konflikte verlaufen entlang der Parteilinien. Es gibt unendlich vieles, was mir an den Positionen von Friedrich Merz und Roland Koch missfällt. Eigentlich alles. Aber ihr Alter ist mir egal. Ich mag es einfach nicht, wenn Leute aufgrund von Merkmalen herabgewürdigt werden, an denen sie nichts ändern können.
Hach, aber es geht doch nur um „alte weiße Männer“, wird dann gerne gesagt. Die immer schon und noch immer die Macht in Händen halten. Und der demokratische US-Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders, Hoffnungsträger vieler Linker? Hach, es geht doch um die Geisteshaltung.
Alter ist kein Kriterium
Nein, tut es nicht. Gruppendiskriminierung hat eben gerade nichts mit dem „Wohlverhalten“ von Einzelnen zu tun. Übrigens ist Angela Merkel ein bisschen älter als Friedrich Merz und Roland Koch. Ist Daniel Günther nicht aufgefallen? Hach, es geht doch nur um Männer. Nicht um Frauen.
Schluss damit. Können wir uns darauf verständigen, dass Alter kein Kriterium in einer politischen Debatte ist? Und wenn wir gerade dabei sind: Auch gemeinsam gegen Altersbegrenzungen für öffentliche Ämter kämpfen? Die gibt es nämlich. BundeskanzlerIn kann man immer werden. OberbürgermeisterIn in erstaunlich vielen Bundesländern nur unterhalb eines Alters, in dem Vollzeitbeschäftigung von der Politik durchaus noch für zumutbar gehalten wird. Seltsam, dass sich niemand darüber aufregt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt