piwik no script img

Krise bei WindindustrieRückbau mit Sprengstoff

Die deutsche Windindustrie baut zunehmend Stellen ab. Ein Grund dafür ist die maue Nachfrage hierzulande.

Über das Rotorblattwerk des Windkraftanlagen-Herstellers Nordex ziehen dunkle Wolken Foto: Bernd Wüstneck/dpa

Berlin taz | Dieses Windrad hat noch keine einzige Kilowattstunde Strom ins Netz eingespeist: Vor fast einem Jahr war im Windpark Görzig Ost, Ostbrandenburg, die über 200 Meter hohe Anlage fertiggestellt worden, jetzt wird der Turm gesprengt. „Der Rückbau ist erforderlich, da der Betonturm Mängel aufweist“, teilte die Betreiberfirma Trianel mit.

Die Sprengung ist kein Einzelfall: Aktuell 22 baugleiche Windräder sollen auf diese Weise „zurückgebaut“ werden. In Haltern, Nordrhein-Westfalen, war im September vergangenen Jahres eine Windkraftanlage vom Typ N149 in sich zusammengebrochen. Hersteller Nordex nahm daraufhin sämtliche baugleichen Anlagen in Deutschland außer Betrieb, mit überschlägig 100 Megawatt Leistung. Die Unfallursache ist noch nicht geklärt, der Untersuchungsbericht steht aus.

Das ist nicht das einzige Problem, mit der der Rostocker Windbauer Nordex kämpft: Ein Hackerangriff legte im Mai die Systeme lahm, Nordex konnte seinen Quartalsbericht nicht fristgerecht veröffentlichen und flog aus SDAX und TecDAX. Zudem fiel der Bericht dann verheerend aus, rund 90 Millionen Euro Minus vermeldete das Unternehmen im ersten Quartal, geringere Installationen, Lieferengpässe sowie weiter steigende Logistik- und Rohstoffkosten nannte Nordex als Grund. Um die Kosten in den Griff zu bekommen, schloss Nordex Ende Juni sein Werk für Rotorblätter am Standort Rostock, 600 Menschen verloren ihren Job.

Auch andere Windradhersteller kämpfen mit Problemen. Vestas hat Ende Juni sein Rotorblattwerk in Lauchhammer geschlossen, dort gingen 460 Arbeitsplätze verloren. Im ersten Vierteljahr wies der dänische Konzern einen Betriebsverlust von 329 Millionen Euro aus. Konkurrent Enercon, einer der größten deutschen Windradbauer, muss mit 500 Millionen Euro Staatshilfe gestützt werden, das Geld kommt aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung.

Enercon hatte seine Produktionsanlagen in Aurich und Magdeburg schon in den vergangenen Jahren geschlossen, 3.000 Stellen gingen verloren. Produziert wird jetzt in Portugal, der Türkei und Asien. In den vergangenen zehn Jahren wurden laut Schätzungen 60.000 Stellen in der deutschen Windindustrie ins Ausland verlagert.

Ausbauzahlen so niedrig wie noch nie

Die aktuellen Ausbauzahlen in Deutschland sind so niedrig wie nie zuvor seit Einführung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Im ersten Halbjahr gingen 230 neue Anlagen ans Netz, im Vorjahreszeitraum waren es noch 247. Zum Vergleich: Im Jahr 2017, dem Jahr, als der Windenergie-Ausbau auf die Ausschreibungspraxis umgestellt wurde, waren es 1.847 Windräder. Wer seitdem ein Windrad aufstellen möchte, muss sich zuerst an einer Auktion beteiligen, zuerst also das Projekt planen, bevor er ein Angebot für die von der Bundesnetz-Agentur ausgeschriebenen Mengen abgeben kann. Ein Vorgang, der Projektierer oft einen sechsstelligen Betrag kostet. Die Folge: Es werden immer weniger Anlagen bestellt.

„Drei Monate rote Zahlen, das kann ein Unternehmen mal verkraften. Drei Jahre rote Zahlen aber nicht“, sagt Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme. Selbst wenn die Politik jetzt die Rahmenbedingungen für die Erneuerbaren wieder verbessert, „bis daraus resultierende Aufträge bei den Windradherstellern ankommen, vergehen Jahre“. Denn anders als bei der Photovoltaik benötigen Windparks langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren. „Zwei Jahre sind schnell, manchmal sind vier Jahre nötig, um dann tatsächlich bei einem Windradbauer neue Anlagen in Auftrag zu geben.“

Immerhin gibt es auch Lichtblicke: Nordex vermeldete gerade den Auftrag für den Bau von 80 Windturbinen. Der Auftrag stammt aus Brasilien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Zum Stellenabbau:



    "LINKE.BAG_Klimagerechtigkeit



    @LINKE_Klima



    "100.000 Arbeitsplätze gingen in der #Solarindustrie, zehntausende in der Produktion von Windkraftanlagen verloren durch die verfehlte Politik von Union und unionsgeführten Regierungen. Wir fordern regionale Produktion und Akzeptanz durch die Schaffung tariflicher Arbeitsplätze!"

