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Krise der DemokratieVerlust an Tiefenschärfe

Kommentar von Katharina Körting

Beim Ruf gegen rechts findet man sich selbst meist ziemlich gut. Nur: Was soll „Haltung zeigen“ für die Demokratie eigentlich heißen?

Gesehen auf dem Eröffnungsabend der Berlinale: „Farbe bekennen“ ist die neue Mode Foto: Jens Kalaene/dpa

A lle wollen jetzt glänzen für die Demokratie, „zusammenstehen“, „ein klares Zeichen setzen“. In Zeitungen werben Anzeigen für „Zusammenland“, gesprenkelt mit Logos von stramm undemokratisch organisierten Firmen von Siemens über Telekom bis Microsoft, Sandoz und Weleda. Auch der autobiografisch angebräunte Freie Wähler Hubert Aiwanger sieht in seiner Partei „das starke Bollwerk der Demokratie“.

Und die SPD hat mit Demokratieretten endlich wieder ein Thema, während Generalsekretär Kevin Kühnert bei Maybrit Illner erfolgreich vermeidet, auch nur einen Fitzel Verantwortung für die umfragig aufgeblähte AfD beim Regierungshandeln der Ampel zu orten. „Farbe bekennen“ ist die neue Mode, von Kameras umwirbelt.

Die Schönen und Berühmten auf der Berlinale machen eine – ehrlich gesagt: eher peinliche – Telefontaschenlampen-Menschenkette um sich selbst und skandieren „Es lebe die Demokratie!“ Filmschaffende stammeln politisch Korrektes in öffentlich-rechtliche Mikrofone und es gibt – Merchandising ist schneller als jeder Gedanke – die passenden Buttons „Berlinale gegen Rechtsextremismus“ (rotlila).

Aber zu wem reden all die tapfer Zusammenstehenden? Wen wollen sie überzeugen? Politiker, die sich als Belehrer missverstehen, loben den „Aufstand der Anständigen“ fürs „mutige Engagement“. Das Wohlige daran wirkt wie Kurzurlaub von den Ambivalenzen und Dilemmata im Umgang mit der AfD. Der Preis ist ein schmerzlicher Verlust von Tiefenschärfe. Wie bei „Gemeinsam gegen Corona“ oder „Stand with Ukraine“ wirkt das demonstrative Unterhaken zuerst rührend, dann befremdlich, und bald ziemlich nervig, weil wohlfeil, unterkomplex und einfallslos.

Der Verdacht drängt sich auf, dass es darum geht, der eigenen Standfestigkeit zu applaudieren, sich an der eigenen Besorgtheit zu beschwipsen, während man beständig wiederholt, wie wichtig „Haltung zeigen“, ist, „gegen rechts“. Und keiner sagt dazu, was genau damit gemeint sein könnte. Oder was man womöglich übersieht im Kampf für die Demokratie.

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15 Kommentare

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  • Ich stimme zwar nicht jedem Detail des Artikels zu. Aber er ist wirklich sehr geistreich und pointiert geschrieben.

  • DANKE, Frau Körting!



    Sie konnten das in Worte fassen, was auch ich denke.

    Alle beklatschen sich selbst, werden von Politikern gelobt und an erfahrbaren Verbesserumgen an dem Zustand der Demokratie ändert sich nichts.

    Ein Höcke wird Ministerpräsident, wie es ausschaut.



    Da hilft kein tausendfaches "auf die Straße " gehen.



    Es hilft nur und ausschließlich eine andere Politik.

  • "zuerst rührend, dann befremdlich, und bald ziemlich nervig, weil wohlfeil, unterkomplex und einfallslos."

    Das empfinde ich auch so. Man tut so, als sei die Sache ganz einfach: anständige, demokratische Menschen sind alle zusammen die große Mehrheit und gegen Rechts. Punkt. Aber damit ist wenig gesagt: gerade weil man die ganz große Mehrheit ist, ist zu den Problemen der Gesellschaft eigentlich nichts ausgesagt. Wir sind alle gegen vollkommen Irre, die Gaskammern für 6-Millionen bauen oder "Glatzköpfe", die mit Baseballschlägern und Pistolen alles, was ihnen nicht passt, kurz und klein hauen oder schießen. Das ist sehr gut, nur eben so selbstverständlich, dass man sich ohnehin einig ist.

