Kritik am westlichen Lebensstandard: Hauptdarsteller*in im Ego-Film
Wir wollen immer nur mehr. Doch ein Wandel kann nur beginnen, wenn wir verstehen, dass unser Mehr jemand anderes Weniger ist.
D ie meisten Menschen verstehen sich als Protagonist*innen ihres Lebens. Das ist sicher nicht nur in wohlhabenden, individualisierten Gesellschaften so, aber vermutlich mehr, sobald ein Lebensstandard erreicht ist, der keinen ständigen Kampf um das Grundlegendste bedeutet. Ich starte von mir in die Welt, du von dir, sie von sich. Wir sind also Protagonist*innen, und als solche hoffen wir, alles haben zu können.
Das ist ein Versprechen des Hauptdarstellertums: Ich lebe, leide, mein Herz bricht, mein Konto auch, alles geht kaputt, ich werde zum Arschloch, lerne eine Lektion, bessere mich, nebenbei verbessere ich noch die Welt, dann belohnt mich das Universum, in dessen Zentrum ich stehe – weil ich das eben verdient habe. Dabei sehe ich sehr gut aus. Dazu Filmmusik.
Wir guten Menschen, denen Gutes widerfährt, natürlich ist das eine Erzählung. Eine sehr mächtige, profitable. Und eine absurde, wo wir doch wissen und ganz real spüren könnten, dass wir längst zu viel haben, dass wir auf Pump leben, dass unser Mehr jemand anderes Weniger ist.
Es ist kaum noch etwas übrig von dem seichten Vorabendfilm, in dem es doch um uns gehen sollte, mit Happy End unter Geranien. Trotzdem können ich, du, sie nicht loslassen von der Idee, dass es im Kern zuerst um uns geht und dann erst um irgendeine Sache. Das verkaufen wir uns selbst und wir kaufen es anderen ab. Und das gilt nicht nur für populistische Ministerpräsidenten, die strategisch Phrasen wie „Umerziehung“ bemühen, um Stimmung gegen Wandel zu machen.
Kapitalismus gewinnt immer
Politische Kämpfe brauchen Aufmerksamkeit. Also machen sie Deals, und wer Deals macht, macht oft Werbung. Haltung als Selling Point, gute Produkte, guter Lifestyle, gute Message. Gut. Hier sind 15 Prozent Rabatt mit dem Code „wearefuckedbutyoucanstillhaveitall“.
Das Problem dabei ist gar nicht so sehr, dass wir schöne Dinge kaufen und manche ihren Lebensunterhalt mit Werbung bestreiten. Das Problem ist eher, dass wir glauben, in der Zweckbeziehung von politischem Inhalt und Werbung könnte der Wandel gewinnen. Dabei gewinnt der Kapitalismus. Immer. Weil es nicht seine Spielregeln sind, die sich verändern, weil nicht er sich anpassen muss.
Er kann sich alles einverleiben, selbst die radikalsten Anliegen, er kaut sie durch und spuckt sie als Ware wieder aus. Wir haben die nächste Illusion erschaffen, in der fast alles bleibt, wie es ist, und wir uns dabei trotzdem als gute, informierte, politisch wirksame Menschen inszenieren. Das ist das neue Alles, was es zu haben gilt.
Manche Dinge vertragen sich nicht, revolutionäre Anliegen und systemerhaltende Spielregeln zum Beispiel. Also sind wir enttäuscht, wenn wir schöne Dinge von klugen Leuten kaufen, aber trotzdem nicht alles kriegen – die bessere Welt, das glitzernde Leben, und das bessere Gewissen. Also warten wir auf das Universum. Dabei sind wir doch die Protagonist*innen.
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