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Krieg um BergkarabachBeide Seiten mit Maximalforderungen

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Vertreibung aus Bergkarabach wäre für die armenische Bevölkerung bitter. Die Verantwortung für ihr Schicksal tragen auch armenische Regierungen.

An der Straße nach Karabach stellen die Männer eine armenische Flagge auf Foto: Irakli Gedenidze/reuters

W as derzeit in Bergkarabach passiert, ist eine Tragödie von historischem Ausmaß. Eine Region, die seit Jahrhunderten von Armeniern bewohnt wird, die oft zum mythischen Ursprungsland des armenischen Volks verklärt wurde, dürfte in wenigen Monaten von der armenischen Bevölkerung „gesäubert“ worden sein. Nach dem Völkermord 1915, dem der größte Teil der Armenier im Osmanischen Reich zum Opfer fiel, ist das eine neuerliche große Katastrophe, gut 100 Jahre nach der „Großen Katastrophe“ in Anatolien.

Doch zur Wahrheit gehört: Es ist eine Katastrophe mit Ansage. Durch klügere Politik diverser armenischer Regierungen in den letzten 30 Jahren hätte die jetzige Tragödie wahrscheinlich verhindert werden können. Politik im Kaukasus, das gilt für Aserbaidschaner wie für Armenier, ist eine Politik der Maximalforderungen. Der Nachbar ist ein Todfeind, Kompromisse mit ihm sind undenkbar.

Das wusste schon der Georgier ­Iosseb ­Dschughaschwili, besser bekannt unter seinem Kampf­namen Josef Stalin. Noch als Sowjetkommissar für Nationalitätenpolitik ließ er bei der Festlegung der Sowjetrepubliken einen Flickenteppich autonomer Regionen anlegen, die dafür sorgten, dass sich die Republiken spinnefeind waren. Deshalb wurde das überwiegend armenisch besiedelte Bergkarabach eine autonome Region innerhalb der neu entstandenen Sowjet­republik ­Aserbaidschan und nicht Teil der Sowjetrepublik Armenien.

Für die Armenier war es ein Albtraum. Unter aserischer Verwaltung wurden sie in Karabach drangsaliert und diskriminiert. Diese offene Wunde Bergkarabach brach schließlich schon in den letzten Jahren der Sowjetunion auf und entzündete sich vollends mit der Auflösung des sowjetischen Reichs. Bergkarabach erklärte sich für unabhängig, Armenier aus der Diaspora unterstützten diesen Schritt euphorisch. Sie spendeten Geld, freiwillige Kämpfer kamen nach Karabach, die Zukunft erschien rosig.

Kein Partner für Friedensverhandlungen

Weitsichtige Politiker wie der erste armenische Präsident Lewon Ter-Petrosjan, die zuvor auf eine Verständigung mit der Türkei und über diesen Hebel auch mit Aserbaidschan gesetzt hatten, wurden dann niedergemacht. Stattdessen übernahmen Hardliner aus Bergkarabach auch die politische Führung in Jerewan. Der militärische Erfolg schien ihnen recht zu geben. Die armenischen Kämpfer vertrieben nicht nur alle Aserbaidschaner aus Bergkarabach, sondern besetzten auch die umliegenden Provinzen, vertrieben auch dort Tausende Aserbaidschaner und erklärten die Gebiete zum Sicherheitsgürtel.

Eine Friedensinitiative des damaligen türkischen Außenministers Ahmet Davutoğlu wurde 2009 zurückgewiesen. Die Türkei solle erst einmal den Völkermord anerkennen, befand eine Mehrheit im armenischen Parlament. Dabei übersahen die armenischen Maximalisten, dass diese Anerkennung am Ende eines Friedensprozesses vielleicht erfolgt wäre, als Eingangsbedingung aber kaum zielführend war. Mit den Aserbaidschanern reden wollte man erst recht nicht.

Für armenische Nationalisten sind Aserbaidschaner minderwertige Türken, deren einziges Ziel es ist, den Völkermord an den Armeniern zu vollenden. Nun ist die Familiendiktatur der Alijew in Baku sicher kein angenehmer Partner, Klone der Türken sind sie aber nicht. Der jetzt regierende Sohn Ilham Alijew nutzte das Thema Bergkarabach, um sein Image aufzupolieren, denn der immer wieder propagierte Kampf zur Rückgewinnung der Gebiete ist eines der wenigen Themen, bei dem er von einer Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird.

