Kriegsverbrechen in Syrien: IS-Rückkehrerin doch festgenommen
Sibel H. soll Kriegsverbrechen verübt haben, indem sie Häuser von IS-Vertriebenen bewohnte. Auch anderen Rückkehrerinnen drohen Anklagen.
Denn bisher war die Bundesanwaltschaft daran gescheitert, obwohl der Fall Sibel H. zum Exempel werden sollte, wie IS-Rückkehrerinnen juristisch beizukommen ist.
Sibel H. war bereits 2013 mit ihrem Mann zum „Islamischen Staat“ ausgereist; nach dessen baldigem Tod kehrte sie nach Deutschland zurück. Im Frühjahr 2016 reiste H. erneut aus, erst nach Syrien, später in den Irak, nun mit ihrem neuen Partner, Deniz B., einem Frankfurter Salafisten. B. arbeitete als Pfleger in einem vom IS kontrollierten Krankenhaus, Sibel H. kümmerte sich um den Haushalt und den im Irak geborenen Sohn. Im August 2017 wurden beide von Peschmerga-KämpferInnen festgenommen. Ein halbes Jahr später wurde H. nach Frankfurt am Main ausgeflogen.
Die Bundesanwaltschaft wollte die Deutschtürkin, die in Bayern geboren wurde, sich früher in Frankfurter und Offenbacher Islamistenkreisen bewegte und den Sicherheitsbehörden als Fanatikerin galt, schon damals festnehmen. Mit ihrem Haftbefehl wegen Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung aber scheiterte sie vor dem Bundesgerichtshof: Nur die Ausreise ins IS-Gebiet und dortige Hausarbeiten reichten nicht aus, um zu der Terrortruppe zu gehören. Dafür brauche es mehr, etwa Propaganda- oder Verwaltungstätigkeiten. H. blieb in Freiheit.
Später Erfolg für Bundesanwaltschaft
Die Entscheidung war ein Rückschlag für die Bundesanwaltschaft. Am Beispiel von Sibel H. wollte sie einen neuen Kurs unterstreichen: Auch Frauen, die „nur“ zum IS reisten, hätten ab sofort mit Konsequenzen zu rechnen. Auch mit Haushaltsaufgaben übernähmen diese eine Logistikerinnenrolle für die Terrorgruppe, hielten den Kämpfern den Rücken frei. Sie seien für den IS „unentbehrlich“. 1.050 Deutsche sollen bisher zu der Gruppe ausgereist sein, davon ein Viertel Frauen. Etwa 50 Frauen sitzen in Syrien oder dem Irak in Haft. Ebenso viele kehrten bereits zurück – die meisten ohne in Haft zu landen.
Im Fall Sibel H. ermittelte die Bundesanwaltschaft auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland weiter und präsentierte dem Bundesgerichtshof neue Vorwürfe: H. soll auch „Kriegsverbrechen gegen das Eigentum“ sowie Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verübt haben. Denn der IS habe Sibel H. drei Wohnhäuser überlassen, deren Bewohner vor der Terrorgruppe geflohen seien. Zudem habe sie Zugriff auf drei Kalaschnikows und ein Gewehr gehabt.
Damit hatte der Antrag Erfolg: Der Bundesgerichtshof bewilligte den Haftbefehl gegen Sibel H., sitzt nun in U-Haft. Ihre Anwältin wollte sich vorerst nicht äußern.
Hat der Haftbefehl Bestand, könnten auch anderen IS-Anhängerinnen Anklagen drohen. Für die Mitgliedschaft in terroristischen Vereinigungen drohen bis zu zehn Jahre Haft. Schon im April hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen die IS-Rückkehrerin Sarah O. erhoben, auch hier unter anderem mit dem Vorwurf, Wohnungen von durch den IS Vertriebenen bezogen und so den „Gebietsanspruch“ der Terroristen „gefestigt“ zu haben.
Ehemann klagt auf Rückkehr nach Deutschland
Sibel H.s Mann Deniz B. sitzt weiter im Nordirak in Haft. Er klagt inzwischen vor dem Berliner Verwaltungsgericht auf Rückholung nach Deutschland – da er deutscher Staatsbürger sei, sei das Land dazu rechtlich verpflichtet. Bei Erfolg wäre dies eine Premiere. Eine Entscheidung steht noch aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Fall Mouhamed Dramé
Psychische Krisen lassen sich nicht mit der Waffe lösen