    Über die Probleme der Gesellschaft und deren Wertefindung, mit all ihren tiefen Erschütterungen, die Menschen auch nicht aushalten, ist dazu aus meiner Sicht Null gesagt. Die Probleme sind nicht erfasst und realistische Antworten gibt es schon gar nicht. Es gibt eben keine einfachen Antworten (und das ist nicht nur das Problem der AfD), es ist noch nicht mal einfach zu sagen, was genau das Problem ist, ohne, dass die Gesellschaft schon in viele Gruppen zerfällt, die das sehr verschieden sehen - die Welt noch viel mehr. Manchmal sind sich auch Mehrheiten einig, aber es ist recht offensichtlich, dass es so nicht funktionieren wird.

    In diesem Sinne glaube ich, dass die Demos die Gesellschaft nicht weiterbringen. Wir stehen nicht vor "einfachen Fragen", die nur etwas Mut brauchen, dass Offensichtliche zu vertreten. Wir stehen vor Dingen, die so komplex, widersprüchlich und unverstanden sind, dass noch nichtmal die Fragen in größeren Mehrheiten formulierbar sind.

    Denke ich.

  • Es ist so deutsch wie die Gemütlichkeit und das Schunkeln: Dieser wohlige Schauer, wenn man auf der Seite der Mehreren und Gerechten steht.

  • Dieser Kommentar hat mir aus der Seele gesprochen. Bei all diesen Demonstrationen gegen rechts hatte ich immer ein schlechtes Gefühl: Es ist relativ leicht eine Position gegen rechts oder gar Rechtsradikale zu haben, denn man muß nicht all zu tief bohren um auf den inhumanen Kern zu stoßen. Zudem ist es außerordentlich leicht den Gebrauch bestimmter Redewendungen nationalsozialistischer Ideologie zuzuordnen. Das prominenteste Beispiel dazu ist wohl "Arbeit macht frei!". Ich habe dazu mal eine Reportage über eine Studie gelesen aus der hervorgeht dass die meisten Menschen ihre glücklichsten Stunden währen ihrer Arbeit haben. D.h. dieses Zitat über Arbeit, was von den Nazis seinerzeit übelst missbraucht wurde, ist für den normalen Sprachgebrauch verbrannt.



    Im Grunde ordnen wir uns damit indirekt einer absolut zynischen Geisteshaltung unter. Was aber viel schlimmer ist, auf diese Weise wird gesellschaftliche Energie zur politischen Gestaltung zum verpuffen gebracht. Einige Stichworte dazu die Diskussion über Frauenrechte bei gleichzeitiger schlechterer Entlohnung von Frauen, der Mord an Nawalny und der Mord an Jamal Kashoggi, Tierwohldiskussionen und das wieder erstarken der Fleischwirtschaft.



    Abschließend ein Zitat aus meinem Lieblingsmärchen: Die haben ja gar nichts an!

  • In dieser sehenswerten Doku von Spiegel TV werden mutige Menschen vorgestellt, die sich in den Hochburgen der Rechtsradikalen gegen Nazis positionieren.

    Haltung zeigen:

    www.youtube.com/wa...=bFP9H0U1814&t=18s

  • Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Wenn man jetzt sieht, wie die AfD ins Rudern und in Erklärungsnot kommt, sobald sie auf das menschenverachtende Treffen in Potsdam angesprochen wird, ist jede Demonstration richtig und wichtig. Denn eins mögen die blau angestrichenen Nazis nicht: Gegenwind, und dass man sich über sie lustig macht. So können sie schon mal nicht behaupten dass sie „die Mehrheit sind“. Weitermachen ist daher unbedingt notwendig.

    • @HamburgAltona:

      @Altona Ja, das stimmt - in Bezug auf die AfD. Ich glaube aber nicht, dass Probleme der Gesellschaft (die eine Mehrheit auch empfindet, die sind nicht von einigen eingebildet) wesentlich anders wären, auch wenn die AfD nicht nur weg wäre, sondern beim Verschwinden auch "entlarvt" worden wäre. Hätte das wirklich etwas mit all den Problemen in der Gesellschaft zu tun? Soweit es Probleme der Weltoffenheit angeht (ein Hauptpunkt, um den es oft geht): gerade wieder mit Lula auf dem G20, aber auch Indonesien kurz davor, in der Mehrheit die Afghanen, Mali, Niger etc. vor kurzem, Süd-Afrika mit seinem Genozidvorwurf usw usf: die meinen damit "uns", also auch eine Rot-Grüne Bundesregierung, zum Teil gerade diese. Wie ist das einzusortieren? Wie stellt sich eine Weltoffen Einstellung dazu? All das hat auch Bezüge in unsere Gesellschaft hinein und all das sind kleine Blitzlichter aus großen, schwierigen, unverstandenen Landschaften, an denen sich glaube ich erstmal wenig ändert, wenn die AfD entlarvt wäre. Aus meiner Sicht sollten wir uns mehr darauf konzentrieren, diese Dinge besser zu verstehen und eine Haltung zu gewinnen, als sich endlos und alle Kräfte absorbierend an der AfD abzuarbeiten.