    @phoenix_de

    #Berlin | Ralph @RLenkert & die @Linksfraktion fordern einheitliche #Netzentgelte für alle, damit könnte die Akzeptanz für #ErneuerbareEnergie erhöht werden. Außerdem soll die #Bundeswehr & die alliierten Truppen ihre Truppenübungsplätze für #Windkraftanlagen öffnen"



    twitter.com/LINKE_...wWhsC-6aLw2fIqAAAA

  • Vieles in dem Artikel ist richtig und wichtig zu wissen.

    Der unschöne Serienfehler beim Turm bestimmter Nordex-Modelle hat aber nichts mit Politik zu tun: Nordex (bzw. ein Zulieferer) hat mal eine neue Bauform (achteckig statt rund) probiert, hat nicht funktioniert, Pech. Das sollte nicht in einen Topf mit den politischen und gesellschaftlichen Aspekten geworfen werden.

  • Der Unterschied zwischen Tatsachenbericht und Meinungsäußerung:

    Ein reiner Tatsachenbericht würde lauten: "Konkurrent Enercon, einer der größten deutschen Windradbauer, wird mit 500 Millionen Euro Staatshilfe gestützt, das Geld kommt aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung."

    Im Artikel wird in den Tatsachenangaben eine Meinung verpackt:



    "Konkurrent Enercon, einer der größten deutschen Windradbauer, muss mit 500 Millionen Euro Staatshilfe gestützt werden, das Geld kommt aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung."

    Muss? Wieso? Ist die halbe Milliarde Stützung "alternativlos"? Oder handelt es sich nicht vielmehr um eine politische Entscheidung?

  • Tja , das Erbe von Hrn. Altmaier CDU wirkt immer noch nach und zerstört wissentlich unsere Wirtschaftskraft im regenerativen Energiebereich. Bis die Änderungen von Habeck greifen werden wohl noch einige Arbeitsplätze geendet werden. Das war und ist Wirtschaftspolitik der CDU/CSU!

    Für die 100 MW Ausfall verlängern wir einfach die Laufzeit der letzten drei Kernkraftwerke und bauen ganz einfach noch ein paar dazu. Dann schaffen wir auch mit der ersten Inbetriebnahme 2035 das Ziel nur noch mit regenerativen Energien unseren Strom zu erzeugen.

    Beim nächsten Gau will wieder keiner die Schuld übernehmen, von den Verantwortungslosen in unserem Land. Lieber auf Sylt mit der Spassgesellschaft einen heben.

    • @Sonnenhaus:

      nicht alles der armen CDU in die Schuhe schieben, die SPD hat fleißig mitgemacht. nachdem die Solarindustrie abgewickelt wurde, wickeln wir jetzt halt noch die Windindustrie ab, wen juckts? ach ja, aber bitte die armen 20.000 Kohlekumpel im Braunkohletagebau nicht vergessen, die müssen wir mitnehmen und die Scheichs in den Emiraten auch ..... bitte, bitte weitermachen, bis zum bitteren Ende und ist das Ende nicht bitter, ist es kein gutes Ende.

    • @Sonnenhaus:

      Unser Fokus sollte aktuell auf einer Energiegewinnung liegen, dessen Wirkung möglichst zeitnah spürbar ist. Sprich Kernkraft / Kohle. Gerne auch mit Neubauten.



      So verhagelt es mir vor lauter Windrädern nicht noch mehr die Sicht Richtung Deich, wenn ich morgens aus dem Küchenfenster schaue.

      • @SeppW:

        Sie wollen lieber auf ein AKW schauen?

        • @Leichtmatrose:

          Ja. Das liegt im Hinterland und trübt nicht meinen Blick Richtung Küste. Grüße aus der Ecke Brokdorf.

      • @SeppW:

        Was meinen Sie mit zeitnah? Eine neues AKW braucht gut und gerne 15 Jahre bis es steht. Wenn es Ihnen nur um den nächsten Winter geht, da können wegen mir die drei AKWs weiterlaufen.

        • @Strolch:

          Wegen der z.T. wg. Hitze stillligenden französischen AKWs bezieht frankreich Strom aus Deutschland.



          Auch bei uns werden die Sommer immer wärmer.



          Fische sterben nicht nur in der zu warmen Elbe.