Kritik an Luca-App in Berlin: Luca soll in Quarantäne
Linke, Grüne und Datenschützer drängen darauf, den Vertrag mit der Nachverfolgungs-App zu kündigen. Diese habe nur die negativen Erwartungen erfüllt.
„Endlich auch“ war gewaltig übertrieben. Zwar liefen auf Bundesebene Verhandlungen, das von einem Berliner Start-Up mit medienwirksamer Unterstützung der Altrapper Die fantastischen Vier entwickelte System zu nutzen. Damit, so die Hoffnung, sollte die Nachverfolgung von Kontakten von Infizierten durch die Gesundheitsämter deutlich erleichtert werden. Doch die Gespräche kamen nicht voran, wie Müller kritisierte; nur das dünn besiedelte Mecklenburg-Vorpommern hatte Luca bereits gekauft. Deshalb, so der SPD-Politiker weiter, werde er „in eigener Verantwortung“ eine App-Lizenz für Berlin „organisieren“.
An diesem Donnerstag soll das Luca-Kapitel geschlossen werden, zumindest in Berlin. „Die App bringt uns nichts“, sagt der Abgeordnete Sebastian Schlüsselburg, Linksfraktions-Sprecher für Digitalisierung. Zudem seien viele datenschutzrechtliche Probleme weiter ungelöst, und es gebe mit der Corona-Warn-App des Bundes eine bessere und billigere Lösung.
Schlüsselburg spricht sich dafür aus, den Vertrag mit den Betreibern der App – der culture4life GmbH – rasch zu kündigen. Am Rande der Plenarsitzung am Donnerstag will er mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne über einen entsprechenden Beschluss reden. Denn die Zeit für eine Entscheidung drängt: Der Vertrag endet zwar erst im März, hat nach taz-Informationen aber eine kurze Kündigungsfrist im Februar. Verstreicht diese, verlängert sich der Vertrag automatisch.
Cordelia Koch, Stadträtin
1,2 Millionen Euro hat das Land für das erste Jahr mit Luca gezahlt; ob die Summe wie einst angekündigt vom Bund übernommen wird, ist unklar. Sicher gab in der Pandemie größere Fehlinvestitionen oder noch erfolgreicheres Glücksrittertum, etwa unter Schnelltester*innen und Maskenbeschaffer*innen. Doch die längst bundesweit verbreitete Luca-App ist auch eine Geschichte von überholten technischen Fortschrittsglauben neoliberaler Färbung. Und ein Beleg dafür, dass der Staat durchaus der privaten Konkurrenz überlegene Produkte entwickeln kann – wenn die Politiker*innen darauf vertrauen.
Die Luca-App soll via Smartphone die digitale Nachverfolgung von Kontaktpersonen bestätigter Coronafälle ermöglichen – im direkten Austausch mit dem zuständigen Gesundheitsamt. Ziel ist es, Kontakte lückenlos zu dokumentieren und dabei fehleranfällige Papier-Kontaktlisten zu ersetzen. Über einen QR-Code kann man sich beim Besuch von Geschäften, Restaurants, Museen, Kinos oder Konzerten registrieren.
Zur Zeit der Einführung der Luca-App im März fehlte der vom Bund finanzierten Corona-Warn-App diese Registriermöglichkeit. Das und die umfassende Werbung vor allem durch „Fanta-4“-Mitglied Smudo dürften den Erfolg von Luca ausgemacht haben; die zahlreichen anderen Anbieter ähnlicher Lösungen kamen jedenfalls nicht zum Zug, nicht in Berlin, nicht in anderen Bundesländern.
Mit dem Ergebnis, dass Luca nach Unternehmensangaben im November 2021 bundesweit von rund 38 Millionen registrierten User*innen und rund 420.000 Betrieben wie Restaurants, Clubs und Bars genutzt wurde. 323 von 375 Gesundheitsämtern seien deutschlandweit an das Luca-System angeschlossen, jubeln die Betreiber. Doch die Arbeit der Ämter wurde durch die App nicht wie erhofft effektiver, sagt Schlüsselburg: „Berlins Gesundheitsämter sagen mir: Das Produkt hat uns nie geholfen.“
Nachfragen bestätigen dies. „Die Luca-App lieferte lediglich in Einzelfällen hilfreiche Hinweise“, teilt etwa Pankows Gesundheitsstadträtin Cordelia Koch (Grüne) am Dienstag mit. „Von daher sieht die Bilanz des Gesundheitsamtes verhalten aus.“
Sara Lühmann, Bezirkssprecherin
Obwohl viele Gäste von Restaurants, Bars und anderen Freizeitlokalitäten Luca nutzen würden, müsse das Amt vielfach nachermitteln, berichtet Koch. „Wir können oftmals nicht erkennen, ob es tatsächlich Kontakte gegeben hat.“ Ein Grund dafür: Die Gäste würden der App nicht angeben, wenn sie einen Ort wieder verlassen.