Alijew nutzte die Gunst der Stunde

Weil Armenien Kompromisse ablehnte, musste die Führung immer stärker auf Russland setzen, wohl wissend, dass Aserbaidschan für den Kreml im Ernstfall nur Verhandlungs­objekt sein würde. Das hat sich nun fürchterlich gerächt. Während Armenien in der Region weitgehend isoliert ist und dabei immer ärmer wurde, wurde Aserbaidschan aufgrund seiner sprudelnden Öl- und Gasquellen immer reicher.

Das nutzte zwar der aserbaidschanischen Bevölkerung nichts, doch Alijew hatte ausreichend Geld, um seine Armee zu modernisieren. Und er hatte die Geduld, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Im Krieg 2010 holte er sich mit türkischer Unterstützung die von den Armeniern besetzten Provinzen plus einen Teil von Bergkarabach zurück.

Jetzt, wo Wladimir Putin so dringend auf Nachschub aus Aserbaidschan und ein gutes Verhältnis zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan angewiesen ist, ließ Alijew Bergkarabach komplett erobern. Vorläufig hat der Maximalpolitiker Alijew gesiegt, die Maximalisten auf armenischer Seite haben verloren. Kluge Politik ist im Kaukasus immer noch nicht in Sicht.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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3 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Herr Gottschlich liegt sicherlich richtig mit seiner differenzierten Einschätzung, dass in diesem Konflikt die Azeris nicht die alleinigen „bad boys“ sind und wir uns davor hüten sollten, einfach nur das armenische Narrativ zu übernehmen. Das geschieht mit dem Verweis auf den Aghet, den osmanischen Völkermord an den Armeniern, hierzulande leider recht oft. (Und trotzdem war es eine richtige Entscheidung, dass der deutsche Bundestag diesen historischen Genozid anerkannte.)



    Dennoch wünsche ich mir, dass jetzt - nach der Reintegration Bergkarabachs in das aserbaidschanische Staatsgebiet - für die dort lebende armenische Bevölkerung eine gute, gerechte Lösung gefunden wird, die natürlich das Zugeständnis von Autonomierechten beinhaltet. Dass das gelingt und es in Folge der Besetzung nicht zu ethnischen Säuberungen kommt, ist auch von der Reaktion der armenischen Regierung in Jerewan abhängig. Die steht aber unter massivem Druck der nationalistischen Hardliner im eigenen Land.



    Wie sich die Situation in Bergkarabach jetzt entwickelt, welche Lösungen sich abzeichnen, da wird man auch in Moskau und Kiew genau hinschauen, wenn es um die Zukunft der Krim geht. Und derWesten kann da nicht nach der Goetheschen Devise verfahren:



    „Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen / Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, / Wenn hinten, weit, in der Türkei, / Die Völker aufeinander schlagen.“

  • Vielleicht ist das Problem im Raum der früheren Sowietunion auch einfach, dass wir von Lenin, Stalin und Chrustshev willkürlich und ohne bzw. (Abchasien, Bergkarabach) teils auch gegen den Willen der betroffenen Völker gezogene NATIONALE Verwaltungsgrenzen zu INTERNATIONALEN Grenzen gemacht haben. Das führt - wie im früheren Osmanischen Reich, wie im früheren Jugoslawien zu ethnischen Konflikten. Ich wäre für UN-Volksabstimmungen.

    • @Kartöfellchen:

      Nach 30 Jahren kann man die Idee bzgl. UN-Volksabstimmungen vergessen. Auch ist zweifelhaft, ob diese zu weniger Unruhe geführt. Der Kaukasus war schon lange vor der Sowjetunion ein Unruheherd.

      Dazu gab es in der Sowjetunion umfangsreiche Ansiedlungen von ethnischen Russen in Teilrepubliken um die alteingesessene Bevölkerung zur Minderheit zu machen und zu marginalisieren. So z.B. im Baltikum. Hätte man dort Volksabstimmungen durchgeführt, dann wären von diesen 3 Staaten beträchtliche Teile an Russland gefallen, aufgrund der verbrecherischen Russifizierungspolitik an Russland gefallen. Das hätte man dann durch mögliche Volksabstimmungen legitimiert. Und die gleiche Politik führte ja Russland spätestens seit Putin fort, siehe Passportisation im Kaukasus und den besetzten Gebieten der Ukraine. Mit Volksabstimmungen ist das nicht mehr zu lösen, denn Russland hat hier Fakten geschaffen.



      Die dominierenden Serbien haben in Jugoslawien die gleiche Ansiedlungspolitik gefahren.



      Schon daher ist zweifelhaft, dass eine solche Lösung zu mehr Frieden geführt hätte. In den meisten Fällen hätte man die Verdrängungspolitik noch völkerrechtlich noch abgenickt.