Krise des britischen Premierministers: Boris Johnson angezählt
Großbritanniens Regierungschef droht ein ähnliches Schicksal wie seiner Vorgängerin. Theresa May stolperte über den Brexit – Johnson über Corona.
E rst zwei Jahre ist es her, da schien Boris Johnson unschlagbar. Die britischen Parlamentswahlen vom 12. Dezember 2019 gewann der konservative Premierminister mit dem besten Tory-Wahlergebnis seit Margaret Thatcher und setzte damit einer mehrjährigen politischen Instabilität unter seiner glücklosen Vorgängerin Theresa May ein Ende. Der Weg schien frei für mindestens zehn Jahre Johnson-Dominanz, mit einer fundamentalen Neuordnung der britischen Politik.
Dann kam Corona, und alle politischen Strategien lösten sich in Luft auf. Und jetzt hat Boris Johnson innerhalb weniger Tage erst die größte parteiinterne Revolte seiner Amtszeit erlitten und dann eine der größten Niederlagen bei einer parlamentarischen Nachwahl in der Geschichte. Nun steht Boris Johnson ähnlich angeschlagen da wie vor ihm Theresa May. Die blieb in ihren drei Jahren im Amt heillos im Gestrüpp des Brexit hängen.
Sie vermochte es nicht, ein Austrittsabkommen mit der EU auszuhandeln, das im eigenen Land mehrheitsfähig war. Ein ums andere Mal einigte die Premierministerin sich mit Brüssel, nur um in London im Parlament zu scheitern. Nach dem dritten Mal stürmte Boris Johnson an die Macht und bewies dann mit seinem fulminanten Wahlsieg unter der Parole „Get Brexit Done“, was er drauf hatte. Der Brexit ist nun vollzogen.
Aber an seine Stelle ist die Coronapandemie gerückt – als Dauerkrise, die in immer neuen Varianten die britische Politik überschatttet und in der sich dieser Premierminister heillos verheddert. Corona offenbart Boris Johnsons politische Schwachstellen ähnlich gnadenlos wie der Brexit die von Theresa May.
So wie May ein ums andere Mal mit einer neuen Brexit-Idee ankam und sich eine blutige Nase holte, präsentiert Boris Johnson jetzt ein ums andere Mal neue Coronastrategien und erleidet damit Schiffbruch. Beide erleben in langen quälenden Monaten, wie ihre Autorität in aller Öffentlichkeit dahinschwindet, und sind dagegen machtlos, weil sie das Problem – damals Brexit, heute Corona – nicht im Griff haben.
In beiden Fällen liegt das weniger am Inhalt als an der Person. May konnte nie den Eindruck zerstreuen, sie sei eigentlich gar nicht vom EU-Austritt überzeugt. Johnson erzeugt seit Beginn der Pandemie immer wieder den Eindruck, Seuchenbekämpfung nicht wirklich ernst zu nehmen. Die Skandale um Weihnachtspartys in Downing Street vor einem Jahr, die jetzt die Konservativen insgesamt Wählersympathien kosten, sind da nur die öffentliche Bestätigung eines begründeten Vorurteils.
Großbritanniens Tories gehen traditionell mit den eigenen Chefs unbarmherzig um. Wer nicht liefert, fliegt. Wie das mit Theresa May endete, ist bekannt. 2022 wird spannend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Krieg in Gaza
Kein einziger Tropfen sauberes Wasser
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus