Kriminologe Feest über Ermittlungspraxis: „Die Polizei hat Definitionsmacht“
Der Bremer Strafrechtsprofessor Johannes Feest hat untersucht, wie Stereotype die Ermittlungsarbeit der Polizei beeinflussen.
taz: Herr Feest, was halten Sie davon, dass nach den Silvester-Vorfällen in Köln und Hamburg wieder mehr über die Herkunft und die Nationalität von Verdächtigen gesprochen wird?
Johannes Feest: Ich denke seit Langem, dass es nicht in Ordnung ist, wenn die Presse aufgrund von Polizeiberichten schreibt, dass jemand von einem z.B. „Türken“ bestohlen oder niedergeschlagen worden sei. Es ist eine unvollständige Information. Wenn man es schon so genau nimmt, will man doch auch wissen, ob der andere Mensch auch ein Türke ist, wenn es denn überhaupt zur Sache tut.
Nährt es nicht den Vorwurf, die „Lügenpresse“ verschweige wichtige Fakten, wenn über die Herkunft eines Verdächtigen nicht berichtet wird?
Ich bin nicht dafür, das zu verschweigen, aber man sollte nicht pauschalisieren. Der Vorwurf, dass die Presse etwas falsch macht, kann aus verschiedenen Richtungen kommen: Im Falle von Pegida kommt er von rechts, aber auch von links können die Leute meinen, dass Ausländerfeindlichkeit medial verstärkt wird. Im Grunde bin ich ganz zufrieden damit, wenn sich die Tagespresse an den Pressekodex hält.
Sie meinen, dass in der Berichterstattung die Zugehörigkeit eines Verdächtigen zu einer Minderheit nur erwähnt werden sollte, wenn es einen „begründbaren Sachbezug“ gibt?
Das Problem ist eine fast gedankenlose Weitergabe von Polizeiberichten, die Einzelfälle betreffen und in den Köpfen der Leser eine unhinterfragte Statistik bilden. Etwas anderes ist es, wenn die Wochen- oder Monatspresse zusammenfassende Analysen macht und einer Frage systematisch nachgeht, mit offenem Ende und Abwägungen.
Bei den Silvester-Übergriffen könnten womöglich die kulturellen Hintergründe der Täter relevant sein. Sollte darüber dann nicht gesellschaftlich diskutiert werden? Ist es nicht ähnlich wie etwa beim Ehrenmord?
Gerade beim Ehrenmord ist das ja geschehen. Und in Bremen wird seit über einem Jahr über die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge diskutiert. Da wurde hin und her überlegt, ob man sie etwa ins geschlossene Heim steckt. An irgendeinem Punkt ist die Diskussion dann auch ausführlich und vernünftig geführt worden. Und nur so wird dann ein Schuh draus. Ich hatte durchaus mit Vergnügen festgestellt, dass die Tagespresse immer weniger darüber geschrieben hat, welcher Nationalität der Täter gewesen ist.
76, war von 1974 bis 2005 Professor für Strafverfolgung, Strafvollzug und Strafrecht an der Universität Bremen.
Was nun wieder zunimmt ...
Das führt zu generalisierenden Zuschreibungen. Mein Hamburger Kollege Sebastian Scheerer hat es den „politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf“ genannt: Unter Umständen steht die Polizei damit am Anfang, indem sie behauptet, man habe es verstärkt mit Tätern aus bestimmten Länder zu tun. Das kann aber auch aus der Politik kommen. Die Medien nehmen es auf und verstärken es. Scheerers Begriff kannte ich noch nicht, als ich vor Jahrzehnten eine Studie über die polizeiliche Wahrnehmung von Kriminalität gemacht habe, ansonsten hätte ich ihn dabei verwendet.
In Ihrer Studie ging es um die „Definitionsmacht der Polizei“. Was kam dabei heraus?
Zunächst, dass die Polizei de facto eine große Macht hat, Situationen als verdächtig oder gefährlich zu definieren. Das meint nicht unbedingt das Gleiche, was die Juristen Ermessen nennen, sondern etwas viel Fundamentaleres.
Wie ist das zu verstehen?
Es kommt darauf an, was die jeweiligen Stereotypen sind, an die sich die Polizei hält und die sie zum Teil mitproduziert, indem sie bestimmte Leute nach ganz äußerlichen Merkmalen für besonders verdächtig oder für besonders gefährlich hält. Im Moment, nach den Silvester-Ereignissen, schauen die Nordafrikaner so aus.
Wie auch immer ein „Nordafrikaner“ genau aussieht.
Zumindest werden Leute, die man dem Aussehen nach dafür hält, genauer kontrolliert und härter angefasst. Und da kommt dann im Zweifel eigentlich immer irgendetwas dabei heraus: Wenn die Polizei nun wie in Duisburg eine Razzia macht und ein Asylantenheim anschaut, sind es eben Verstöße gegen das Ausländergesetz oder kleine Delikte.
In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird seit Jahren nach Straftaten von Inländern und von Ausländern unterschieden.
Da finde ich es völlig in Ordnung.
Warum?
Weil es einen statistischen Wert wiedergibt, der sich im Laufe eines bestimmten Jahres herausstellt. Daraus können Schlüsse gezogen werden, angefangen von der Polizei bis hin zur Wissenschaft.
Wird, etwa bei der Zahl der Straftaten, nicht zu wenig darüber aufgeklärt, dass es Taten gibt, die nur Ausländer begehen können, dass also viele Aufenthaltsdelikte darunter sind?
Das gehört zur Analyse dazu und hat sich im Laufe der Zeit bei den Polizei-Statistikern sehr verbessert: Wenn etwa das Bundeskriminalamt seine jährliche Kriminalstatistik herausgibt, werden die statistischen Daten vorsichtig interpretiert und der Hintergrund ihrer Entstehung erläutert. Es gibt Politiker, die sagen dann nur die halbe Wahrheit. Aber solcher Hintergrund gehört dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei