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Kritik an PflegereformJetzt schon zu wenig Personal

Am Freitag will der Bundestag die Pflegereform verabschieden. Fachleute von Berufs- und Sozialverbänden fordern Nachbesserungen.

Die Pflegereform sieht vor, dass Zuschläge für Pflegebedürftige ab dem nächsten Jahr erhöht werden Foto: Frank Molter/dpa

Berlin taz | Thomas Greiner, der Präsident des Arbeitgeberverbands Pflege (AGVP) fordert in der Rheinischen Post einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf einen Pflegeheimplatz: „Die Lage in der Altenpflege ist ernst“, sagte Greiner in der Montagsausgabe der Zeitung: „Zahlreiche Pflegeheime stehen vor der Insolvenz.“ Darüber hinaus blieben Betten leer, „weil sie wegen des Personalmangels bei gleichzeitig rigiden Personalvorgaben nicht belegt werden dürfen. Leidtragende sind Pflegebedürftige und ihre Angehörigen, die verzweifelt einen Heimplatz suchen“, so Greiner.

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) hingegen hält diese Forderung für falsch: „Ein Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz wird in der aktuellen Situation zwangsläufig zu noch gravierenderen Qualitätseinbußen führen“, so DBfK-Präsidentin Christel Bienstein zur taz. „Wir haben schon jetzt viel zu wenige qualifizierte Pflegefachpersonen in den Einrichtungen, die Personalschlüssel sind unterirdisch und das alles geht zulasten der Menschen, die auf eine gute Versorgung angewiesen sind.“

Auch der Rechtsanspruch in den Kitas habe keineswegs zu einer besseren Personalsituation geführt. Bien­stein fordert stattdessen eine „grundlegende Reform des Gesundheitswesens mit neuen Aufgabenverteilungen“. Dabei sollte der Fokus stärker auf der Gesundheitsförderung, Prävention und auf pflegerischen Strukturen in der Primärversorgung liegen.

Kathrin Sonnenholzner, Präsidentin der Arbeiterwohlfahrt (AWO), schätzt dies ähnlich ein: „Die Pflege steht mit dem Rücken zur Wand und die Regierung verharrt im Klein-Klein, statt an echten Lösungen zu arbeiten“, so Sonnenholzner zur taz. „Für eine wirksame Entlastung braucht es eine nachhaltige Finanzreform der Pflegeversicherung, wirksame Strategien gegen den Fachkräftemangel, und den Ausbau neuer, quartiersbezogener Versorgungskonzepte.“

Verdi befürwortet „Solidarische Pflegegarantie“

Ein Sprecher von Verdi befürwortet unterdessen die „Solidarische Pflegegarantie, bei der alle Einkommensarten in die Finanzierung einbezogen werden und sämtliche pflegebedingten Kosten abgedeckt sind“. Das Konzept von Verdi sieht vor, dass die Pflegeversicherung reformiert wird. Darin werden alle pflegebedingten Kosten durch eine Vollversicherung getragen – eine Art Bürgerversicherung, in der alle Bürger_innen je nach Einkommen einzahlen.

Momentan steht eine Verabschiedung der Pflegereform für Freitag auf der Tagesordnung des Bundestages. Darin vorgesehen ist unter anderem, dass Kinderlose ab Juli einen um 0,35 Prozentpunkte höheren Pflegebeitrag als bisher leisten. Das Pflegegeld für Pflegebedürftige soll ab 2024 um 5 Prozent steigen. Zuletzt wurde es 2017 erhöht. Die Pflegereform sieht außerdem vor, dass Zuschläge für Pflegebedürftige im Heim ab dem nächsten Jahr erhöht werden.

Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, beanstandete die Reformpläne gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die Pflegereform ist halbgar“, sagte er dem RND. „Für die stationäre Pflege werden Zuzahlungen von im Durchschnitt über 2.000 Euro im Monat fällig. Das durchschnittliche Einkommen alter Menschen liegt aber nur bei 1.700 Euro“, kritisierte er.

