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Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine5.000 Euro für die Flucht

Für ukrainische Männer, die dem Kriegsdienst entfliehen wollen, gibt es illegale Wege aus dem Land. Doch die Regierung will die Lücken schließen.

Sind geblieben: Ukrainische Soldaten an der Front im Gebiet Donezk, September 2023 Foto: Mstyslav Chernov/ap

Luzk taz | Nachrichten wie diese häufen sich in den letzten Tagen in den ukrainischen Medien: „In Luzk wurden drei Bürger festgenommen, die Männer gegen Geld bei der Flucht aus der Ukraine geholfen haben.“ Für umgerechnet 5.200 Dollar konnten wehrpflichtige Männer als Fahrer in das sogenannte Shlyakh-System aufgenommen werden – ein Netzwerk, das humanitäre Hilfsgüter transportiert. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar 2022 dürfen ukrainische Männer das Land nicht verlassen, außer aus bestimmten beruflichen oder gesundheitlichen Gründen. Das Shlyakh-System erlaubt seit März 2022 männlichen Fahrern im wehrfähigen Alter den Grenzübertritt – wenn sie humanitäre Hilfe oder medizinische Güter transportieren.

Das öffnet den Markt für sogenannte „Schleichhändler“, wie sie in der Ukraine genannt werden: Nach Angaben der ukrainischen Behörden verdienten „Schleichhändler“ 500.000 Euro an 130 Männern, denen sie – nach geltender ukrainischer Gesetzeslage illegal – über die EU-Grenze verholfen. In Lwiw etwa soll ein ehemaliger Rechtsanwalt Wehrpflichtigen die Ausreise aus der Ukraine mit gefälschten Ausweisen ermöglicht haben, die sie als vermeintliche Mitglieder einer NGO auswiesen. Auch in Riwne im Nordwesten der Ukraine sollen zwei Männer Kriegsdienstverweigerer fiktiv als Fahrer für ein Unternehmen beschäftigt haben, das internationale Transporte in EU-Länder durchführt.

Nach Angaben einer jüngsten Recherche von Journalisten aus Lwiw haben mindestens 2.248 Männer im wehrpflichtigen Alter aus dieser westukrainischen Stadt das Land mit Genehmigung der regionalen Militärverwaltung über das Shlyakh-System verlassen und sind nicht zurückgekehrt. Die Journalisten der NGLmedia fanden heraus, dass 372 Organisationen Anträge auf Ausreise gestellt hatten. Die meisten sollen Organisationen sein, die alleine für diesen Zweck gegründet wurden – zwei davon hatten den Hauptsitz in dem Dorf Mykolajiw, in der Nähe von Lwiw, und sollen die Ausreise von 200 Männer organisiert haben. Ihre Erfolgsquote lag bei 90 Prozent. Für die wehrpflichtigen Männer kosteten diese Dienste zwischen 3.000 und 5.000 Euro pro Person.

Das Shlyakh-System erlaubt seit März 2022 männlichen Fahrern im wehrfähigen Alter den Grenzübertritt – wenn sie humanitäre Hilfe oder medizinische Güter transportieren

Als diese Recherche im September veröffentlicht wurde, war die Empörung im Land groß. Denn viele Stiftungen hatten patriotisch klingende Namen – und viele Menschen in der Ukraine sehen die Deserteure und Kriegsdienstverweigerer sehr kritisch. Das Shlyakh-System taucht am häufigsten in Zusammenhang mit den Schleichhändlern auf. Bei der Recherche für diesen Text wurde der Autor in den sozialen Netzwerken kontaktiert: Eine Anzeige über Facebook lautete beispielsweise: „Das Shlyakh-System erlaubt jedem Bürger der Ukraine, das Land für 30 Tage zu verlassen. Wir werden Ihnen helfen, die Grenze innerhalb von 48 Stunden offiziell zu verlassen. Sie werden sich erholen und Ihre Familie sehen können.“

Ukrainische Behörden gehen gegen Werbung vor

Diese Werbung ist nach ukrainischen Gesetzen illegal, die Behörden gehen dagegen vor. Wohl auch, weil die Korruptionsbekämpfung eine der Hauptvoraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine ist – und Präsident Selenski sich zuletzt auch bemühte, Anstrengungsbereitschaft zu demonstrieren, indem er etwa die Spitze des Verteidigungsministeriums und sämtliche Chefs der Rekrutierungszentren im Land austauschte.

Shlyakh, ukrainisch für Straße oder Weg, wurde noch vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine gegründet, um die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und den Transportunternehmen zu erleichtern – somit konnten Lizenzen und Genehmigungen für Reisen ins Ausland leichter erlangt werden. Das System wurde dann im Jahr 2022 erweitert: Seitdem umfasst das System auch Freiwillige, die ins Ausland fahren, um humanitäre Hilfe für die ukrainische Armee zu liefern.