  • Also lieber zuhause bleiben und tief reflektierende Gespräche über Demokratie führen ? Ehrlich gesagt finde ich die vielen, die momentan auf Demos gehen sehr erfreulich. Und nicht zuletzt deshalb, weil Alice W. dann im Bundestag in Schnappatmung verfällt und das finde ich richtig gut.

  • Im Westen unseres Landes hat es schon so etwas wie "sich-selbst-applaudieren", was man nur zu gut von öffentlichen Veranstaltungen, Theater, Musik etc. kennt. Es wird gerne mächtig applaudiert und manchmal fragt man sich: wieso so heftig. Das Applaudieren als Mitmacheffekt. Und - jetzt hat man seinen Standpunkt gezeigt oder sein Kunstverständnis oder oder. Lina E hat das mit ihren Leuten anders gemacht und sitzt dafür ein, aber auch das war deutlich "Haltung-zeigen" gegenüber Rechten. Und natürlich ist das für alle die im Osten Haltung zeigen eine echte Mutprobe. Danke dafür. Aber man könnte auch der Politik deutlich auf die Pelle rücken und fordern: AFD-Verbot jetzt.

  • Haltung zeigen kostet nichts bei den großen Demos, die wie eine massenhafte Selbstvergötzung wirken können. Wir, die Guten gegen die Bösen. Unterstützt von vielen Medien, allen voran den ÖR, begleitet vom Wohlwollen der Parteien, die sich gerne der Mitte zuordnen.



    Wenn sich Regierungsvertreter gerne an die Spitze solcher Bewegungen setzen, kommen Zweifel auf, wenn auch noch solche Demos als "Aufstand der Anständigen" bezeichnet werden. Wäre es nicht (ebenso) anständig, gegen Alters- und Kinderarmut, Kriegsbeteiligung oder Militarisierung zu protestieren? Also gegen eine politische Orientierung Richtung Konservativ und Reaktionär? Mir scheint, dass die vermeintliche Mitte schon viele Zugeständnisse an den rechten Rand gemacht hat. Zu viele!

  • 4G
    48798 (Profil gelöscht)

    Haltung zeigen würde auch bedeuten, das jeder bedrohte BürgermeisterIn in GANZ Deutschland Hilfe bekommt, wenn er aus der Gemeinde oder sonst woher bedroht und angegriffen wird.



    Dafür braucht es zentrale Anlaufstellen, Personal und Ressourcen bei der Hilfe vor Ort (zB bei der Ermittlung von AngreiferInnen).

    Unlängst mussten 2 LehrerInnen eine Schule verlassen, weil sie dort innerschulische rechte Strukturen offengelegt hatten.



    Sie haben mW viel mediale Aufmerksamkeit, aber keinerlei Hilfe vor Ort erhalten, zB gegenüber der Schulleitung.



    All dies sind Dinge, die privat nur sehr eingeschränkt leistbar sind.



    Hier sollten die öffentlichkeitswirksam demokratiebewussten PolikerInnen und Beamtinnen schleunigst für Abhilfe sorgen. Auch wenn das viel Geld kostet.



    Alles andere sind nur folgenlose Lippenbekenntnisse.

  • Haltung und echtes Engagement ist z.B., wenn man auch die Gefahr hin von autoritären Egoisten verprügelt, bzw. von (nicht nur) der rechten Presse im Einklang mit überwiegend rechten Politikern und Forenhengsten zum ‚Abschuss‘ freigegeben zu werden, auf die Straßen geht und blockiert was zu blockieren ist.

  • Haltung zeigen etwa die Menschen, die in kleinen Städten in Brandenburg oder Sachsen gegen rechts auf die Straße gehen. Das kann richtig gefährlich sein, deswegen wird dort angeraten, nicht alleine zur Demo und vor allem nicht alleine von der Demo wegzugehen, Transparente oder Schilder erst am Startpunkt zu zeigen und überhaupt vorsichtig zu sein.

    In den Großstädten oder erst recht bei der Berlinale zeigt man eher Gratismut.

    Haltung zeigen kann auch bedeuten, am Arbeitsplatz oder im Seminar oder in der Kneipe nicht die Klappe zu halten, wenn sich jemand rassistisch oder antisemitisch äußert.

    Das erfordert Mut und man muss abwägen und genau überlegen, was man sich zutraut.



    Und es dann tun.

  • Das könnte der Rekord sein, wie schnell so etwas zu schlichtem Merchandising verkommen kann.