Verhalten fällt auch die Reaktion aus dem Gesundheitsamt des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg aus. „Eine Verlängerung des Vertrags sollte nur in Erwägung gezogen werden, wenn sie in eine Gesamtstrategie eingebettet ist, im Rahmen derer eine Kontaktnachverfolgung sinnvoll ist“, erklärt Bezirkssprecherin Sara Lühmann der taz. Allerdings habe man generell „keine besonderen Erwartungen an die App“ gehabt.
Dazu kommt viel Kritik von anderer Seite. Denn genauso lang wie die Nutzung von Luca läuft auch die Auseinandersetzung der Datenschützer*innen mit der der culture4life GmbH. Anders als die Corona-Warn-App des Bundes, bei deren Entwicklung datenschutzrechtliche Fragen eine wichtige Rolle spielten, werden die Daten bei Luca zentral verwaltet. Ein grundsätzliches Problem, wie Berlins damalige Datenschutzbeauftragte Maya Smoltczyk im April vor dem Datenschutzausschuss des Abgeordnetenhauses betonte: „Wo eine Vielzahl personenbezogener Daten zentral gespeichert werden, kann auch eine Vielzahl dieser Daten entwendet werden.“ Dazu kämen zahlreiche weitere Schwierigkeiten. „Ein bunter Strauß an Problemen, die zum großen Teil lösbar sind“, wie Smoltczyk bilanzierte, nicht ohne hinzuzufügen: „Aber eben auch gelöst werden müssen.“
Und das ist auch nach fast einem Jahr immer noch nicht abschließend passiert, sagte Simon Rebiger, Sprecher der Datenschutzbeauftragen, der taz am Mittwoch. „Einige der festgestellten Mängel wurden mittlerweile adressiert. Bei anderen Mängeln steht die Behebung durch das Unternehmen noch aus.“
Der Linke Schlüsselburg formuliert es schärfer. Er attestiert der culture4life GmbH „viel Rhethorik und wenig konkretes Handeln“. Das Fass zum Überlaufen brachte vielen Kritiker*innen ein vor wenigen Tagen bekannt gewordener Vorfall aus Mainz: Polizisten griffen bei Ermittlungen zu einem Sturz mit Todesfolge auf Daten der Luca-App zu – dafür gibt es jedoch keine rechtliche Grundlage. Die culture4life GmbH verurteilte „diesen Missbrauch der für den Infektionsschutz erhobenen Daten“. Dennoch wurde in den Sozialen Medien daraufhin unter dem Hashtag #LucaFail zum sofortigen Löschen der App vom Handy aufgerufen und appelliert, fortan die Corona-Warn-App für Registrierungen zu nutzen.
Empfohlener externer Inhalt
Von Berlins Abgeordneten unterstützt nicht nur Schlüsselburg diesen Aufruf, sondern auch der Grüne Stefan Ziller. Er folgert daraus: „Berlin muss den Vertrag für #LucaApp zum frühestmöglichen Zeitpunkt kündigen“, wie er bei Twitter schrieb. Auch Ziller sieht viele Versprechungen der Entwickler*innen nicht erfüllt: „Die App hilft den Gesundheitsämtern nicht wie erhofft“, sagte er der taz.
Für eine Kündigung des Luca-Vertrags muss der grüne Abgeordnete aber noch seine Parteifreundin Ulrike Gote überzeugen: Die neue Gesundheitssenatorin entscheidet letztlich darüber. Und nach Auskunft einer Sprecherin sieht sie den Luca-Einsatz durchaus positiv: „Grundsätzlich kann von einem Mehrwert für die Gesundheitsämter ausgegangen werden“, teilte sie auf taz-Anfrage mit. Zudem sei die Corona-Warn-App kein vollwertiger Ersatz: Sie könne aufgrund ihrer „ausnahmslos anonymen Datenhaltung“ die Erfassung und Übermittlung an die Gesundheitsämter nicht leisten.
Dennoch könnte auch Senatorin Gote in Kürze eine Kündigung des Vertrags unterstützen. Nach taz-Informationen deutet sich in dieser Hinsicht ein gemeinsames Vorgehen der Gesundheitsminister der Länder an – letztlich mit dem Ziel, die Corona-Warn-App des Bundes weiterzuentwickeln.
Das wäre ganz im Sinne des Datenschutzes. „Mit der Corona-Warn-App steht ein datenschutzkonformes und effektives Mittel zur Unterbrechung von Infektionsketten zur Verfügung“, teilt Simon Rebiger, Sprecher der Datenschutzbeauftragten, weiter mit. Die App sei datensparsam und entlaste die Gesundheitsämter. „Im Gegensatz dazu bietet die Luca-App kaum einen Mehrwert bei gleichzeitig deutlich größeren Risiken, während sie Datenhalden produziert, die von den Gesundheitsämtern kaum genutzt werden.“
Diese Erkenntnis ist nicht neu; allerdings verhallte sie bisher weitgehend. Hätten Politiker*innen wie Michael Müller vor einem Jahr mehr auf Datenschützer*innen und weniger den medienwirksamen Versprechungen privater Unternehmen zugehört, man hätte viel Geld sinnvoller verwenden können. Bundesweit dürften die Luca-Betreiber bisher mehr als 20 Millionen Euro von den Ländern erhalten haben; allein Bayern zahlte 5,5 Millionen Euro für eine Jahreslizenz.
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