Kriegsdienstverweigerer aus Russland: Ampel will Asyl für Deserteure
Nach Putins Teilmobilmachung soll die Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern vereinfacht werden. Noch-Botschafter Andrij Melnyk ist dagegen.
Noch gibt es kein Sonderaufnahmeprogramm oder sogenannte humanitäre Visa für Kriegsdienstverweigerer aus Russland. Bei Asylanträgen müsse aber jeder Einzelfall auf Beweggründe der Flucht überprüft werden, betonte Hebestreit. Niemand solle sich im Auftrag der russischen Regierung nach Europa bewegen können.
Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, wetterte derweil gegen das Vorhaben. Melnyk – noch bis Mitte Oktober im Amt – nannte es einen falschen Ansatz, wenn junge Russen „abhauen“ würden und „im Westen Dolce Vita“ genössen. Eher sollten sie „Putin und sein rassistisches Regime endlich stürzen“, schrieb er am Donnerstag auf Twitter.
Politiker:innen in Deutschland wollen jedoch russischen Deserteuren Asyl gewähren. Justizminister Marco Buschmann (FDP) erklärte auf Twitter, dass „wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt“ herzlich willkommen sei. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese betonte in der Rheinischen Post, dass er die verschärften Strafen, die Menschen bei Entzug der Einberufung drohten, „bereits nach jetziger Rechtslage für ausreichend als Asylgrund“ halte.
Auch die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, bekräftigte gegenüber der Zeitung, wer sich nicht als russischer Soldat im „völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine beteiligen wolle, dem müsse in Deutschland Asyl gewährt werden.
Auch die Union ist für humanitäre Visa
Zustimmung kommt aus der Opposition: Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadephul, forderte Medienberichten zufolge, humanitäre Visa müssten jetzt großzügig und umfassend ausgelegt werden.
Bereits Ende Mai hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bekannt gegeben, dass besonders gefährdeten Dissident:innen, Medienschaffenden und Wissenschaftler:innen in Deutschland Schutz geboten werden soll. Über dieses Sonderaufnahmeprogramm wurden nach Angaben des Bundesinnenministeriums 438 Menschen aus Russland aufgenommen.
Der Sprecher des Ministeriums, Maximilian Kall, sagte, die Entscheidungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für Asylbewerber aus Russland sei bereits im April so geändert worden, „dass im Regelfall die Kriegsdienstverweigerung ein Schutzgrund ist“.
Langwierige Begutachtung der Asylanträge
Jedoch werden auch Asylanträge russischer Oppositioneller langwierig als Einzelfälle begutachtet. Das hat zur Folge, dass vielen das politische Asyl in Deutschland verwehrt bleibt, insbesondere, wenn sie sich schon in Drittstaaten aufhalten, wie die taz berichtete.
Rudi Friedrich, Geschäftsführer des Vereins „Connection“, erklärt zur Teilmobilmachung in Russland: „Viele verunsichert die Nachricht stark. Es herrscht Unklarheit, wer nun eingezogen werden soll und wer nicht, oder noch nicht“. Die Organisation setzt sich international für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ein. Friedrich sagt: „Für uns ist klar: Niemand zwischen 18 und 60 Jahren kann sich mehr sicher sein in Russland, dass er nicht eingezogen wird.“
Gerüchte in Russland
In Russland kursieren Gerüchte darüber, dass nicht wie angekündigt 300.000 Reservisten eingezogen werden könnten, sondern eine Million. In dem sogenannten geheimen siebten Punkt des Dekrets sei das beschrieben, berichtet die oppositionelle Zeitung „Nowaja Gaseta“. Sie hat diese Information nach eigenen Angaben von einer Quelle der Präsidialverwaltung.
Der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow dementierte diesen Bericht umgehend in der staatlichen Agentur Ria Nowosti. Verteidigungsminister Sergei Schoigu habe von „bis zu 300.000 Menschen“ gesprochen. Diese würden aber „nicht alle auf einmal“ eingezogen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Wohnungslosigkeit im Winter
Krankenhaus schiebt Obdachlosen in die Kälte