piwik no script img

Krise in der StahlindustrieThyssenkrupp will Tausende Stellen streichen

In der Stahlsparte von Thyssenkrupp sollen 11.000 Jobs wegfallen. Die IG Metall kündigt gegen die Kürzungspläne erbitterten Widerstand an.

Die IG Metall kündigt Widerstand gegen die Kürzungspläne von Thyssenkrupp an Foto: Christoph Reichwein/dpa

Berlin taz | Deutschlands größter Stahlproduzent will Tausende Stellen abbauen. Bis 2030 sollen bei Thyssenkrupp Steel von aktuell rund 27.000 Arbeitsplätzen 11.000 wegfallen, teilte das Unternehmen am Montag in Duisburg mit. Gleichzeitig will es die Produktionskapazitäten von 11,5 Millionen Tonnen pro Jahr auf ein Niveau von 8,7 bis 9 Millionen Tonnen jährlich senken, um sie „an die zukünftigen Markterwartungen anzupassen“.

Der Mutterkonzern Thyssenkrupp hat erst vergangene Wochen seine Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023/24 vorgestellt. Demnach brachen Umsatz und Gewinn insgesamt zwar ein, dennoch ist Thyssenkrupp weiterhin profitabel. Der Vorstand ist sogar dafür, an die Anteilseigner eine Dividende von 15 Cent je Aktie auszuschütten. Doch bei der Stahlsparte von Thyssenkrupp kriselt es wegen eines Überangebots auf dem Stahlmarkt schon länger. In den letzten Monaten kamen hohe Energiepreise hinzu.

Seit diesem Sommer ist der tschechische Milliardär Daniel Křetínský über seine EPCG-Holding zu 20 Prozent beteiligt, der Rest ist noch im Besitz des Mutterkonzerns. Künftig soll Křetínský 50 Prozent an Thyssenkrupp Steel halten. Über die Zukunft des Unternehmens war im Sommer unter den Führungskräften ein Streit entbrannt. Der ehemalige SPD-Politiker Sigmar Gabriel als Aufsichtsratschef von Thyssenkrupp trat Ende August aus Protest gegen die Pläne des Mutterkonzerns zurück.

Laut den nun mitgeteilten Plänen will die Konzernführung bis 2030 in Produktion und Verwaltung 5.000 Stellen streichen, zudem sollen weitere 6.000 Arbeitsplätze durch Ausgliederung an externe Dienstleister oder den Verkauf von Geschäftstätigkeiten wegfallen. Darüber hinaus will das Management die Personalkosten in den kommenden Jahren im Durchschnitt um 10 Prozent reduzieren.

IG Metall kritisiert Abbaupläne

„Schon vor Monaten haben wir davor gewarnt, dass bei Thyssenkrupp Steel zehntausend Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, sollte sich das Konzernmanagement mit seinen Vorstellungen durchsetzen“, kommentierte der stellvertretende Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, die Kürzungspläne. Nun sei klar: „Die gleichen Leute, die uns deshalb noch vor Kurzem Panikmache vorgeworfen haben, wollen nun genau dies umsetzen – und Schlimmeres.“ Was es jetzt brauche, sei „ein mutiger Plan nach vorn, keinen fantasielosen Kahlschlag“.

Dabei erhält der Konzern für den Umbau seiner Stahlproduktion auch viel Geld vom Staat. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen haben dem Unternehmen 2 Milliarden Euro für den Bau einer Direktreduktions-Anlage versprochen, in der künftig Stahl mithilfe von klimaneutralem Wasserstoff produziert werden soll. Ein Teil davon ist bereits geflossen. Der Konzern bekräftigte nun erneut, am Bau der neuen Anlage festzuhalten. Diese und zwei geplante innovative Einschmelzer sollen demnach die beiden Hochöfen 8 und 9 in Duisburg ersetzen.

Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen nimmt dieses Bekenntnis zur grünen Transformation angesichts des geplanten Stellenabbaus mit gemischten Gefühlen auf. Das Festhalten an der Direktreduktions-Anlage bezeichnete der Bezirksleiter der Gewerkschaft in NRW, Knut Giesler, als „das richtige Signal“. Gleichzeitig warnte der Gewerkschafter: „Wer über 11.000 Beschäftigte abbauen und einen Standort schließen will, muss mit dem erbitterten Widerstand der IG Metall rechnen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Das Elend mit der so geliebten Marktwirtschaft und Globalisierung ist nicht neu.

    In einem Offenen Brief an die 2. Kammer des Preußischen Landtags beklagen westfälischer Bauern sich am 20.11.1849 über die hohe Abgabenlast und über die Konkurrenz durch billige Baumwollprodukte- und Zuckerimporte:



    'Die Baumwoll-Sündflut ist durch einheimischen Hanf und Flachs gut zu ersetzen. Dessen Westfalen und Schlesien mehr liefern können, als sämtliche Zollvereins-Staaten bedürfen.