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8 Kommentare

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  • Wertgeschätzte Berufe wie Dachdecker, Ingenieur oder Lkw-Fahrer verdienen wesentlich mehr als menschengeschätzte Berufe wie Pfleger oder Lehrer. Sicher ein politisches Problem.

  • Dass die Regierung die Arbeitsbedingungen nicht verbessern WILL sieht man daran, dass seit Jahren ausser Gelaber nichts in diese Richtung passiert - gleichzeitig versucht man im Ausland Pflegekräfte zu rekrutieren die dann hier ein paar Jahre unter den schlechten Arbeitsbedingungen schuften sollen. Die machen das dann halt ein paar Jährchen und wenn der Rücken kaputt ist geht es ab in die Heimat, nicht wahr ?

  • "Meine Hoffnung? Ich hoffe, dass sich Widerstand regt, es gibt genug denkende Leute. Bei den Jungen ist das Problem, dass sie es nicht leicht haben und sich von den ganzen Negativszenarien lieber erst mal abwenden und nicht sehen wollen, dass sie wie das Schlachtvieh zur Schlachtbank geführt werden. Vielleicht können ja die Alten eine kritische Masse bilden? Das Potenzial ist eigentlich vorhanden, da die Generation der 68er Bewegung gerade ins Rentenalter kommt."



    Zitat: Prof. Gerd Bosbach, Statistiker



    //



    Quelle: taz vor 9 Jahren



    //



    taz.de/Demografie-...stmacher/!5049986/

  • "solidarische Pflegegarantie" das ich nicht lache. Ich soll also dafür bezahlen (ich finde ich bezahle schon genug), dass Leute in Pflegeheimen, in denen man sich schlecht um sie kümmert, vor sich hin verrotten?

  • Es ist doch so:, Schlaue Eltern kriegen von ihrem Steuerberater gesagt, dass sie ihr Erpartes rechtzeitig an ihre Kinder steuerfrei verschenken sollten, um dann als Pflegefall Sozialhilfe beantragen zu können. Doofe Eltern machen das nicht (haben nämlich keinen Steuerberater!) und wir Kinder sehen zu wie 4200 €/Person (~8000/Monat!) für die Pflege drauf gehen (davon 8oo€/Elter für "Investitionskosten"!) plus 500€/Nase für Physio etc. WER KANN DAS BEZAHLEN??



    Das ist wie eine Erbschaftssteuer an die Pflegeheimbetreiber.



    Und bei Schlaureichen zahlt aber dann das Sozialamt!



    Wir haben jetzt die Notbremse gezogen und versuchen eine 24/6 Pflegekraft aus Polen. Sozialversichert (~3000€/Monat für 2 Pflegefälle) und hoffen, dass die wenigstens etwas mehr Zeit für echte Pflege haben. Der deutsche "Sozialstaat" ist komplett an die Wand gefahren.

    • @So,so:

      Was meinen sie warum Menschen > 65 J keinen Kredit mehr bekommen ?

      Geld verjuxen, Erben schlagen Erbe aus.



      Banken stehen dumm da.

  • Ich wundere mich seid einiger Zeit, das niemand offen darauf hinweist, dass der praktisch flächendeckende "Fachkräftmangel" im Kern bereits eine Auswirkung des demografischen Wandels ist.

    Wenn es nur am wenigen Geld oder an den zugegebenermaßen miserablen Arbeitsbedingungen läge: In welchem Bereich ist denn dann die Schwemme?



    Aus welchen anderen Berufen könnten denn die Pflegekräfte rüberwandern?

    Seltsamerweise gibt es keine Schwemme nirgendwo. Die Jugendlichen und damit die portentiellen neuen Fachkräfte (und übrigens auch Lokführer) werden einfach überall weniger.

    • @Sonntagssegler:

      Die Schwemme findet sich in Berufen, in denen Auszubildende günstige Arbeitskräfte sind und danach entweder zu wenig verdienen oder umgekehrt zu teuer wären.



      Das findet sich in Handwerk und Dienstleistung, denken sie an Bäcker, medizinisches Personal in Praxen.