Die Abrams sind da

In seiner Abwehrschlacht gegen die russische Armee kann das ukrainische Militär ab sofort auch US-Kampfpanzer einsetzen. Das erste Kriegsgerät vom Typ Abrams sei in der Ukraine angekommen, teilte Präsident Wolodimir Selenski am Montag in Kiew mit. „Die Abrams sind schon in der Ukraine und bereiten sich darauf vor, unsere Brigaden zu verstärken“, schrieb Selenski auf Telegram. Das ukrainische Militär teilte außerdem mit, dass bei einem Angriff auf das Hauptquartier der russischen Schwarzmeerflotte am Freitag der Kommandeur Viktor Sokolow getötet wurde. Dafür gab es von russischer Seite zunächst keine Bestätigung. (dpa)

Beim Shlyakh-System dürfen sich Freiwillige nicht länger als 30 Tage im Ausland aufhalten. Diese Regelung führte relativ schnell zu Missbrauch, um 30 Tage im Ausland Verwandte und Freunde besuchen zu können. Darüber hinaus ist das Shylakh-System ein Weg, um die Einziehung von Männern im wehrpflichtigen Alter zu umgehen. Das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, zählte bis zu 19.000 Männer, die bis Ende Juni das Shylakh-System benutzt hatten – das entspricht etwa vier Brigaden der ukrainischen Streitkräfte.

Nun hat die Regierung in Kyjiw beschlossen, die Gesetzgebung zu ändern. Der stellvertretende Minister für kommunale Entwicklung, Regionen und Infrastruktur, Serhiy Derkach, erklärte, dass die Behörden nun von den Freiwilligen eine spezifische Begründung für ihre Ausreise verlangen und beim Zoll prüfen werden, ob sie tatsächlich in der Vergangenheit bei ihrem Rückweg humanitäre Güter in die Ukraine eingeführt haben. Darüber hinaus sieht der neue Entwurf auch vor, dass nur Organisationen, die seit mindestens einigen Monaten als Wohltätigkeitsorganisationen registriert sind, ihre Fahrer ins Shlyakh-System aufnehmen können.

Aus dem Russischen Gemma Terés Arilla

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11 Kommentare

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  • Aus Sicht der Ukrainischen Regierung kann ich härteres Vorgehen nachvollziehen, da man bei der übernächsten Mobilisierungswelle Probleme bekommen wird noch geeignete Männer einziehen zu können (ausser man senkt die Standards bei gesundheitlicher Eignung).



    Trotzdem sollte es einen zum Nachdenken bringen, dass bereits mehrere hunderttausend Männer vor der Einberufung geflohen sind.

    www.fr.de/politik/...a-zr-92529589.html

    Etwas vergleichbare hohe Zahl hat es bisher in der neueren Geschichte weltweit noch nie gegeben.

  • Nicht jeder (Mann) in der Ukraine will für sein Land und uns, den Rest Europas, sterben. Wieviele von uns wären bereit zum Wehrdienst?

    • @Grauton:

      Ich nicht und ich möchte auch nicht militärisch verteidigt werden.

    • @Grauton:

      gretchenfrage. ich befürchte, die antwort würde erschreckend ausfallen. ein großteil der bürger hat eh keinen Bezug zur nation. wenn man sieht wie viel problem die bundeswehr hat, soldaten zu finden...

      • @Usch Bert:

        "... ein großteil der bürger hat eh keinen Bezug zur nation..."

        Gut so. Wir wissen ja, wie es war, als die Nation noch das Blut der Bürger in Wallung brachte...

    • @Grauton:

      Die Frage nach dem Wollen stellt man sich auf Grund des Verteidigungsfalles in der Ukraine nicht mehr.



      Und ein Wehrdienst in Friedenszeiten ist auch immer noch etwas Anderes als im Kriegsfall...was sich auch in der Gesetzgebung niederschlägt.

    • @Grauton:

      Mann? Es kämpfen auch Frauen. Und sicher wollen noch viel mehr Russen nicht sterben für einen sinnlosen und bösartigen Krieg.

    • @Grauton:

      Es gibt in der Ukraine wie bei uns auch die Möglichkeit eines Wehrersatzdienstes. Wer also auch im Verteidigungsfall nicht mitkämpfen will, kann im zivivlen Bereich Dienst tun. Wer auch das allerdings nicht möchte, ist dann eben kein Teil der Solidargemeinschaft mehr und sollte sinnbildlich schnellstens Land gewinnen.

      • @Šarru-kīnu:

        Es gibt in der Ukraine, aber viele Menschen (auch wenn wir uns das hier nicht vorstellen können), die sich in keinster Weise am Krieg beteiligen wollen (auch nicht als Sanitäter). Das mag für uns schwierig zu verstehen sein, aber Hintergrund dürften die engen familiären Kontakte zum Feind sein. Jeder dritte Ukrainer hat familiäre Verbindungen nach Russland.

      • @Šarru-kīnu:

        Den Wehrersatzdienst gibt es seit der Ausrufung des Kriegsrechts in der Ukraine nicht mehr bzw. wurde bis auf Weiteres ausgesetzt.

        • @SeppW:

          Danke für die Information.