    Das Süße-Bedürfniß der letztern dagegen können Westfalen und Sachsen durch Runkelrüben-Zucker befriedigen.



    Bleiben jene Baumwollen- und Zucker-Millionen im Lande, so wird die einheimische Landwirthschaft und Industrie neu belebt und insbesondere unseren Leinenwebern und Garnspinnern geholfen.'

    Den preußischen Staat hat der Protest nicht interessiert. Die Mechanisierung des Rübenanbaus brachte dann in den Zollvereins-Staaten zumindest eine 'Zuckerwende’. Die Baumwolle klebt uns heute noch am Gesäß und belastet das ökologische und postkoloniale Gewissen.

  • Ich sehe verschiedene Aspekte des Problems, zum einen sehe ich einen enormen Strukturwandel ähnlich den Zechenschließungen in den 1980er Jahren, der gerade erst beginnt und mit der Weiterentwicklung von KI eine noch wesentlich dramatischere Dynamik entwickeln wird, dem gegenüber steht eine Industrie, die unbeweglich und veränderungsunwillig ist, aber auch Mitarbeiter, denen die Flexibilität fehlt, sich auf Neues einzulassen.

    Derzeit fehlen in Deutschland (Stand 24) über 500000 Facharbeiter:innen, so kann eigentlich relativ problemlos jeder „abgebaute“ Mitarbeiter:in irgendwo anders sehr schnell eine neue Stelle bekommen.

    Eines der größten Probleme sehe ich allerdings in der Angst der Parteien vor den Wähler:innen, die dazu führt, dass überhaupt keine politischen (wirtschaftlichen, gesellschaftlichen etc.) Utopien entwickelt werden, weil jede der Parteien (außer vielleicht den Grünen- die genau deswegen so abgestraft werden!) immer nur in einer Legislaturperiode dent und handelt. Leider werden wir damit keine der großen Fragen (Transformation, Klimawandel etc.), die in den nächsten Jahren Antworten verlangen gerecht werden können.

    • @Nathaniel:

      Wir haben 3 Milionen Arbeitslose, davon die Hälfte Fachkräfte. Und wo sollen ausgebildete Stahlarbeiter im Ruhrgebiet arbeiten. Bei Hoesch in Dortmund. Das gibt es schon seit längeren nicht mehr. In anderen Berufen kann man sie ja nicht einsetzen.. Es fehlen keine Stahlarbeiter, sondern Pflegekräfte, Erzieher, Köche, Ärzte, Lehrer und, und...

  • "Die wichtigste ökonomische Frage des 21. Jahrhunderts dürfte sein, was wir mit all den überflüssigen Menschen anfangen."



    Aus HOMO DEUS von Yuval Noah Harari.

  • Wir ernten gerade die Früchte einer zu späten Transformation auf allen Ebenen und bei allen Beteiligten. Statt jetzt wieder die Forderungen von früher aus der Schublade zu holen, wäre es besser zukunftsweisend zu handeln.

  • "Dabei erhält der Konzern für den Umbau seiner Stahlproduktion auch viel Geld vom Staat."



    Nach dem Umbau für zwei Milliarden kommt die Produktion. Die braucht dann Wasserstoff, und der braucht weitere Milliarden für laufende Subventionen.



    Ein Fass ohne Boden.

  • Für diese Entwicklung kann sich die Belegschaft bei der Regierung und der Gewerkschaft bedanken.



    Die Regierung ist verantwortlich für die Entwicklung der Energiekosten. Stahlproduktion ist nunmal ein energieintensives Geschäft.



    Der zweite große Kostenblock sind die Lohn- und Gehaltskosten inklusive allen Sozialkosten. Hierfür ist die Gewerkschaft verantwortlich.



    Mit beidem zusammen ist das Geschft nunmal nicht mehr wettbewerbsfähig hier.

    • @Andere Meinung:

      Das Geschäft mit deutschem Massenstahl ist schon seit fast 50 Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig. Ab den 1980ern war Massenstahl aus Deutschland international nicht mehr marktfähig, weshalb wachsende Teile der deutschen Stahlproduktion in den folgenden Jahrzehnten stillgelegt und ins Ausland verlagert wurden, meistens in Niedriglohnländer wie BRA, IND und CHN. Die derzeitige Bundesregierung ist weder für die konkurrenzlos niedrigen Löhne in diesen Ländern noch für das Missmanagement von TK verantwortlich, das u. a. dazu führte, dass man Milliardenbeträge in Brasilien fehlinvestierte und viel zu lange an überkommenen Konzernstrukturen und Produkten festhielt - auch hier übrigens eine Parallele zu VW: "Nieten in Nadelstreifen."



      Selbst die deutschen Spezialstähle werden nicht in den Mengen benötigt, in denen TK sie produzieren müsste, um ohne Werksschließungen und Stellenabbau über die Runden zu kommen.



      Ihre Aussage, dass die derzeitige Regierung und die Gewerkschaften für diese schon lange vorhandene Situation verantwortlich seien, ist schlichtweg falsch.

    • @Andere Meinung:

      Sehen sie ihren Lohn auch als Wirtschaftsschädigend?

      • @Andreas J:

        Die Löhne und insbesondere die hohen Lohnzusatzkosten machen diese Unternehmen nicht mehr wettbewerbsfähig.



        Das ist einfach ein Fakt den man auch mal akzeptieren muss.

  • Grüner Stahl. Oder vielleicht doch gar kein Stahl mehr?

    • @EIN MANN:

      Es gibt eine Studie, nach der sich der Plastikmüll bis 2050 verdoppeln soll - und die halt ich für realistisch.



      Sollte das so kommen, spielt Stahl kaum noch eine Rolle.

  • Ein "mutiger Plan" ändert die Lage auf dem Weltmarkt für Stahl kein bisschen, und die Gewerkschaften können keine höhere Nachfrage und damit Produktionsauslastung herbeistreiken. Von daher wird es wohl wie auch bei den Autobauern, deren Zulieferern und der Chemie darauf hinauslaufen, dass viele gut bezahlte Arbeitsplätze wegfallen. Da können die Gewerkschaften jammern, drohen und streiken, wie sie wollen, an dem Umstand, dass viele deutsche Industrieunternehmen nicht mehr marktfähig sind, ändert das nichts.

  • Angesichts der ganzen angekündigten Stellenstreichungen ist offensichtlich erkenntlich was die Ampel falsch gemacht hat und insbesondere Habecks Wirtschaftsministerium.

    Sie haben die Arbeitende Gesellschaft und einen ganzen Industriezweig komplett vernachlässigt und mit der Brechstange versucht deren Produktion umzustellen.

    Es ist wahr unter der Union ist wenig passiert, aber die Ampel hätte wissen müssen, dass sie das nicht im Speedrun aufholen kann. Im aktuellen Wahlkampf wird das die Stimmung immer weiter zur CDU oder AFD treiben.

    Und Rot-Grün werden sich absehbar damit auseinandersetzen müssen, welche Sozialleistungen sie kürzen werden. Denn mit sinkenden Steuereinnahmen müssen auch die Sozialleistungen sinken.



    Und dabei können nicht nur Subventionen für die Arbeitende Bevölkerung stehen, die gekürzt werden.

    Absehbar wird das Bürgergeld wegfallen, denn nicht arbeiten wird absehbar keine Option mehr sein, wo der Staat unterstützen kann.

    Sozialleistungen ist am Ende halt doch immer auch Wirtschaftspolitik, denn ohne starke Wirtschaft gibt es nichts zum Umverteilen an Sozialleistungen.

    • @Walterismus:

      Jetzt wieder alles der Ampel in die Schuhe zu schieben ist genauso falsch wie billig

    • @Walterismus:

      Wenn alle Leistungen für Arbeitslose wegfallen , müsssen alle Kinder von Menschen die keine Sozialleistungen mehr erhalten in Kinderheime damit sie nicht obdachlos werden. Das ist gesetzlich Pflicht und kostet pro Kind ungefähr monatlich 3000 € pro Kind. Dann wenn die Eltern obdachlos werden und keine Leistungen erhalten werden sie kriminell. Wenn sie in den Knast gehen kostet da 3000 pro Monat pro Person.Bei Brotr und Waser würde man 120 € im Monat sparen. Bei Kriminalität, Zb. Wohnungseinbrüche, Raubüberfälle hätten wir einen hohen Volkswirtschaftlichen Schaden

      • @Petra Kirstein:

        Das stimmt so ja nun nicht. Kaum ein Land hat so starkes Sozialsystem wie Deutschland. Wie bekommen die das hin?

        Zum anderen, wie gesagt, es kann halt nichts verteilt werden, was nicht da ist. Und wenn die Wirtschaftskraft sinkt, dann können die Sozialleistungen eben nicht mehr geleistet werden. Dafür fehlt dann schlicht das Geld. Unser komplettes Sozialsystem basiert auf einer starken Wirtschaft die genug Gelder generiert, welche man umverteilen kann.



        Eine Vermögensabgabe und stärkere Besteuerung von Reichen kann das zwar evtl. für ein paar Jahre verzögern, aber nicht verhindern können.

        Selbst der Sozialismus der DDR hat die Problematik erkannt und den Menschen Arbeit zugeteilt. Die Wirtschaftskraft hat allerdings nicht gereicht und die DDR ist zusammengebrochen.

        Und um den Sozialen Frieden wahren zu können wird man knappe vorhandene Sozialleistungen an untere arbeitende Einkommensschichten, Kinder und Rentner wo die Rente nicht reicht ausschütten.

        Arbeitslos sein wird aufgrund der Wirtschaftslage absehbar keine Option mehr sein. Außer die Wirtschaft verbessert sich rapide.